„Doch ist mir die Farbe sehr recht.“

Kein April­scherz. Statt­des­sen zwei Brie­fe Ri­chard Wag­ners vom 1. April 1865 und 1868, in de­nen es um ex­klu­si­ve Klei­dungs­stü­cke und die Aus­stat­tung sei­ner je­wei­li­gen Kom­po­nis­ten­klau­se geht.

Die „cou­rio­se“ Bei­la­ge mit Stoff­mus­ter von Wag­ners Brief an Ber­tha Gold­wag vom 1. April 1865.

Die April­scher­ze, ent­neh­me ich der heu­ti­gen Süd­deut­schen Zei­tung und dem SZ-Ma­ga­zin, ha­ben zu­min­dest mo­men­tan aus­ge­dient: Denn sei­en sie frü­her un­ter an­de­rem da­für gut ge­we­sen, an­de­re um die Fich­te zu füh­ren[1] und/​oder un­ter an­de­rem mit aus­ge­dach­ten Hor­ror­ge­schich­ten zu er­schre­cken, so lenk­ten sie heu­te um­ge­kehrt mal kurz von den Hor­ror­nach­rich­ten ab. Das mit der Ab­len­kung leuch­tet mir ein, und ich habe selbst­re­dend auch gleich zwei Brie­fe Ri­chard Wag­ners vom 1. April ge­fun­den, die da­für gut ge­eig­net sind. Denn ers­tens ha­ben sie mit dem lie­ben Geld zu tun und zwei­tens mit den ihm min­des­tens ge­nau­so lie­ben Schlaf­rö­cken und Bein­klei­dern aus At­las, sei­de­nen Hem­den, feins­ten Stoff­schu­hen und pelz­ge­füt­ter­ten Stie­feln, Samt­ba­retts so­wie mit der Aus­stat­tung sei­ner bom­for­zionö­sen[2] Ar­beits­ka­bi­net­te mit At­las­bän­dern, Über­wür­fen, De­cken, Kis­sen und künst­li­chen Blu­men­guir­lan­den. Na denn: auf, ans Werk!

An sei­ne Putz­ma­che­rin Ber­tha Gold­wag in Wien schrieb er am 1. April 1865 aus München:
Lie­be Fräu­lein Bertha!
Hier schi­cke ich Ih­nen fl. 500. Es ist mir in die­ser Zeit nicht mög­lich, mehr auf­zu­trei­ben. Viel­leicht kann ich bald et­was mehr schi­cken. Sie wis­sen, dass ich mich so­bald nicht auf star­ke Zah­lun­gen ge­fasst mach­te. Jetzt se­hen Sie wie Sie zu Stand kom­men. Ge­ben Sie mir Nachricht. –
Bit­te auch um eine Zu­sam­men­stel­lung mei­ner Rech­nung, da­mit ich weiss, was Sie noch bekommen.
Herz­li­chen Gruss u. bes­te Wün­sche! Er­ge­benst Ri­chard Wagner. 

Auf dem Ori­gi­nal des Briefs, der sich in der Mu­sik­ab­tei­lung der Wa­shing­to­ner Li­bra­ry of Con­gress be­fin­det, steht, als No­tiz von frem­der Hand: „Brief mit 2 cou­rio­sen Bei­la­gen von Wag­ner.“ Wäh­rend in Band 17 der Wag­ner-Brie­fe aus dem Jahr 2009 noch steht, „dazu konn­te nichts Nä­he­res er­mit­telt wer­den“, prä­sen­tier­te Lud­wig Ku­sche dazu in sei­ner Aus­ga­be der Brie­fe Wag­ners an sei­ne Putz­ma­che­rin die fol­gen­de, nicht nur in den spä­ten 1960er-Jah­ren noch als ziem­lich ku­ri­os emp­fun­de­ne Auf­zäh­lung, die 2013 durch eine Ver­öf­fent­li­chung der US-Wis­sen­schaft­le­rin Su­s­an Cler­mont mit bei­gefüg­tem Stoff­mus­ter of­fi­zi­ell be­glau­bigt wurde:

Nr. 3 (Quas­te und Schnur von glei­cher Farbe.)
Schlaf­rock, mit schwe­rem schö­nen wei­ßen At­las á 6 bis 7 fl. gefüttert.
b und c mit leich­tem wei­ßen At­las gefüttert.
Hie­zu: d und e Bein­klei­der und Ja­cke von dem­sel­ben schwe­ren wei­ßen At­las, wie das Fut­ter zum Schlaf­rock (á 6 bis 7 fl.) ge­füt­tert mit lich­te­rem Rosa-At­las á 3 ½ fl.
Nr. 6
Eine De­cke, 3 Brei­ten und (wenn fer­tig) 3 El­len lang. Leicht wat­tirt: rei­ches Blu­men­mus­ter – ge­steppt. Mit Rosa At­las­band – reich ge­sch­oppt — bes­te Qua­li­tät, rings ein­ge­fasst und mit eben­sol­chen Schlei­fen reich garnirt.
Und oben rechts, als An­mer­kung zum Stoff­mus­ter, steht noch: „Bes­se­re Qua­li­tät wäre sehr zu wün­schen, doch ist mir die Far­be sehr recht.“

Wag­ner nahm Ber­tha Gold­wag im Herbst 1861 in Dienst, als er erst­mals für ei­ni­ge Wo­chen im Ho­tel Kai­se­rin Eli­sa­beth in Wien ab­ge­stie­gen war. Sie wur­de schnell sei­ne „Leib und Hof­lie­fe­ran­tin“, ver­fer­tig­te  für ihn – und teils auch für die Da­men, mit de­nen er ge­ra­de zu­sam­men war – Klei­dungs­stü­cke al­ler Art und Ac­ces­soires zu sei­nen Woh­nun­gen in Pen­zing, Mün­chen und Genf. Als Wag­ner sich nach mehr­fa­chen Auf­ent­hal­ten 1864 vor­erst von Wien ver­ab­schie­de­te, wa­ren bei Gold­wag (spä­ter ver­hei­ra­te­te Ma­ret­schek) be­reits Rech­nun­gen in Höhe von meh­re­ren Tau­send Gul­den an­ge­lau­fen. Die ta­len­tier­te Nä­he­rin, Mo­dis­tin und In­nen­aus­stat­te­rin war ins­ge­samt rund zehn Jah­re für ihn tä­tig und wur­de mit den bei ihm üb­li­chen Ver­zö­ge­run­gen letzt­lich kor­rekt ausbezahlt.

Eben­falls am 1. April, al­ler­dings drei Jah­re spä­ter, rich­te­te Wag­ner aus Mün­chen ei­nen ähn­li­chen, aber aus­führ­li­che­ren Brief an Ve­re­na Sto­cker, die er als Haus­mäd­chen 1859 im Ho­tel Schwei­zer Hof in Lu­zern ken­nen, schät­zen und of­fen­bar auch lie­ben ge­lernt hat­te. Sie blieb ihm treu er­ge­ben und folg­te ihm nach Mün­chen, Genf und schließ­lich nach Trib­schen, wo sie mög­li­cher­wei­se meh­re­re Wag­ner-Nach­kom­men zur Welt brachte.

Schö­nen Dank, lie­bes Vren­e­li, für Ih­ren gu­ten Brief an Frau v. B![3] – Da ich in die pünkt­li­che An­kunft der Köl­ner Geld­sen­dung nun Mis­trau­en setz­ten muss, er­gän­ze ich durch den bei­lie­gen­den klei­nen Wech­sel die letz­te Mie­th­zah­lungs­sum­me[4]. Das Ueb­ri­ge wer­den Sie für jetzt Al­les schön und voll­stän­dig ord­nen. – Die Fran­sen fol­gen erst noch; ich habe hier kein Vren­e­li mit die Pa­quete schnell zu be­sor­gen. – Zu den en­ge­ren Haus­bein­klei­dern neh­men Sie – wenn es noch reicht – von dem leich­ten Wie­ner Rosa-At­las. Wol­len Sie voll­ends, bis zu mei­ner eins­ti­gen Zu­rück­kunft[5], Al­les schön in Ord­nung brin­gen, so dass dann nichts mehr da­von vor­fällt, so könn­ten Sie auch von dem noch üb­ri­gen Pa­ri­ser blass-rosa At­las neue Vor­der­blät­ter zu dem glei­chen Ro­cke neh­men, da­mit die­ser auch wie­der neu wird, und von den da­für aus­fal­len­den al­ten Blät­tern die en­gen Ho­sen über­zie­hen. Sie se­hen, ich be­hal­te im­mer Al­les im Kopfe.
Auch könn­ten Sie – d.h. wenn es Sie nicht ver­driesst – von der schö­nen Rosa-De­cke die vier di­cken Spit­zen-Auf­sät­ze mit der Rose dar­in, die Sie zu­letzt ver­fer­tig­ten, wie­der fort­neh­men, und da­für ein­fach ei­nen Aus­putz von Ma­schen dar­auf set­zen, da­von ja noch ge­nü­gend Vor­rath da­sein muss. Die Spit­zen hät­ten Sie da­ge­gen wie­der zu ei­nem Klei­der-be­satz zu be­nut­zen, näm­lich für das Gel­be Kleid un­ten her­um über die Rü­che. – Im Ueb­ri­gen noch ver­schie­de­ne Sa­che­ts – und da­mit Punktum!

Auf die­se Putz­ma­cher-Auf­trä­ge fol­gen, fast noch­mal so lang, fa­mi­liä­re Mit­tei­lun­gen, die er mit ei­nem „Gott! Ich woll­te Ih­nen nur 2 Zei­len schrei­ben, und bin wie­der in’s Klat­schen ge­kom­men!“ und gu­ten Wün­schen be­en­det. Im Post­skrip­tum er­gänzt er noch:
P.S. aus Pa­ris  kommt eine Zu­sen­dung von Mus­tern: diess Pa­quet­chen schi­cken  Sie so­fort für mich an Mra­zecks[6]. – Adieu! Hab’ doch ’was vergessen? 
Ob das sein April­scherz für Vren­e­li war?

Ver­wen­de­te Li­te­ra­tur: Lud­wig Ku­sche, Ri­chard Wag­ner und die Putz­ma­che­rin oder Die Macht der Ver­leum­dung, Wil­helms­ha­ven 1967; Lutz Röh­rich, Le­xi­kon der sprich­wört­li­chen Re­dens­ar­ten, Frei­burg 197; Ri­chard Wag­ner, Sämt­li­che Brie­fe, Bd. 17 und Bd. 20., Wies­ba­den 2009 und 2018.

[1] Ei­nen um (auch in oder hin­ter) die Fich­te füh­ren: ihn hin­ters Licht füh­ren, täu­schen, eine mund­art­li­che Re­dens­art, die sich be­reits 1563 bei dem Pre­di­ger Ma­the­si­us in des­sen Schrift „Vom Ehe­stand und Haus­we­sen“ wie folgt fin­det: „wie der Da­li­la Lip­pen, die sü­ßer wa­ren denn hö­nig­sam, den the­w­ren held Sim­son umd die Fich­te füret“ – eine ge­ra­de auch für Opern­freun­de ein­präg­sa­me Erklärung.
[2] bom­for­zionös ist eine mund­art­li­che Ab­wand­lung von bon­ne force, wört­lich über­setzt gute Kraft, sinn­ge­mäß stark, her­vor­ra­gend, also groß­ar­tig. Wur­de 2011 durch Pu­bli­kums­ab­stim­mung zum schöns­ten säch­si­schen Wort des Jah­res ge­wählt – was will man mehr?
[3] Ant­wort auf ei­nen Brief der Adres­sa­tin an Co­si­ma von Bülow (1837–1930), die – der Voll­stän­dig­keit hal­ber sei es er­wähnt – am 1. April vor 92 Jah­ren in Bay­reuth starb.
[4] Der halb­jähr­li­che Miet­zins für das Land­haus in Trib­schen, zahl­bar zum 1. April und 1. Ok­to­ber, be­lief sich auf 1500 Gulden.
[5] Wag­ner reis­te am 20. April 1868 von Mün­chen zu­rück nach Tribschen.
[6] Anna und Franz Mra­zek wa­ren Be­diens­te­te Wag­ners wäh­rend sei­ner Wie­ner und Münch­ner Zeit.

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