Einfach und bestechend gut

Am Lan­des­thea­ter Co­burg ent­steht eine Neu­in­sze­nie­rung von Ri­chard Wag­ners „Ring des Ni­be­lun­gen“. Der Auf­takt mit dem „Rhein­gold“ ist mehr als vielversprechend.

„Ih­rem Ende ei­len sie zu, die so stark im Be­stehen sich wäh­nen“: Schluss-Bild der Co­bur­ger „Rheingold“-Inszenierung – Alle Sze­nen­fo­tos: Se­bas­ti­an Buff

Es ist mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert her, als Ri­chard Wag­ners „Ring“-Tetralogie zu­letzt am Co­bur­ger Thea­ter kom­plett auf­ge­führt wur­de. Dem wird jetzt peu à peu ab­ge­hol­fen: Die Neu­in­sze­nie­rung von „Das Rhein­gold“, dem Vor­abend des Vier­tei­lers, hat­te be­reits Pre­mie­re, in den kom­men­den drei Spiel­zei­ten wer­den suk­zes­si­ve die wei­te­ren Tei­le fol­gen. Wenn sie so ge­lin­gen wie der Auf­takt, dann kön­nen alle Opern- und Wag­ner­freun­de sich freuen.

Dass die­ser „Ring“ ein Lang­zeit­pro­jekt ist, liegt nicht nur dar­an, dass eine Neu­pro­duk­ti­on des Mam­mut­werks auch an ganz gro­ßen Häu­sern – mit Aus­nah­me der Bay­reu­ther Fest­spie­le – meis­tens erst in min­des­tens zwei Sai­sons kom­plett ist. In Co­burg än­dert sich dar­über hin­aus die Raum­si­tua­ti­on: So­bald die längst fäl­li­ge Sa­nie­rung des Lan­des­thea­ters be­ginnt, müs­sen die In­sze­nie­run­gen in den Über­gangs­bau um­zie­hen kön­nen, ins ge­plan­te Glo­be am Güterbahnhof.

In­ten­dant Bern­hard F. Lo­ges konn­te für die­se be­son­de­re Her­aus­for­de­rung kaum ei­nen bes­se­ren Ver­ant­wort­li­chen fin­den als Alex­an­der Mül­ler-El­mau. Der 57-jäh­ri­ge Au­tor, Büh­nen­bild­ner und Re­gis­seur hat ein sze­ni­sches und bild­ne­ri­sches Kon­zept er­ar­bei­tet, das ei­ner­seits be­stechend ist in sei­ner Ein­fach­heit und Prak­ti­ka­bi­li­tät, an­de­rer­seits sze­nisch und äs­the­tisch so pa­ckend ge­lingt, dass ei­nem um die Fort­set­zung be­stimmt nicht ban­ge ist.

Sze­ne aus dem 4. Bild mit Freia (Olga Shurs­hi­na) auf dem Hub­po­di­um so­wie den Göt­tern, Rie­sen und Statisten 

Der schlich­te Ein­heits­raum mit ver­schie­de­nen, mal eher abs­trak­ten, mal kon­kre­ten Ele­men­ten, die in al­len vier Tei­len vor­kom­men wer­den, zeigt ganz of­fen Thea­ter­tech­nik und wird nicht nur mit den Per­so­nen der Hand­lung, son­dern auch mit ein paar Zeit­ge­nos­sen aus dem Hier und Jetzt be­völ­kert. Letz­te­res hat be­kannt­lich schon Tank­red Dorst in sei­ner Bay­reu­ther „Ring“-Inszenierung 2006 ver­sucht – al­ler­dings wir­kungs­los, weil Sta­tis­ten und die Fi­gu­ren der Hand­lung im­mer nur am Be­ginn und Ende ei­nes Akts an­ein­an­der vor­bei agierten.

Mül­ler-El­maus Lö­sung über­zeugt da schon we­sent­lich mehr. Denn im „Rhein­gold“ wird zu­min­dest eine Sta­tis­tin – mehr soll nicht ver­ra­ten wer­den – durch den Halb­gott Loge fast un­be­merkt und spie­le­risch in die Hand­lung hin­ein­ge­zo­gen und ent­puppt sich spä­ter als eine we­sent­li­che Fi­gur. Man darf ge­spannt sein, ob und wie die­ser sze­ni­sche Kunst­griff sich in den wei­te­ren „Ring“-Werken nie­der­schlägt. Und hof­fent­lich nicht über­stra­pa­ziert wird.

Der Ein­bruch der Ge­gen­wart in die Göt­ter­welt ist von vorn­her­ein und ganz bei­läu­fig ge­ge­ben. Gleich­wohl ent­steht im­mer wie­der eine At­mo­sphä­re, die auf den zeit­lo­sen My­thos ver­weist. Die In­sze­nie­rung schafft das op­tisch – ohne die heut­zu­ta­ge an­geb­lich un­ver­zicht­ba­ren Vi­de­os – dank der we­ni­gen, aber be­ein­dru­cken­den Büh­nen­bild­ele­men­te und eben­sol­cher Be­leuch­tungs­ef­fek­te (Licht­de­sign: Mar­kus Stretz).

Loge (Si­me­on Es­per links) und Al­be­rich (Mar­tin Trepl) in der Ver­wand­lungs­sze­ne in Nibelheim

Das Bild­mo­tiv, das am stärks­ten haf­ten bleibt, ist das erst hand­lich klei­ne gol­de­ne Rhein­gold-Ge­hirn, das spä­ter in Ni­bel­heim statt­li­che Aus­ma­ße an­nimmt und in­halt­li­che As­so­zia­tio­nen in meh­re­re Rich­tun­gen er­mög­licht. Dass mit Aus­nah­me von Al­be­rich und Mime kei­ne Ni­be­lun­gen auf der Büh­ne sind, fällt nicht wei­ter auf, denn sie sit­zen letzt­lich im Zu­schau­er­raum, sprich: Der Re­gis­seur lässt die Ak­teu­re im­mer wie­der auch das Pu­bli­kum di­rekt an­spre­chen und ver­su­chen, es mit einzubeziehen.

Bei all ih­rer Mo­der­ni­tät knüp­fen auch die Kos­tü­me (Ju­lia Ka­sch­lin­ski) in De­tails an die Re­zep­ti­ons­ge­schich­te an und klop­fen gleich­zei­tig, ohne auf­dring­lich zu sein, gen­der­mä­ßig an: Die Schwarz­al­ben so­wie der Halb­gott Loge tra­gen Ar­beits- bzw. Gla­mour-Rö­cke, Don­ner und Froh stö­ckeln auf High Heels, und die Göt­tin­nen sind der­art de­kol­le­tiert, dass man ei­nen Zwang da­hin­ter zu se­hen ver­meint. Aber auch die Her­ren zei­gen viel Haut.

Die Rhein­töch­ter in den schwe­ben­den Aus­stel­lungs­vi­tri­nen zu Be­ginn wis­sen zwar in ih­ren spek­ta­ku­lär be­leuch­te­ten Plis­see­ge­wän­dern flie­ßen­de Schön­heit zu sug­ge­rie­ren, ihre ge­rö­te­ten Au­gen spre­chen je­doch eine an­de­re Spra­che. Und am Schluss, wenn die Göt­ter Scham­pus trin­kend ih­rem Ende auf ei­nem Hub­po­di­um ste­hend ent­ge­gen ei­len, sind die drei Rhein­töch­ter zwar noch ge­stie­felt, tra­gen aber Nacktkostüme.

Die aus ih­ren Vi­tri­nen ent­schlüpf­ten Rhein­töch­ter, der am Bo­den krie­chen­de Al­be­rich und die im Hin­ter­grund sit­zen­den Statisten
Mi­cha­el Lion als Wotan

Dass der Lack ir­gend­wie schon ab ist, sieht man auch Wo­tan an. Sein Pelz­man­tel macht schon was her, aber mit dem tief aus­ge­schnit­te­nen wei­ßen T-Shirt drun­ter und den Wan­der­schu­hen hin­ter­lässt der Göt­ter­va­ter ei­nen nicht mehr le­ge­ren, son­dern ram­po­nier­ten Ein­druck. Wo bleibt da die bei ei­nem solch her­ri­schen Al­pha­tier doch stark zu ver­mu­ten­de Ei­tel­keit? Hier wäre op­tisch et­was nach­zu­bes­sern, stimm­lich ist hin­ge­gen bei Mi­cha­el Lion Gott sei Dank al­les im grü­nen Bereich!

Der Co­bur­ger Loge ist ohne jeg­li­chen Ein­wand ein Thea­ter­coup, und zwar in je­der Hin­sicht. Denn Si­me­on Es­per als Gast ver­kör­pert und singt den zwie­lich­ti­gen Halb­gott so ge­konnt, dass er al­lein schon die Fahrt ins Lan­des­thea­ter wert wäre. Er ist nicht nur ge­schminkt wie der Jo­ker aus le­gen­dä­ren und ak­tu­el­len Hol­ly­wood-Ver­fil­mun­gen, son­dern sieht, was be­stimmt kein Nach­teil ist, aus wie eine Mi­schung aus John Clee­se und Ge­or­ge Clooney.

Der reich­lich tä­to­wier­te Loge (Si­me­on Es­pen) mit der Lei­che des Rie­sen Fa­solt und Wo­tans Rabenjunge

Die Ak­ku­ra­tes­se, mit der Es­per sich be­wegt und singt, spricht für sein Kön­nen – und das Kön­nen des Re­gis­seurs, der das Po­ten­ti­al sei­ner Prot­ago­nis­ten er­kennt und gut zu nut­zen weiß. Auch Dirk Mestma­chers Mime, die Fri­cka von Kora Pa­ve­lic und Mar­vin Zo­bels Don­ner sind da­für si­gni­fi­kan­te Bei­spie­le. Und na­tür­lich Mar­tin Trepl als Al­be­rich, der ei­gent­lich Chor­mit­glied ist, bei der Pre­mie­re am 29. Sep­tem­ber noch zu viel Lam­pen­fie­ber hat­te, aber hör­bar und sicht­lich das Zeug für die­se Haupt­rol­le hat.

Ne­ben wei­te­ren ak­tu­el­len und frü­he­ren En­sem­ble­mit­glie­dern ist vor al­lem Gast­so­lis­tin Eve­lyn Kra­he als Erda eine Wucht. Dass es un­ter den Sta­tis­ten auch ei­nen Ra­ben­jun­gen gibt, ist ein schö­ner Ein­fall, denn Hu­gin und Mu­nin aus der nor­di­schen My­tho­lo­gie ste­hen für Ge­dan­ke, Sinn und Er­in­ne­rung, die das Bild des schwe­ben­den Ge­hirns er­gän­zen. Scha­de, dass Göt­ter­chef Wo­tan es nicht ganz schafft, den Jun­gen schein­bar an­stren­gungs­los zu tragen.

Apro­pos: Auch Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Ro­land Klut­tig und dem Phil­har­mo­ni­schen Or­ches­ter fehl­te bei der ers­ten Auf­füh­rung der Pro­duk­ti­on noch et­was von der Leich­tig­keit und Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der die Mu­si­ker die bis­he­ri­gen Wag­ner-Her­aus­for­de­run­gen an­ge­gan­gen sind. Doch schon in der zwei­ten Vor­stel­lung stimm­ten Ti­ming und Ko­or­di­na­ti­on mit den Stim­men von Sän­gern und Solo-In­stru­men­ten, und auch der Or­ches­ter­klang ge­lang fast durch­gän­gig be­ein­dru­ckend. Üb­ri­gens mit Jus­tus Böhm, dem Sti­pen­dia­ten 2018 des Ri­chard-Wag­ner-Ver­bands Bam­berg, am Kontrabass!

Ge­spielt wird eine Misch­ver­si­on aus der be­rühm­ten Co­bur­ger Fas­sung von Al­fons Ab­bas aus dem Jahr 1906 (die mit 47 In­stru­men­ten aus­kam) und der 1943 ent­stan­de­nen Fas­sung des da­ma­li­gen Co­bur­ger Di­ri­gen­ten mit dem über­aus klang­vol­len Na­men Gott­hold Ephra­im Les­sing (der ei­nen grö­ße­ren Blä­ser­satz mit Wag­ner­tu­ben und Bass­trom­pe­te ein­ge­bracht hat). Schon bei der Pre­mie­re war der Bei­fall groß, bei der eben­falls be­such­ten zwei­ten Vor­stel­lung woll­te das rhyth­mi­sche Klat­schen des Pu­bli­kums aus gu­ten Grün­den gar nicht mehr auf­hö­ren. Also nichts wie hin, nach Coburg!

Be­such­te Pre­mie­re am 29. Sep­tem­ber und 2. Vor­stel­lung am 3. Ok­to­ber. Wei­te­re Auf­füh­run­gen am 20. Ok­to­ber, 1. und 20. No­vem­ber, 4. De­zem­ber 2019 so­wie am 9. und 31. Ja­nu­ar 2020. Kar­ten-Te­le­fon 09561/89 89 89, In­fos auf der Home­page des Theaters

Die Göt­ter fei­ern sich sel­ber, alle an­de­ren schau­en eher be­dröp­pelt zu.