Am Staatstheater Nürnberg startet die Opernsaison mit einer Neuinszenierung von Claudio Monteverdis „Orfeo“, der als der Beginn des Musiktheaters gilt.
Die Bravorufe wirkten nur deshalb eher vereinzelt, weil diese sehr aktive Zustimmung aus einem nur 200 Köpfe zählenden Publikum eben dünner klingt, als wenn bei einer ausverkauften Premiere gut tausend Menschen im Opernhaus Nürnberg sitzen. Die erste Neuinszenierung nach der halbjährigen Corona-Zwangspause ist also ein Erfolg – mit nur zwei Einschränkungen.
Bei der Saisoneröffnung am Freitag war Ministerpräsident Markus Söder zwar nur per Grußbotschaft dabei, allerdings überlebensgroß auf der auch in der Inszenierung heftig genutzten LED-Wand. Er hat also nicht mitgekriegt, dass man in seiner Heimatstadt nur betont höflichen Beifall für ihn übrig hatte. Könnte an seinen strikten Corona-Beschränkungen für Theater liegen. Ob Bernd Sibler, sein anwesender Kunstminister, ihm das berichten wird?
Immerhin: Die erste große Corona-Produktion am Staatstheater Nürnberg ist vorbildlich auf Mindestabstand ausgerichtet, was die Mitwirkenden auf der Bühne und im Orchestergraben betrifft, der deutlich auf mehrere Logen und sogar bis auf die Hinterbühne erweitert wurde. Eine knifflige Koordinations-Aufgabe für Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz, die sie und die Staatsphilharmonie Nürnberg hervorragend meistern.
Ungewöhnlich ist nicht nur die Sitzordnung der Musiker, sondern die Musik selbst. Die Dirigentin hat mit Frank Löhr (der auch einen Teil der Vorstellungen leitet) eine Orchesterfassung von „L’Orfeo“ erstellt, die Claudio Monteverdis 1607 uraufgeführte „Favola in musica“ in einem Prolog und fünf Akten um ein Viertel verkürzt und stilistisch und aufführungspraktisch so erweitert, dass sie die Anfänge der Gattung Oper spiegelt und doch bis in die Gegenwart hineinreicht.
Man hört typische Barockmusik auf entsprechendem Instrumentarium, gemischt mit heutigem Orchesterklang, der mal spätromantisch aufbrausen, mal zum Big Band-Sound sich aufswingen, mal zur Auflösung der Tonalität sich differenzieren darf. Nicht alle Übergänge bei diesen Verfremdungen leuchten auf Anhieb ein, aber es hat was, den Orpheus-Mythos mit einer musikalischen Suche nach dem Klang vergangener Zeiten zu verbinden.
Um die Geschichte von Orpheus zu erzählen, der versucht, seine plötzlich gestorbene Frau Eurydike aus dem Totenreich zurück ins Leben zu holen, hat sich Intendant Jens-Daniel Herzog für eine sehr heutige Interpretation entschieden – so heutig, dass man sich im Nachhinein wünscht, er möge in seinen theatralischen Mitteln dem Zeitgeist nicht zu sehr nachlaufen.
Von Ausstatter Mathis Neidhardt stammen die passenden Kostüme, ein paar Stühle und ein großer versenkbarer Tisch, alle weitere bildnerische Verantwortung ist leider an die Videos von Stefan Bischoff abgegeben. Zwar schaffen die handwerklich gut gemachten Filmsequenzen auch sinnvolle Räume und Zusammenhänge, aber manche Assoziationen sind einfach zu plump.
Speziell bei den Live-Aufnahmen gibt es unnötige Verdoppelungen und absurde Vergrößerungen, die die real auf der Bühne agierenden Sänger zwar auf Cinemascope-Format bringen, aber gleichzeitig degradieren. Sind denn in der Oper Abbilder inzwischen wichtiger als die tatsächlichen Verkörperungen von Figuren?
Dass ein Charaktertenor wie Hans Kittelmann durchaus rollengerecht mit schneidender Stimme singt, muss man nicht in waffenscheinpflichtiger Großaufnahme zeigen. Sprich: Derlei Video-Idiotie hätte der Regisseur unterbinden müssen. Hat er aber nicht. Gleichwohl ist das eine der besseren Inszenierungen von Jens-Daniel Herzog.
Das hat damit zu tun, dass er sich nicht nur auf seine ohnehin körpersprachlich betonte Personenregie verlässt. Sondern mit Ramses Sigl einen Choreographen einbezieht, der einleuchtend tänzerische Elemente in die Handlung einbringt. Was natürlich nur funktioniert, wenn Sängerinnen und Sänger das auch umsetzen können.
Die komplett aus dem Ensemble besetzte Produktion untermauert, dass das Staatstheater Nürnberg über stimmlich und darstellerisch großartige Solisten verfügt – allen voran Martin Platz in der Titelrolle, der endlich in einer ganz großen Partie zu erleben ist und bei der Premiere zurecht bejubelt wurde, auch wenn der hier vorgeführte Aufstieg des Orpheus in den Komponistenhimmel (mit Bach, Beethoven, Gluck, Liszt, Verdi, undundund, aber ohne Wagner?) ein bisschen an den Haaren herbeigezogen wirkt.
Die weiteren Solisten, darunter die kostbaren Frauenstimmen von Almerija Delic, Julia Grüter und Andromahi Raptis, machen ihre Sache gut, ja mehr als das, denn sie übernehmen virtuos auch die Chorpartien in einem sehr alten Stück Musiktheater, das nach Corona sehr passend alles wieder auf Anfang setzt.
Besuchte Premiere am 2. Oktober 2020, Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags. Weitere Vorstellungen im Oktober am 10. (2 x), 14., 17. (2x), 25. und 30. sowie am 8. und 22. November 2020. Karten online auf der Homepage des Staatstheaters
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