Im Tetralogiemuseum

Alex­an­der Mül­ler-El­mau setzt mit der „Wal­kü­re“ sei­ne Neu­in­sze­nie­rung von Ri­chard Wag­ners „Ring“ am Lan­des­thea­ter Co­burg fort.

Wo­tan (Mi­cha­el Lion) und Brünn­hil­de (Åsa Jä­ger) im 3. Akt – Alle Sze­nen­fo­tos: An­ne­mo­ne Taake

Als das Lan­des­thea­ter Co­burg im Sep­tem­ber 2019 mit dem „Rhein­gold“ sei­ne „Ring“-Neuinszenierung star­te­te, war Co­ro­na noch ein Fremd­wort. Wie aus­gie­big es er­lernt wer­den muss­te, spie­gelt die Fort­schrei­bung des ehr­gei­zi­gen Pro­jekts. Der mehr­fach ver­scho­be­nen „Walküre“-Premiere stan­den bis ins Früh­jahr 2022 Hy­gie­ne- und Sperr­maß­nah­men ent­ge­gen, noch Mit­te März muss­te das Haus we­gen vie­ler In­fek­tio­nen in ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen so­gar kom­plett für vier Wo­chen ge­schlos­sen wer­den. Erst am 18. April hob sich end­lich der Vorhang.

Sieg­mund (Ro­man Pay­er) und Sieg­lin­de (Jes­si­ca Stavros) zu Be­ginn des 1. Akts

Die In­sze­nie­rung von Alex­an­der Mül­ler-El­mau folgt dem beim Vor­abend ein­ge­schla­ge­nen Kon­zept der ein­fa­chen und of­fe­nen Thea­ter­tech­nik, denn mit der letz­ten Auf­füh­rung der ers­ten „Walküre“-Serie am 26. Juni  läuft die Be­triebs­er­laub­nis für das drin­gend sa­nie­rungs­be­dürf­ti­ge, anno 1840 er­öff­ne­te klas­si­zis­ti­sche Haus ab. Wäh­rend der Ge­ne­ral­sa­nie­rung, de­ren Dau­er noch sehr un­ge­wiss ist, zieht das Thea­ter in die noch im Bau be­find­li­che In­te­rims­spiel­stät­te um, ein Rund­bau aus Holz, eine Art neu­zeit­li­ches Glo­be-Theat­re, was für Co­burg aus stadt­his­to­ri­schen Grün­den durch­aus naheliegt.

Sze­ne aus dem 1. Akt: von links Sieg­lin­de (Jes­si­ca Stavros), Hun­ding (Bar­to­sz Araszkie­wicz) und Sieg­mund (Ro­man Payer)

Die un­ter­schied­li­chen, teils be­schränk­ten Mög­lich­kei­ten an zwei Spiel­or­ten im Kopf, hat der Re­gis­seur als sein ei­ge­ner Büh­nen­bild­ner eine Lö­sung ge­fun­den, die nicht neu, aber prak­ti­ka­bel ist. Sein „Ring“ fin­det in ei­nem von Mar­kus Stretz wir­kungs­voll be­leuch­te­ten Thea­ter-Mu­se­um statt, mit Vi­tri­nen, die an zen­tra­len Stel­len be­spielt wer­den, mit ent­spre­chen­den Fund- und Ver­satz­stü­cken, teils my­thisch an­ge­haucht, teils Zi­ta­te aus an­de­ren Um­set­zun­gen der Te­tra­lo­gie, mit of­fe­nen Um­bau­ten auf der über­wie­gend schwarz aus­ge­häng­ten Büh­ne – und ein paar Be­su­chern samt Klappstühlen.

Sze­ne aus dem 2. Akt mit Fri­cka (Kora Pa­ve­lić) im Vordergrund

Wäh­rend Letz­te­res im „Rhein­gold“ noch über­zeu­gen­der ge­lang als in Tank­red Dorsts Bay­reu­ther In­sze­nie­rung, weil die „Be­su­cher“ eben nicht nur Rah­men- und Rand­fi­gu­ren, son­dern wie Erda auch Per­so­nen der Hand­lung wa­ren, wirkt die Ein­be­zie­hung von Sta­tis­ten dies­mal reich­lich be­müht. Beim Vor­spiel schaut sich eine Frau im Fern­se­hen eine Co­bur­ger „Rheingold“-Aufzeichnung an, geht im 1. Akt zum Kühl­schrank, um ge­nau­er zu se­hen, wie Sieg­lin­de den Nacht­trunk für Hun­ding auf­mischt, und ein ziem­lich ver­lo­ren wir­ken­der Jun­ge – laut Pro­gramm­heft be­reits der jun­ge Sieg­fried – darf im 2. Akt von Wo­tan, der wäh­rend sei­nes Dis­puts mit Fri­cka ei­nen ka­pi­ta­len Hirsch aus­ge­nom­men hat, das mäch­tig blu­ti­ge Tier­herz ent­ge­gen­neh­men. Der­lei Stell­ver­tre­ter­ak­tio­nen und sym­bol­haf­te Über­tra­gun­gen ver­feh­len das er­klär­te Ziel des Re­gis­seurs, durch die Prä­senz heu­ti­ger Men­schen den My­thos zum Le­ben zu erwecken.

Wo­tan (Mi­cha­el Lion) und Besucher-Statisten

Das ge­lingt den ei­gent­li­chen Prot­ago­nis­ten deut­lich bes­ser, weil sie in­ten­siv und dra­ma­tur­gisch zu­meist fol­ge­rich­tig ge­führt sind und zu­dem in den Kos­tü­men von Ju­lia Ka­sch­lin­ski glei­cher­ma­ßen im Thea­ter-My­thos als auch in der Ge­gen­wart und der spe­zi­fi­schen Äs­the­tik der In­sze­nie­rung gür­tel­fest ver­an­kert sind. Die bei­den Men­schen­män­ner tra­gen Rö­cke – Hun­ding kurz, mit schlag­wet­ter­fes­ter Mon­tur dar­über, Sieg­mund lang, mit ro­tem Hoo­die. Wo­tan in Wolfs­fell­man­tel, schä­bi­gem Un­ter­hemd und Hose ist der ele­gan­ten Fri­cka mit Glit­zer­col­lier und schwar­zer Abend­ro­be schon vom Out­fit her un­ter­le­gen, wäh­rend Brünn­hil­de mit blon­der Wisch­mopp­wu­schel-Pe­rü­cke ihr schwar­zes Kleid­chen mit wei­ßen Pet­ti­coats bei­na­he sprengt: ein di­ckes trot­zi­ges Kind, wie es im Bu­che steht und am Ende doch eine be­geh­rens­wer­te Frau.

Brünn­hil­de (Åsa Jä­ger ) und Sieg­mund (Ro­man Pay­er) im 2. Akt

Die schwarz­ge­stie­fel­ten Wal­kü­ren in wei­ßen Rö­cken und Le­der­zier­rat, Misch­far­ben am Kopf und Lang­haarskalps auf ei­ner Schul­ter sind eine schau­keln­de Hor­de wild­ge­wor­de­ner Back­fi­sche aus der Pun­ker-Sze­ne, die sich of­fen­bar in ein weiß-ro­tes Schütt­bild à la Her­mann Nit­sch ver­irrt ha­ben. Im Müller-Elmau’schen Te­tra­lo­gie­mu­se­um ist eben al­les mög­lich, auch eine Mi­ni­re­plik des un­ver­gess­li­chen Ku­gel­pen­dels von Ri­chard Pe­duz­zi im Bay­reu­ther „Jahr­hun­dert-Ring“, das hier aber funk­ti­ons­lo­ses Zi­tat bleibt.

Sze­ne vom Ende des 2. Akts mit Brünn­hil­de (Åsa Jä­ger) und Hun­ding (Bar­to­sz Araszkie­wicz) im Vordergrund

Die Fi­gu­ren­zeich­nung ist psy­cho­lo­gisch schlüs­sig. Der sicht­lich her­un­ter­ge­kom­me­ne, gräm­lich graue Wo­tan ist ein deut­lich im Ab­stieg be­grif­fe­nes Al­pha­tier, wäh­rend Fri­cka ver­sucht, selbst dann noch Con­ten­an­ce zu wah­ren, wenn der igno­rant-her­ri­sche Gat­te den to­ten Hirsch schließ­lich auf­hängt vor dem un­heil­schwan­ge­ren Erd­ku­gel­bild – ein ge­schei­ter­ter Gott, der nach dem ge­op­fer­ten Sohn nur mehr sei­ne Lieb­lings­toch­ter und den noch un­ge­bo­re­nen En­kel zu ver­lie­ren hat. Lei­der wird das mit ei­nem über­gro­ßen Fin­ger­zeig be­bil­dert, lei­der hat der Re­gis­seur zu Be­ginn der To­des­ver­kün­dung nicht ge­hört, dass die­se Mu­sik den Auf­tritt Brünn­hil­des aus­malt und nicht die Für­sorg­lich­keit Siegmunds.

Wo­tan (Mi­cha­el Lion) und Brünn­hil­de (Åsa Jä­ger) im 3. Akt 

Das sind ver­gleichs­wei­se klei­ne Ein­wän­de, zu­mal in Co­burg über­zeu­gen­de Sän­ger­schau­spie­ler am Werk sind, trotz der Rol­len­de­büts. Un­ter den En­sem­ble­mit­glie­dern ge­bührt Mi­cha­el Lion als ein­dring­lich und klug ge­stal­ten­dem Wo­tan die Kro­ne, Kora Pa­ve­lić als sou­ve­rä­ne Fri­cka so­wie Bar­to­sz Araszkie­wicz als mar­kan­ter Hun­ding ste­hen ihm kaum nach. Un­ter den Gast­so­lis­ten rag­te bei der Pre­mie­re vor al­lem eine her­aus: Åsa Jä­ger als Brünn­hil­de. Die jun­ge Schwe­din be­wäl­tigt die Par­tie (bis auf zwei klei­ne Aus­set­zer an die­sem Abend) eben nicht nur auf­fal­lend wort­ver­ständ­lich, son­dern singt schon ihr ers­tes Ho­jo­to­ho mit so viel quir­li­ger Leich­tig­keit, Hö­hen­si­cher­heit und Durch­schlags­kraft, dass es eine wah­re Freu­de ist. Auch dar­stel­le­risch ge­lingt ihr ein be­zwin­gen­des Rol­len­por­trät, das Kon­zen­tra­ti­on, Kraft, Ta­lent und Mut er­for­dert. Bra­vou­rös, ein Glücks­fall von ei­nem Wo­tans­kind! Scha­de, dass des­sen Halb­ge­schwis­ter nicht eben­so über­zeu­gen konn­ten. Ro­man Pay­er, in Co­burg als Flo­re­stan, Par­si­fal und Pe­ter Gri­mes um­ju­belt, hat­te als Sieg­mund stimm­lich nicht sei­nen bes­ten Tag, war aber dar­stel­le­risch umso be­we­gen­der, wäh­rend die bes­ser dis­po­nier­te Jes­si­ca Stavros als Sieg­lin­de als Fi­gur eher blass blieb.

Brünn­hil­de (Åsa Jä­ger) im Feuerzauber

Dass die wild schau­keln­den Wal­kü­ren, von de­nen es lei­der kein Pres­se­fo­to gibt, ihre Sa­che gut mach­ten, ist selbst­re­dend auch dem neu­en Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Da­ni­el Car­ter zu dan­ken, der mit Über­sicht und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen die Tour de Force wagt, Wag­ners „Wal­kü­re“ mit nur 58 Or­ches­ter­mu­si­kern auf­zu­füh­ren. Die ge­wohn­te Klang­fül­le darf nie­mand er­war­ten, denn vor al­lem die Strei­cher sind re­du­ziert. Da­für er­mög­licht die Les­sing-Fas­sung von 1943 mit drei­fa­chem Holz, sechs Hör­nern, vier Wag­ner­tu­ben und ei­ner Bass­trom­pe­te, an­ge­rei­chert mit ei­ni­gen De­tails aus der frü­hen Co­bur­ger Fas­sung von 1906/07, vie­le un­ter­schied­li­che Klang­far­ben. Was den In­stru­men­ta­lis­ten an manch kam­mer­mu­si­ka­li­scher Stel­le bei lang­sa­me­ren Tem­pi noch fehl­te, ist das Quänt­chen zu­sätz­li­cher En­er­gie. Das kann ja noch kom­men! Um die Fort­set­zung des Co­bur­ger „Rings“ muss ei­nem nur in­so­fern bang sein, als der Glo­be-Er­satz­bau zwar schon steht, aber noch lan­ge nicht fer­tig ist.

Be­such­te Pre­mie­re am 18. April, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 26. Mai, 5., 16. und 26. Juni 2022. Kar­ten­in­fo auf der Home­page des Landestheaters