Wie Isolde ihrem Vater gratulierte

Heu­te vor 140 Jah­ren schenk­te Isol­de von Bülow, die ers­te Toch­ter von Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner, ih­rem Va­ter zum 67. Ge­burts­tag eine au­ßer­ge­wöhn­li­che Bilder-Sammlung.
Co­ver des Bu­ches mit Isol­des Ro­sen­stock­bil­dern Vor­la­ge: Böhlau Verlag 

Mo­na­te­lang hat­te ich mir im Vor­feld des 250. Ge­burts­tags von Ri­chard Wag­ner im Ju­bi­lä­ums­jahr 2013 im­mer wie­der den Kopf zer­bro­chen, was ich ne­ben mei­nem gro­ßen Ge­burts­tags­ar­ti­kel zum 22. Mai in der Zei­tung spe­zi­ell in mei­nem Blog „Mein Wag­ner-Jahr“ bie­ten könn­te. Ri­chard Wag­ners ei­ge­nes Ge­burts­tags­ge­dicht* dürf­te vie­len Wag­ner­lieb­ha­bern be­kannt sein, aus den sons­ti­gen Gra­tu­la­tio­nen aus fast zwei Jahr­hun­der­ten ei­ni­ge her­aus­zu­fi­schen, er­schien mir auch nicht son­der­lich originell.

Plötz­lich und recht­zei­tig war sie da: die in mehr­fa­cher Hin­sicht au­ßer­ge­wöhn­li­che Per­le, nach der ich un­ter an­de­rem auch in der Flut der Neu­erschei­nun­gen zum Ju­bi­lä­ums­jahr ge­sucht hat­te. „Für Ri­chard Wag­ner!“ heißt nicht ge­ra­de viel­sa­gend der Band aus dem Böhlau Ver­lag (158 Sei­ten, 66 Farb­ab­bil­dun­gen, 35 Euro). Aber schon die noch kind­li­che Farb­il­lus­tra­ti­on auf dem Um­schlag macht neu­gie­rig. Ein be­kann­tes und doch un­be­kann­tes Wag­ner-Bild­nis ist zu se­hen: Ri­chard Wag­ner sitzt hier, wie ihn auch Adolph von Men­zel in ei­ner viel ge­druck­ten Zeich­nung fest­ge­hal­ten hat, an sei­nem Re­gie­tisch auf der Büh­ne des Fest­spiel­hau­ses und lei­tet, wie die dar­un­ter ste­hen­de Jah­res­zahl 1875 be­glau­bigt, eine der Vor­pro­ben zu den ers­ten Bay­reu­ther Festspielen.

Der Un­ter­ti­tel auf dem Co­ver ver­rät, von wem das Bild stammt: Das Buch ver­sam­melt die bis­her un­ver­öf­fent­lich­ten „Rosenstöcke“-Bilder von Isol­de, der ers­ten ge­mein­sa­men, un­ehe­lich ge­bo­re­nen Toch­ter von Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner. Au­torin des Bu­ches ist Isol­des En­ke­lin Da­gny Ri­car­da Beid­ler. Was die weit­hin un­be­kann­te Wag­ner­ur­en­ke­lin hier vor­legt, ist das wohl be­we­gends­te Ge­burts­tags­buch, das man sich den­ken kann. Denn die da­mals fünf­zehn­jäh­ri­ge Isol­de, die zum 67. Ge­burts­tag ih­res Va­ters am 22. Mai 1880 so lie­be­voll ins­ge­samt 65 Aqua­rell­zeich­nun­gen zu sei­nem Le­ben und Werk an­fer­tig­te, soll­te spä­ter von Mut­ter Co­si­ma, den Ge­schwis­tern und ih­rer Fa­mi­lie als Wag­ner-Toch­ter ver­leug­net wer­den. Der Pro­zess, den Isol­de 1914 zu­guns­ten ih­res Soh­nes und in­of­fi­zi­ell ers­ten Wag­ner-En­kels Franz Wil­helm Beid­ler an­streng­te, ging ver­lo­ren. Zu die­sem Zeit­punkt war Isol­de be­reits an Tu­ber­ku­lo­se er­krankt. Sie starb am 7. Fe­bru­ar 1919 im Al­ter von 53 Jah­ren in Davos.

Das merk­wür­di­ge For­mat der Bil­der er­klärt sich durch ihre Ver­wen­dung: Sie wur­den wie Man­schet­ten an Töp­fen mit hoch­stäm­mi­gen Ro­sen­stö­cken an­ge­bracht. Zum Ge­burts­tags­fest 1880 in der Vil­la d’An­gri in Nea­pel be­kam Wag­ner, sei­nem Le­bens­al­ter ent­spre­chend, sie­ben­und­sech­zig Ro­sen­stö­cke, von de­nen fünf­und­sech­zig mit ei­ner be­mal­ten Man­schet­te ver­se­hen wa­ren. In ih­rem Ta­ge­buch no­tier­te Co­si­ma: „Wir ver­le­gen die Fei­er­lich­keit von der Hal­le in den Saal und ord­nen Ro­sen, Bild und Stof­fe. So dass ge­gen 11 Uhr R., in den Saal tre­tend, sich freut; er ver­weilt dar­in eine Stun­de, sieht Loldi’s Kom­po­si­tio­nen durch, und wie ich ihn be­grü­ße, darf ich das Glück in sei­nem er­ha­bens­ten Schei­ne er­schau­en und in sei­ner er­grei­fends­ten Kund­ge­bung vernehmen.“

Dass Wag­ner sich über Isol­des Ge­schenk ge­freut ha­ben muss, lässt sich sei­nem Brief an Kö­nig Lud­wig II. vom 31. Mai 1880 ent­neh­men. „Für die­ses Mal“, schreibt er, „ge­noss ich am 22. Mai wie­der das, so spät er­wor­be­ne, Glück der un­säg­lichs­ten Lie­bes­be­zei­gun­gen ei­ner mir ganz an­ge­hö­ri­gen Fa­mi­lie: auch Bülow’s Töch­ter ken­nen nur mich, da ich ih­nen so gern Al­les bin.“ Und er legt dem Brief zwei „küh­ne“ Zeich­nun­gen von Isol­de, der „pas­sio­nir­tes­ten Ma­le­rin“ bei. Sie zei­gen Haus­leh­rer Hein­rich von Stein mit sei­nem Zög­ling Sieg­fried beim Spa­zier­gang bzw. von Stein und Isol­des Halb­schwes­ter Da­nie­la, „Phi­lo­so­phie treibend“.

Die Ge­burt ih­res Va­ters Ri­chard Wag­ner setz­te Isol­de zeich­ne­risch mit ei­ner Wie­ge um – in ei­ner An­sicht der Stadt Leip­zig, zwi­schen ei­nem wei­ßen und ro­ten Lö­wen und viel­sa­gen­den Stern­bil­dern (Aus­schnitt des Ori­gi­nals). Vor­la­ge: Böhlau Verlag

„Die Aqua­rel­le“, er­läu­tert Da­gny Beid­ler ein­gangs, „zei­gen, dass Isol­de die au­to­bio­gra­phi­schen Auf­zeich­nun­gen ih­res Va­ters ‚Mein Le­ben‘ eben­so kann­te wie sei­ne Schrif­ten, und be­müht war, sein Le­ben von der Ge­burt an bis 1880 in vie­len Fa­cet­ten da­zu­stel­len.“ Nach dem Bild zur Ge­burt 1813 auf dem Brühl im „Rot und Wei­ßen Lö­wen“ und ei­ner Sze­ne mit Wag­ner als Baby und Mut­ter 1814 fasst sie nur noch die früh­kind­li­chen Jah­re 1815 und 1816 so­wie 1817 bis 1819 the­ma­tisch in ei­nem Bild zu­sam­men. Ab 1820 bis 1880 gibt es für je­des Jahr eine Man­schet­te, zum Teil auch mit meh­re­ren Motiven.

Isol­des En­ke­lin be­schreibt und kom­men­tiert je­weils ne­ben der Ab­bil­dung aus­führ­lich je­des ein­zel­ne Bild. Da­durch ent­steht Sta­ti­on für Sta­ti­on eine un­ge­wöhn­li­che und ei­gen­tüm­li­che Wag­ner­bio­gra­fie: aus dem zeit­lich na­hen Blick­win­kel sei­ner lie­be­vol­len Toch­ter im Back­fisch­al­ter (die bei­spiels­wei­se sei­ne ers­te Ehe mit Min­na ganz ein­fach un­ter den Tisch fal­len lässt – wie an­de­re, we­ni­ger schö­ne und nicht schick­li­che Be­ge­ben­hei­ten auch) und aus der ab­ge­klär­ten Sicht der 71-jäh­ri­gen Ur­en­ke­lin aus der Schweiz (die man­che, aber nicht jede Lü­cke zu er­klä­ren weiß).

Dass Da­gny Beid­ler als Ein­lei­tung wie­der­um ein Ge­burts­tags­ge­dicht zi­tiert, näm­lich je­nes, das Ri­chard Wag­ner ver­mut­lich aus dem Steg­reif her­aus am 10. April 1880 zum 15. Ge­burts­tag Isol­des auf­sag­te, il­lus­triert ein­drucks­voll, dass nicht nur die Toch­ter den Va­ter lieb­te, son­dern der Va­ter auch sie:

„Vor fünf­zehn Jah­ren wur­dest du geboren:
Da spitz­te alle Welt die Ohren;
Man woll­te Tris­tan und Isolde –
Doch was ich ein­zig wünscht‘ und wollte
Das war ein Töch­ter­chen: Isolde!
Nun mag sie tau­send Jah­re leben
Und Tris­tan und Isol­de auch daneben!
Vi­vat hoch! R.W.“

Es ist ein be­deu­tungs­vol­les Be­kennt­nis, wenn man weiß, was spä­ter – aus dy­nas­ti­schen Grün­den – ge­schah. Nicht um­sonst zi­tiert die Ur­en­ke­lin ei­nen Ta­ge­buch­ein­trag von Co­si­ma vom Juni 1882: „Die nicht mög­lich zu an­re­gen­de Ad­op­ti­on von Isol­de und Eva ist ihm auch ein gro­ßer Kum­mer!“ Was un­ter an­de­rem auch dar­an lag, dass Co­si­mas ers­ter Mann Hans von Bülow das nicht woll­te und noch in sei­nem zwei­ten Tes­ta­ment 1887 fest­leg­te, dass nicht nur Da­nie­la und Blan­di­ne, son­dern auch Isol­de und Eva sei­ne und Co­si­mas Töch­ter seien.

Die­ter Borchmey­er, Her­aus­ge­ber der aus­ge­wähl­ten Schrif­ten von Isol­des Sohn Franz Wil­helm Beid­ler, be­schreibt in dem im Pend­ra­gon Ver­lag er­schie­ne­nen Buch „Co­si­ma Wag­ner-Liszt“ den Beid­ler-Pro­zess aus­führ­lich, bis hin zu den Spät­fol­gen: Isol­des Sohn wur­de von Ma­rie von Bülow, der zwei­ten Frau Hans von Bülows, zum Er­ben ein­ge­setzt. Er schlug die Erb­schaft 1942 wie folgt aus:

Hans von Bülow hat zwar aus Grün­den, die in die­sem Zu­sam­men­hang nicht er­ör­tert zu wer­den brau­chen, mei­ne Mut­ter Isol­de als sein Kind an­er­kannt. In Wirk­lich­keit war sie je­doch eine na­tür­li­che Toch­ter von Ri­chard Wag­ner. Die­ser Sach­ver­halt ist nicht nur im en­ge­ren Krei­se der be­tei­lig­ten Fa­mi­li­en wohl­be­kannt, son­dern auch in der maß­geb­li­chen Li­te­ra­tur un­be­strit­ten. Bei die­ser Sach­la­ge ver­steht es sich von selbst, auf den mir ju­ris­tisch zu­ste­hen­den An­teil am Nach­lass von Hans von Bülow zu­guns­ten sei­ner tat­säch­li­chen leib­li­chen Nach­kom­men und de­ren An­ge­hö­ri­gen zu verzichten.

Bleibt noch an­zu­mer­ken, dass Franz Wil­helm Beid­lers ein­zi­ge Toch­ter Da­gny recht­lich auch heu­te noch nicht als Wag­ner-Ur­en­ke­lin gilt – und bis­her auch von der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung igno­riert wur­de, die im­mer noch nur die Nach­kom­men von Sieg­fried Wag­ner als le­gi­ti­me Wag­ne­rer­ben an­sieht. Auch das ist ein Punkt, der bei der längst fäl­li­gen Über­ar­bei­tung der Struk­tur und Sat­zung der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung zu be­den­ken wäre.

*Ri­chard Wag­ners ei­ge­nes Ge­burts­tags­ge­dicht lau­tet in ei­ner frü­hen, von sei­nem Freund Ernst Be­ne­dikt Kietz über­lie­fer­ten Version:

„Im wun­der­schö­nen Mo­nat Mai
kroch Ri­chard Wag­ner aus dem Ei;
es wün­schen Vie­le, die ihn lieben,
er wäre lie­ber drin geblieben.“

Und am 19. Mai 1855 schrieb er aus Lon­don an sei­ne Frau Minna:

„Im wun­der­schö­nen Mo­nat Mai
kroch Ri­chard Wag­ner aus dem Ei:
ihm wün­schen, die zu­meist ihn lieben,
er wäre bes­ser drin geblieben.“

Zu­meist auch ich.

Auf der zwei­ge­teil­ten Man­schet­te für das Jahr 1876 zeigt Isol­de auf der ei­nen Sei­te ein Mo­tiv zu Wag­ners Un­ab­hän­gig­keits­marsch und auf der an­de­ren das Fest­spiel­haus. Vor­la­ge: Böhlau

Ak­tua­li­sier­te Ver­si­on der Erst­ver­öf­fent­li­chung auf www​.in​fran​ken​.de in dem Blog „Mein Wag­ner-Jahr“