In Richard Wagners Patchworkfamilie war Ostereiersuchen ein Muss. Klarer Fall, bei der Kinderschar! In den Tagebüchern seiner zweiten Frau Cosima schlägt sich das chronologisch nieder, sogar mit einer erinnerten Episode aus der Kindheit Wagners, der nach dem Tod seines Vaters bis zu seinem 14. Lebensjahr den Namen seines Stiefvaters trug. Am Karsamstag 1870 führte er in Tribschen mit Cosima ein „Ostereier-Gespräch“: „R. erzählt, daß, wie er in Eisleben war, ihm von Freunden seines Onkels ‚grüne Eier für Richard Geyer‘ zu geschickt wurden, große Krähen-Eier in einem Körbchen, deren Farbe ihn sehr erfreut hatte.“ Am nächsten Tag notiert Cosima: „Osterfreuden, Osterleiden und geputztes Osterlamm. Ich verstecke die Eier und muß mich dann zurückziehen, weil ich schon von dem Wenigen sehr angegriffen bin.“ Im Jahr darauf, am 9. April 1871, lief der Ostersonntag wie folgt ab:
Ostereier; die Kinder suchen und finden und sind glücklich. Fidi findet auch ein Ei; sein „Papa“ macht schon R. viel Freude. – In der Welt Döllinger* und Commune**; wie ich mit R. spazierte, sagte er: „Ich möchte allen Weltverbesser[er]n sagen, die menschliche Natur studieren und erkennen, daß es ein wahres Wunder ist, daß wir uns alle nicht aufgefressen haben, daß es noch so geht wie es geht, und demnach alle solche Erscheinungen wie die erbliche Monarchie als göttliche Offenbarungen anzubeten, anstatt das Absurde davon hervorzuheben; denn von Rechts wegen, wie der Mensch ist, sollten wir uns längst aufgezehrt haben.“ – Bei der Bierstunde besprechen wir unsre Aussichten; gar schwer wird es mir um’s Herz; Gott weiß, was uns jetzt bevorsteht! Mir bleibt nur, R.’s würdig zu sein und niemals ihm gegenüber mich kleinmütig zu zeigen. Heute fiel ich ihm um den Hals und mußte weinen; der König wird den Siegfried fordern, und was dann? Abends endlich wieder Gibbon* aufgenommen.“
*Ignaz von Döllinger war ein in Bamberg geborener katholischer Theologe und Kirchenhistoriker, der sich ein paar Wochen zuvor gegen die Unfehlbarkeit des Papstes ausgesprochen hatte
** Von 18. März bis 29. Mai 1871: Pariser Aufstand der Kommune, blutig niedergeschlagen
***Edward Gibbon war ein britischer Historiker, mit dessen Hauptwerk „The History of the Decline an Fall of the Roman Empire“ sich das Ehepaar Wagner ausführlich und in der Originalsprache auseinandersetzte.
P.S. Damit der Osterhase nicht ganz außen vor bleibt, sei dank Hagen vom Festspiele-Forum gerne auf den Artikel „Der erweiterte Hasenbegriff“ und weiteres Material zu Christoph Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung verwiesen.
Ähnliche Beiträge
- „Geradezu unübertrefflich!“ 22. Juli 2019
- Silvester bei Wagners 31. Dezember 2019
- Halloween bei Wagners? 31. Oktober 2023
- Wagners Tribschen 15. April 2020
- Richard Wagners Seitensprünge 28. Januar 2019