Am 10. April 1865 wurde in München Isolde geboren, die erste uneheliche Tochter Cosima von Bülows und Richard Wagners. Als sie 1914 eine Vaterschaftsklage anstrengte, scheiterte sie an der gegebenen Rechtslage und den Lügen der Familie.
„Solange die Vaterschaft des Ehemanns Hans von Bülow zu dem Kinde Isolde nicht widerlegt werden kann“, heißt es in einem Beschluss des Bayreuther Amtsgerichts bezüglich der „Verlassenschaft des Schriftstellers und Componisten Richard Wagner“ vom 17. März 1883, „ist rechtlich nicht etwa eine Ungewissheit über die Vaterschaft zu dem Kinde Isolde anzunehmen, sondern vielmehr die Gewissheit, dass Hans von Bülow der Vater des Kindes ist. Vor dem Gesetze kann Richard Wagner der Vater des Kindes nicht sein.“ Auch wenn schon zu diesem Zeitpunkt die Ähnlichkeit unübersehbar war. Aber Gentests gab es damals noch nicht.
Für Isolde Josepha Ludovika von Bülow, die am 10. April 1865 in München als erstes uneheliches der insgesamt drei Kinder von Cosima von Bülow und Richard Wagner geboren wurde, sollte diese Rechtslage später zum Verhängnis werden. Nicht nur intern, sondern auch in den allerersten Wagner- und Cosima-Biografien wurde sie zunächst klar als Wagners Kind bezeichnet. Für ihn selbst war es ebenfalls eine Tatsache, denn er notierte am Schluss der Kompositionsskizze zum dritten Aufzug der „Götterdämmerung“: „So geschehen und geschlossen am Tage, da mir vor 7 Jahren mein Soldchen geboren wurde 10. April 1872 RW.“
Das Soldchen bzw. Loldi galt lange auch als Cosimas Lieblingstochter – war sie doch „das Kind, welches ich zuerst als Kind der Liebe und Begeisterung begrüßte, und sie etwas in ihrem Wesen hat, was aus dem geheimnisvollsten der Dinge mich lieblich begrüßte.“ Isolde wuchs zunächst in Tribschen, dann in Bayreuth auf. Zum 67. Geburtstag Wagners, der in Neapel gefeiert wurde, schenkte die damals fünfzehnjährige Isolde ihrem Vater insgesamt fünfundsechzig Aquarellzeichnungen, die in einem der schönsten Bücher im Wagner-Jubiläumsjahr erstmals veröffentlicht wurden. Ihre Enkelin Dagny Beidler-Hablützel besorgte die Herausgabe und Kommentierung dieser sogenannten Rosenstöckebilder, deren ungewöhnliches Format sich daraus ergab, dass sie als Manschetten an 65 von insgesamt 67 Töpfen mit hochstämmigen Rosenstöcken angebracht wurden.
Isolde heiratete am 12. Dezember 1900 den Schweizer Dirigenten und Festspielassistenten Franz Philipp Beidler und zog mit ihm ins Colmdorfer Schlösschen. Dort kam am 24. Oktober 1902 mit Wilhelm Franz der erste Wagner-Enkel zur Welt, der sich später Franz W. Beidler bzw. auch Beidler-Wagner nannte und dessen posthum von Dieter Borchmeyer herausgegebene, leider nicht vollendete Cosima-Biografie (Cosima Wagner-Liszt. Der Weg zum Wagner-Mythos, Pendragon Verlag, 428 S., Abb.) empfohlen sei.
„Sie war unendlich rührend“, schrieb Großmutter Cosima in einem Brief über die Kindsmutter Isolde, „sagte, das Schlimmste sei vergessen, sie sei nur glücklich. Und ich glaube, man kann sich keine schönere, liebevollere Mutter denken. Sie will sich von dem Kinde gar nicht trennen, nährt es selbst, und sie könne das Wohlgefühl nicht schildern, wie das Kind ihre Brust gefasst hätte. Ich kenne etwas Ähnliches wie ihr Naturell nicht. Sie gehört in die paradiesische Zeit der Menschheit.“
Mit dem familiären Paradies war es bald aus. Zum einen eckte Isoldes Mann immer mal wieder bei seiner Schwiegermutter Cosima an, zum anderen entwickelte er sich als selbstbewusster Festspieldirigent zum ernst zu nehmenden Rivalen für Wagnersohn Siegfried. Immer wieder kam es zu Zerwürfnissen. Es gilt heute als gesichert, dass Houston Stewart Chamberlain, der zuerst um Isolde geworben hatte, bevor er schließlich deren weniger attraktive Schwester Eva heiratete, gegen alle Versöhnungsversuche heftig intrigierte.
Aber auch ihr Bruder Siegfried, der immer noch unverheiratet war und begann, um sein Erbe zu fürchten, setzte alles daran, dass die gestrenge Cosima und die ihrem Ehemann ergebene Isolde sich nicht mehr vertragen konnten. Als Isolde, die inzwischen schwer an Lungentuberkulose erkrankt war, 1914 einen Vaterschafts-Prozess anstrengte, um ihren Sohn als legitimen Enkel Wagners anerkannt zu wissen, war sie trotz vorhandener Beweise rechtlich von vornherein auf verlorenem Posten, während die Familie Lügen in die Welt setzte und für passende Gutachten stolze Summen bezahlte. Das Gericht hielt sich an den eingangs zitierten Beschluss, der nach dem Tode Richard Wagners ergangen war und wies die Klage mit Urteil vom 14. Juni 1914 ab.
„Der Prozess“, beschrieb später ihr Sohn, „verschlimmerte ihr Leiden derart, dass sie sich schon vor dem Abschluss des Rechtsstreits auf dringende ärztliche Weisung zu einem Daueraufenthalt nach Davos begeben musste. Es war eine Tragödie, die sich bis zu ihrem Tod am 7. Februar 1919 im Alter von nur 53 Jahren hinzog.“ Der unselige Prozess hatte allerdings eine für die Familie peinlich große Breitenwirkung, löste europaweit eine Flut von Zeitungsartikeln, darunter eine große Polemik von Wahnfried-Gegner Maximilian Harden und Berichte in der von der gesellschaftlichen Elite gern gelesenen Kreuzzeitung. „Die Öffentlichkeit“, so Isoldes Sohn Franz , „erkannte, wie würdelos und erbärmlich kleinen Formats die Nachkommen eines Richard Wagner in der ersten Generation waren, obschon sie das Wort Pietät bis zum Überdruss und bei jedweder Gelegenheit im Munde führten.“
Was sich wunderbar auch in einem mehrteiligen Gedicht-Zyklus von Alfred Kerr über die Familien Wagner und Nietzsche spiegelt. Die Wagner-Verse zum Erbprozess aus Kerrs „Caprichos“ von 1926 seien hier zitiert:
Siegfried, der geweckte, fesche
Sohn des Wagnerhauses spricht:
Schwester, die Familienwäsche
Waschen wir im Landgericht.
Erbansprüche, hol’s der Satan,
Stellst du künftig keine mehr.
Mutter hat Dich nicht von Vata’n,
Sondern noch von Onkel her.
Unsre Mutter wird’s beschwören,
Wie die Sache vor sich ging,
Wo sie die verschiedenen Jöhren,
Und von wem sie sie empfing.
Fafner, Fasolt waren Brüder,
Haben um Gewinn gegrollt,
Fetzten sich mit Keulen nieder –
„Rheingold! Rheingold! reines Gold!“
…Doch was ist das? Welcher arge
Wutschrei kommt heraufgeweht?
Schwesterchen, in seinem Sarge
Hat sich Vater umgedreht!
Die Zeugen sprechen. Kalt und fühllos.
Nun scheint der Erbprozeß vollendet.
Das Angedenken Hans von Bülows
Wird nochmals, nach dem Tod, geschändet.
Frau Mrazek schwört es – wie sie alle
Die Einzelheiten kennen lernte:
In Starnberg stand die Parsi-Falle
Wo Bülows teurer Freund ihn hörnte.
Im trauten Beieinanderwohnen
Trog ihn der Meister ohne Schwanken:
Des Helfers Opfer zu belohnen
Und für den Bruderdienst zu danken.
So tat der Edle dem Genossen.
„Das Schlafgemach, das Zwei vereinte,
Fand Herr von Bülow fest verschlossen –
Und sank zur Erde hin … und weinte.“
Die Zeugen sprechen: glatt und fühllos.
Nun scheint der Erbprozeß vollendet:
Das Angedenken Hans von Bülows
Wird nochmals, nach dem Tod, geschändet.
Bayreuth. Im Requisitensaal
Lachte laut der Gral … :
„Die hohe Hehrheit (im Orchester)
Und ihre heilige Reine kenn‘ ich – – –
Und die Frau Beidler, Siegfrieds Schwester,
Erbt keinen Pfennig!“
Übrigens sprach in Zusammenhang mit dem Beidler-Prozess Siegfried Wagner erstmals auch von einer Festspiel- oder Nationalstiftung, was nicht nur Maximilian Harden als Finte sah. Isoldes Sohn Franz bezeichnete die Stiftungsidee später als ein „ganz faules Ablenkungsmanöver“ und ein Musterbeispiel „der alle Begriffe übersteigenden Verlogenheit der Bayreuther“, denn selbstverständlich habe man die Stiftung „nie ernstlich geplant“. Und dem war auch so.
Dass der politisch unbelastete und gut beleumundete Wagnerenkel Franz W. Beidler nach dem Zweiten Weltkrieg in Hinblick auf die Festspiele von Winifred Wagner und seinen Cousins Wieland und Wolfgang schnell ausgebootet wurde, versteht sich fast schon von selbst. Im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 präsentierte das Stadtarchiv Zürich erstmals eine umfassende Ausstellung zur Beidler-Affaire und dem Werdegang von Isoldes Sohn, von Verena Naegele und Sibylle Ehrismann liegt dazu aus demselben Jahr der Band „Die Beidlers“ vor.
Auch Dagny Ricarda Beidler, die einzige Tochter Franz W. Beidlers und Wagner-Urenkelin, ereilte gewissermaßen das Beidlersche Schicksal des Ausgesperrt-Werdens aus der Bayreuther Festspielwelt. Nachdem die Amtszeit für Neill Thornborrow, dem Erben Friedelind Wagners, als Familienmitglied im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung satzungsgemäß abgelaufen war, regten die Töchter Wieland Wagners an, an seiner Stelle Isoldes Enkelin aus der Schweiz aufzunehmen. Der Vorschlag wurde abgelehnt, aus nicht nachvollziehbaren Gründen.
Erweiterte Version der Erstfassung im Blog Mein Wagner-Jahr von 2013
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