Adventskalender 1871 (1)

Dank Ta­ge­buch­schrei­be­rin Co­si­ma Wag­ner kön­nen wir nach­voll­zie­hen, was sie, ihr R. und die gan­ze Patch­work­fa­mi­lie im Ad­vent vor 150 Jah­ren er­lebt haben.

Co­si­ma Wag­ner, por­trä­tiert von Franz von Len­bach 1879 – Vor­la­ge: Wi­ki­me­dia Commons

Frei­tag 1ten [De­zem­ber 1871] Herr Hart­mann[1] schickt sei­ne „Pro­phe­ten“ mit vor­an­ge­hen­dem Brief von R. und „Neid­hart“ mit Brief von mir, was mir wahr­haft ent­setz­lich ist, da mei­ne Ab­nei­gung vor Druck und Öf­fent­lich­keit im­mer grö­ßer wird. R. fin­det mei­nen Brief gut und sagt scher­zend, ich hät­te noch den Vor­zug, daß in dem mei­ni­gen kei­ne Druck­feh­ler, wäh­rend in dem sei­ni­gen sol­che Sinn ent­stel­len­den vor­ge­kom­men sei­en. Er ar­bei­tet an sei­ner Bro­schü­re über die Ge­schich­te des Ring des Ni­be­lun­gen[2]. Abends Brief von Frau We­sen­don­ck[3], die mich nicht ver­stan­den hat und mich über Welt­ge­schich­te be­lehrt, ihr Ton är­gert R. so, daß er will, daß ich ihr für Diens­tag ab­schrei­be[4]. Brief von Grä­fin B.[5], es scheint, daß Lulu[6] hart­nä­ckig ge­lo­gen hat, ich bin sehr trau­rig dar­über und über­le­ge, was zu tun, wie zu stra­fen. Abends Scho­pen­hau­er[7]; mit gro­ßer Freu­de. – Nach­mit­tags woll­ten wir aus­ge­hen, al­lein der Schre­cken vor dem Drau­ßen hielt uns da­heim. R. woll­te lie­ber mit mir blei­ben und Schö­nes, Lie­bes mir sa­gen; abends aber schilt er mich, daß ich es so ernst mit Frau W. neh­me, „du bist doch dumm“, sagt er, „aber das Ver­zwei­fel­te dar­an ist, daß du bei dei­ner Dumm­heit so ge­scheit bist!“

[1] Jo­hann Hart­mann, ver­mut­lich ein jun­ger und dich­ten­der Rechts­prak­ti­kant aus Würz­burg, trat im Ja­nu­ar 1871 erst­mals mit den Wag­ners in brief­li­chen Kon­takt, in­dem er ih­nen die ge­druck­te Ge­schich­te sei­ner Er­fah­run­gen mit dem Münch­ner Hof­thea­ter­in­ten­dan­ten Karl von Per­fall schick­te. Im Fe­bru­ar folg­te die Sen­dung sei­nes Thea­ter­stücks „Die Pro­phe­ten“, das Wag­ner prompt nach Leip­zig wei­ter­emp­feh­len soll­te und Co­si­ma wie folgt be­ur­teil­te: „Es ent­hält ganz aus­ge­zeich­ne­te Sce­nen und ist zart und wit­zig, die Schwä­che sind die Lie­bes­paa­re und die 5 Akte, ich glau­be, er hät­te wohl ge­tan, das Stück in drei Akte zu ver­kür­zen.“ An­fang März teil­te Hart­mann mit, dass Ba­ron Per­fall ihm an­ge­bo­ten habe, sein Stück zu ge­ben, wenn er sei­ne Bro­schü­re zu­rück­neh­men woll­te. „Ächt münch­ne­risch!“, stellt Co­si­ma fest. „Der Dich­ter ant­wor­tet dar­auf nicht, was uns freut, ich schrei­be ihm im Na­men R.’s.“ We­nig spä­ter hat Hart­mann sein Stück erst­mals über­ar­bei­tet, was die­sem im­mer­hin zu­gu­te­kommt, drei Mo­na­te dar­auf trifft un­ter an­de­rem die nächs­te Um­ar­bei­tung sei­ner „Pro­phe­ten“ in Trib­schen ein, in „et­was tol­pat­schi­ger Art“. Co­si­ma nimmt sich auch den neu­en „Neidhart“-Text vor: „Viel Ta­lent spricht dar­in aus, es ist mir aber un­an­ge­nehm, und er selbst scheint ein we­nig takt­los. Das eben­falls bei­geleg­te Stück „Rös­chen“ ver­rät eben­falls „viel Ta­lent, aber noch mehr Un­ge­schick­lich­keit“, wäh­rend es „R. gar we­nig ge­fal­len hat“. Am 1. De­zem­ber schließ­lich folgt der im Selbst­ver­lag er­schie­ne­ne Sam­mel­band von Hart­manns dra­ma­ti­schen Dich­tun­gen mit der end­gül­ti­gen drei­ak­ti­gen Fas­sung von „Die Pro­phe­ten“ so­wie den Lust­spie­len „Neid­hart“ und „Die Frei­mau­rer“.  Wie Co­si­ma dar­auf ge­ant­wor­tet hat, ist im Ta­ge­buch nicht fest­ge­hal­ten. Of­fen­bar woll­te Hart­mann die pro­mi­nen­ten Stel­lung­nah­men für sein Fort­kom­men nut­zen. War wohl ver­geb­lich. Zwar fin­det am 17. April 1872 im Münch­ner Re­si­denz­thea­ter im­mer­hin die Ur­auf­füh­rung der „Pro­phe­ten“ statt, sie ist aber ein Fi­as­ko und wahr­schein­lich die  ein­zi­ge Vor­stel­lung. Im Au­gust 1872 wird Hart­mann sich noch­mals mel­den, dies­mal mit ei­ner „Päps­tin Jo­han­na“ und „zu­gleich als Capt­a­tio bene­vo­len­tiae mit dem Vor­schlag ei­ner Krö­nung R.’s wie Pe­trar­ca – – elend!“ Co­si­ma schickt ihm das Stück un­kom­men­tiert zu­rück, was der jun­ge Möch­te­gern-Dich­ter of­fen­bar mit ei­ner pam­pi­gen Rück­ant­wort quittiert.

[2] Die­sen „Epi­lo­gi­schen Be­richt über die Um­stän­de und Schick­sa­le, wel­che die Aus­füh­rung des Büh­nen­fest­spiels ‚Der Ring des Ni­be­lun­gen‘ bis zur Ver­öf­fent­li­chung der Dich­tung des­sel­ben be­glei­te­ten“ be­en­de­te Wag­ner laut Otto Stro­bel am 7. De­zem­ber 1871.

[3] Mat­hil­de We­sen­don­ck, geb. Lu­cke­mey­er (1828–1902), ver­hei­ra­tet mit Wag­ners Zü­ri­cher Mä­zen Otto We­sen­don­ck, war Wag­ners „Tristan“-Muse und dich­te­te die Tex­te der nach ihr be­nann­ten Wesendonck-Lieder.

[4] Für 5. De­zem­ber ist ein Be­such des Ehe­paars We­sen­don­ck in Trib­schen geplant.

[5] Grä­fin B. = Ca­ro­li­ne Grä­fin Wald­bott von Bas­sen­heim, geb. Prin­zes­sin von Öt­tin­gen-Wal­ler­stein (1824–1889). Sie leb­te da­mals in un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft der Wag­ners in Trib­schen und war viel­fach ein­ge­bun­den in das Familienleben.

[6] Lulu = Da­nie­la von Bülow (1860–1940), Co­si­mas ers­te Toch­ter aus ih­rer ers­ten Ehe mit Hans von Bülow.

[7] Ar­thur Scho­pen­hau­er (1788–1860), deut­scher Phi­lo­soph, des­sen Werk – vor al­lem „Die Welt als Wil­le und Vor­stel­lung“ – Wag­ner nach­hal­tig be­ein­flusst hat. In der Früh­pha­se ih­rer Be­zie­hung be­nutz­ten Co­si­ma und Ri­chard nicht um­sonst die Deck­na­men Vorstel und Will, spä­ter soll­te Scho­pen­hau­er in Form des Len­bach-Ge­mäl­des sei­nen Eh­ren­platz im Wahn­fried-Sa­lon hin­ter Wag­ners Schreib­tisch bekommen.

Quel­len: Co­si­ma Wag­ner: Die Ta­ge­bü­cher: Band I, S. 1559. Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe, S. 34720 (vgl. Co­si­ma-Ta­ge­bü­cher 1, S. 464-465); Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Band 23 (hg. v. An­dre­as Miel­ke); Otto Stro­bel: Ri­chard Wag­ner. Le­ben und Schaf­fen. Eine Zeittafel.

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