Daniel Carter, der geborene Operndirigent

Ein ziem­lich per­sön­li­cher Be­richt über das „Ring“-Gespräch 1 mit Da­ni­el Car­ter und Bern­hard F. Lo­ges vom Lan­des­thea­ter Co­burg am 11. April im Kufa-Saal .

Thea­ter­men­schen sind das ge­wöhnt: das War­ten auf den Auf­tritt. – Alle Fo­tos: Ro­land Gröber

Ges­tern Abend war ein ganz be­son­de­rer Abend, denn wir durf­ten im Ge­spräch mit In­ten­dant Dr. Bern­hard F. Lo­ges den Co­bur­ger Di­ri­gen­ten Da­ni­el Car­ter er­le­ben. Der 33-jäh­ri­ge Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor ist so ziem­lich das Ge­gen­teil von die­sem nicht nur Re­spekt hei­schen­den, son­dern ei­gent­lich mar­tia­li­schen Ti­tel. Wie sich aus sei­nen un­ver­stellt fri­schen Schil­de­run­gen in per­fek­tem Deutsch er­gab, ist der aus Aus­tra­li­en und ei­ner nicht mu­si­ka­li­schen Fa­mi­lie in Syd­ney stam­men­de Mu­si­ker ein­fach ein noch jun­ger Mensch, dem es mit viel Aus­dau­er, Be­har­rungs­kraft, Fleiß, Hin­ga­be und Lie­be, mit sehr viel Ta­lent und der not­wen­di­gen Por­ti­on Glück ge­lun­gen ist, ge­nau das zu wer­den, was er schon als Kind wer­den woll­te: ein Operndirigent.

Ein der­art prä­zi­ser Be­rufs­wunsch ist eher eine Aus­nah­me. Und es ist kein Zu­fall, wenn die Po­si­ti­on ei­nes Di­ri­gen­ten au­to­ma­tisch mit ei­ner star­ken Macht­stel­lung gleich­ge­setzt wird. Doch das ist es eben nicht, was Da­ni­el Car­ter an sei­nem jet­zi­gen Pos­ten in­ter­es­siert. Zwar spricht er, wenn es sein muss, auch mal ein Macht­wort, aber in ers­ter Li­nie geht es ihm dar­um, ge­mein­sam mit den In­stru­men­ta­lis­ten, Chor­sän­gern, So­lis­ten und Sze­ni­kern so gut, so über­zeu­gend, so wort­ver­ständ­lich wie mög­lich eine Opern­auf­füh­rung zu rea­li­sie­ren. Selbst wenn er in­zwi­schen auch ger­ne sym­pho­ni­sche Kon­zer­te di­ri­giert, bleibt der sin­gen­de und spie­len­de Mensch auf der Büh­ne, der dem Pu­bli­kum zu­sam­men mit dem Or­ches­ter et­was zu er­zäh­len hat, für ihn im Mittelpunkt.

Dass es da­bei in der Pra­xis schier un­über­wind­ba­re Hin­der­nis­se gibt, spornt ihn eher an als dass es ihn ent­mu­ti­gen wür­de. Und da­mit ist er – nach dem Stu­di­um (Kla­vier und Kom­po­si­ti­on) und sei­nen Kor­re­pe­ti­to­ren-, As­sis­ten­ten- und Ka­pell­meis­ter­jah­ren in Mel­bourne, Ham­burg, Ber­lin und Frei­burg –  seit Fe­bru­ar 2021 am Lan­des­thea­ter Co­burg als des­sen mu­si­ka­li­scher Chef ge­nau der rich­ti­ge Mann, um nach den ge­ge­be­nen Co­ro­na-Pro­ble­men den ver­scho­be­nen, jetzt aber be­vor­ste­hen­den Um­zug in die Glo­be-In­te­rims­spiel­stät­te un­er­schro­cken anzugehen.

Da­ni­el Car­ter (links) und Bern­hard F. Lo­ges in ih­rer Sitz­ecke auf der Büh­ne des Kufa-Saals.

Und na­tür­lich das „Ring“-Projekt, das er von sei­nem noch das „Rhein­gold“ di­ri­gie­ren­den Vor­gän­ger Ro­land Klut­tig über­nom­men hat. Wie sich beim Auf­füh­rungs­zy­klus der „Wal­kü­re“ und ak­tu­ell bei den „Siegfried“-Vorstellungen ge­zeigt hat, be­sitzt Car­ter un­ter an­de­rem ein sehr gro­ßes Ge­spür für das Po­ten­zi­al von Sän­gern, was sich bei ei­ner „Ring“-Besetzung mit fast aus­schließ­lich Rol­len­de­bü­tan­ten hör­bar aus­zahlt. Er und In­ten­dant Lo­ges ha­ben vor al­lem mit den En­ga­ge­ments der Gast­so­lis­ten Åsa Jä­ger (Brünn­hil­de) und Pa­trick Cook (Sieg­fried) bei al­lem Ver­trau­en viel ge­wagt und al­les gewonnen.

Zwar konn­te der ame­ri­ka­ni­sche Te­nor, den Car­ter schon als Sieg­fried-Co­ver in der ak­tu­el­len „Ring“-Produktion an der Deut­schen Oper Ber­lin kann­te, nach ei­ner In­fek­ti­on die Pre­mie­re noch nicht kom­plett sin­gen – die von al­len Hel­den­te­nö­ren ge­fürch­te­te Schluss­sze­ne mit der stimm­lich aus­ge­ruh­ten Brünn­hil­de über­nahm Zol­tán Nyá­ri, der schon zwei­ein­halb Akte lang ein­spring­be­reit als „Be­su­cher“ mit auf der Büh­ne war –, aber in den fol­gen­den Auf­füh­run­gen stell­te Cook sou­ve­rän un­ter Be­weis, dass die Ent­schei­dung für sein Rol­len­de­büt die rich­ti­ge war.

Blick vom Zu­schau­er­raum auf die Bühne

„Es scheint mir Licht­jah­re her zu sein“, stell­te ich bei der Be­grü­ßung am Diens­tag im Kufa-Saal fest, „dass ich – auch in Bay­reuth – eine ‚Siegfried‘-Aufführung er­lebt habe, bei der der Ti­tel­held nie­mals spar­te und den­noch im Schluss­akt zu ei­ner aus­ge­ruh­ten und stimm­lich phä­no­me­na­len Brünn­hil­de auf­schlie­ßen konn­te. Pa­trick Cook heißt der Mann, ein Name, den man sich mer­ken sollte.“

Das gilt eben­so für die jun­ge schwe­di­sche Sän­ge­rin Åsa Jä­ger, die vor Co­burg so gut wie kei­ne Büh­nen­er­fah­rung hat­te und sich auf An­hieb das Pu­bli­kum sin­gend und spie­lend er­obert hat. „Ein Glücks­fall von ei­nem Wo­tans­kind“, schrieb ich be­reits nach der Walküre“-Premiere. Der Glücks­fall hat sich bei den „Siegfried“-Vorstellungen wie­der ein­ge­stellt und fin­det be­stimmt auch bei der vor­läu­fig letz­ten Auf­füh­rung am 23. April sei­ne Fort­set­zung, die ich eben­falls be­su­chen wer­de, weil ich zu­dem süch­tig bin nach dem, was für ei­nen Wag­ner Da­ni­el Car­ter und das Co­bur­ger Or­ches­ter aus sich herausholen.

Da­ni­el Carter

Da ist ei­ner­seits so viel kost­ba­re In­ti­mi­tät und Kam­mer­spiel­haf­tig­keit, die mit den stark re­du­zier­ten Strei­chern umso schwie­ri­ger her­zu­stel­len ist. And­rer­seits und vor al­lem im 3. Akt der dann zu­sätz­lich über­sat­te, noch dich­te­re vol­le Wag­ner­klang, wie ihn nur die hier ge­spiel­te Les­sing-Fas­sung an ei­nem klei­ne­ren Haus mit sehr be­schränk­tem Or­ches­ter­gra­ben mög­lich macht. (Zur Auf­füh­rungs­pra­xis gibt es ein viel­sa­gen­des Vi­deo des Lan­des­thea­ters, auf dem sich Da­ni­el Car­ter, der üb­ri­gens noch kei­ne Auf­füh­rung im Bay­reu­ther Fest­spiel­haus er­lebt hat, und Mar­tin Em­me­rich, 1. Gei­ger des Phil­har­mo­ni­schen Or­ches­ters und seit letz­tem Som­mer Mit­glied des Fest­spiel­or­ches­ters, dazu austauschen.)

Da­ni­el Car­ter, Bern­hard F. Lo­ges und Ri­chard Wagner!

Was die­sen Ge­sprächs­abend im Kufa-Saal so herz­er­wär­mend mach­te, lag ganz ein­fach dar­in, dass die bei­den Prot­ago­nis­ten in ih­rer Sitz­ecke auf der Büh­ne auf ganz un­ter­schied­li­che Wei­se zeig­ten, dass und wie sie für die Oper bren­nen. Es war nicht zu über­hö­ren und zu über­se­hen, dass Da­ni­el Car­ter ganz ein­fach sehr glück­lich ist, dass er im Opern­mek­ka Deutsch­land Di­ri­gent und ein Team­play­er sein darf. Ein Mensch, für den Mu­sik­thea­ter al­les und eben die Welt be­deu­tet und der so eins sein kann mit sei­nem Be­ruf, sei­ner Be­ru­fung, ist auch und ge­ra­de im Kul­tur­busi­ness selten.

Der we­ni­ger glück­li­che Noch-In­ten­dant Bern­hard Lo­ges, der zum Spiel­zei­ten­de das Lan­des­thea­ter ver­lässt, stell­te nicht nur die rich­ti­gen Fra­gen an Car­ter, son­dern ließ im­mer wie­der auch sei­ne Für­sorg­lich­keit, sein Mit- und Wei­ter­den­ken und viel Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein er­ken­nen. War­um of­fen­bar ver­blen­de­te Lo­kal­po­li­ti­ker sei­nen In­ten­dan­ten­ver­trag in Co­burg nicht ver­län­gert ha­ben, bleibt an­ge­sichts der an­ste­hen­den Ver­än­de­run­gen mit Er­satz­bau, Um­zug und Re­no­vie­rung voll­kom­men un­ver­ständ­lich. Es ist ein Jam­mer, zu­mal Lo­ges zu­letzt auch mit ei­ge­nen In­sze­nie­run­gen viel Qua­li­tät ins Haus ge­bracht hat, ab­zu­le­sen an der noch ge­spiel­ten „Lu­cia di Lam­mer­moor“ (19., 25. und 30. April) und bei ei­nem Gast­spiel des Lan­des­thea­ters mit „The Rake’s Pro­gress“ am 17. Juni im Stadt­thea­ter Fürth. „Wis­sen die Co­bur­ger“, frag­te mich nach der Ver­an­stal­tung ein Be­su­cher, „was sie da an her­vor­ra­gen­den Per­so­nen – noch – an der Spit­ze ih­res Thea­ters ha­ben?“ Ich fürch­te nein.

Nach der Ver­an­stal­tung von links Bern­hard F. Lo­ges, Da­ni­el Car­ter und Mo­ni­ka Beer.  Alle Fo­tos: Ro­land Gröber