Für Carl Maria von Weber komponierte Richard Wagner eigens zwei Werke, die zur endgültigen Bestattung Webers am 15. Dezember 1844 im Friedhof Dresden-Friedrichstadt uraufgeführt wurden.
„Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt, als Du!“ So begann Richard Wagner am 15. Dezember 1844 seine Rede an Carl Maria von Webers letzter Ruhestätte. Wobei dem Wort „letzte“ mehr Bedeutung zukommt als sonst, war doch der von ihm bewunderte Komponist und Dirigent bereits achtzehn Jahre zuvor gestorben: am 5. Juni 1826 in London, kurz nach der Uraufführung seiner Oper „Oberon“. Weber wurde am 21. Juni 1826 in einem Bleisarg zunächst in einer Gruft der römisch-katholischen Kirche St. Mary Moorfields begraben. Erst 1844 kamen seine sterblichen Überreste auch auf Betreiben Wagners nach Dresden und wurden auf dem Alten Katholischen Friedhof beigesetzt.
Wenn man Wagners autobiografischer Skizze glauben darf, hat er ihn schon als Kind bewundert: „Ich sah Weber oft vor unserm Hause vorbeigehen, wenn er aus den Proben kam; stets betrachtete ich ihn mit heiliger Scheu. Ein Hauslehrer, der mir den Cornelius Nepos explizirte, mußte mir endlich auch Klavierstunden geben; kaum war ich über die ersten Fingerübungen hinaus, so studirte ich mir heimlich, zuerst ohne Noten, die Ouvertüre zum Freischütz ein; mein Lehrer hörte das einmal und sagte: aus mir würde nichts. Er hatte recht, ich habe in meinem Leben nicht Klavierspielen gelernt.“
Was nachweislich auch viele andere bezeugten. Vom „Freischütz“ freilich, von Webers „Euryanthe“ und gerade auch von der „Oberon“-Ouvertüre hat Wagner viel gelernt. So versteht sich auch sein Engagement um die Überführung von Webers Sarg nach Dresden, die schon seit 1841 ein eigens dafür gegründetes Komitee betrieben hatte, dessen Mitglied Wagner war. Der Plan stieß zunächst auf unerwartete bürokratische Hürden, dann verzögerte sich die geplante Feier, weil das Schiff mit dem Sarg auf der Elbe eingefroren war. Per Bahn kam die Asche Webers schließlich am Abend des 14. Dezember 1844 nach Dresden.
„Vom Bahnhof“, schreibt Martin Gregor-Dellin in seiner Wagner-Biografie, „bewegte sich der Kondukt, geleitet von tausend Fackeln, unter den Klängen des Wagner-Weber’schen Euryanthe-Marsches zur Kapelle des katholischen Friedhofs, wo Wilhelmine Schröder-Devrient den Sarg empfing und Wagner gegenüberstand. (…) Am nächsten Vormittag sprachen an der Gruft zunächst Direktor Schulz als Vorsitzender des Komitees, danach Richard Wagner, der von seinen eigenen Worten und der Wirkung seiner Stimme in solche Selbstergriffenheit davongetragen wurde, dass er sich nicht nur zu hören, sondern auch, aus sich herausversetzt, der atemlos lauschenden Menge gegenüber zu sehen meinte.“ Woraufhin ihm der berühmte Schauspieler Emil Devrient versicherte, „wie er nicht nur als Teilnehmer der ergreifendsten Leichenfeier, sondern namentlich auch als dramatischer Redner von dem Vorgange auf das erstaunlichste imprimiert worden sei.“
In den zeitgenössischen Berichten von den Beisetzungsfeierlichkeiten wurde laut Gregor-Dellin Wagners Name „überhaupt nur als Verfasser der Trauermusik und des Männerchors ‚Hebt an den Sang‘ genannt. Den Trauermarsch nach Motiven aus Euryanthe setzte er für achtzig Bläser, die er bei den Proben zur besseren Einstudierung der Wirkung auf der ausgeräumten Bühne des Theaters im Kreis um sich hergehen ließ.“ Er hatte die beiden Stücke, die im Wagner-Werk-Verzeichnis die Nummern 72 und 73 tragen, in der ersten Novemberhälfte 1844 komponiert und getextet. „An Webers Grabe“, der Gesang für Männerchor in Des-Dur, wurde als Abschluss der Bestattungsfeierlichkeiten gesungen:
Hebt an den Sang, ihr Zeugen dieser Stunde,
Die uns so ernst, so feierlich erregt!
Dem Wort, den Tönen jetzt vertrau’t die Kunde
Des Hochgefühl’s, das unsre Brust bewegt!
Nicht trauert mehr die deutsche Mutter Erde
Um den geliebten, weit entrückten Sohn;
Nicht blickt sie mehr mit sehnender Gebärde
Hin über’s Meer zum fernen Albion: –
Auf’s Neu‘ nahm sie ihn auf in ihren Schooß,
Den einst sie aussandt‘ edel, mild und groß.
Hier, wo der Trauer stumme Zähren flossen,
Wo Liebe noch das Theuerste beweint,
Hier ward von uns ein edler Bund geschlossen,
Der uns um ihn, den Herrlichen, vereint:
Hier wallet her, des Bundes Treugenossen,
Hier grüßet euch als fromme Pilgerschaar;
Die schönsten Blüthen, die dem Bund entsprossen,
Bringt opfernd dieser edlen Stätte dar:
Denn hier ruh‘ Er, bewundert und geliebt,
Der unsrem Bund der Weihe Segen giebt.
Auch viel später, in Cosima Wagners Tagebüchern, schlagen sich diese Begräbnisfeierlichkeiten noch nieder. Als Wagner samt Frau und den Kindern Eva und Siegfried im September 1881 zur Zahnbehandlung bei Dr. Jenkins nach Dresden kam, schreibt sie zum Sonnabend 10ten: „R. hatte eine unruhige Nacht, er bestellt den Zahnarzt ab. Wir speisen bei uns und fahren dann nach dem Kirchhof, um Weber’s Grab zu besuchen, dann gehen wir nach Marcolini; R. zeigt uns alle Plätze, die ihm vertraut, auch das schöne Neptun-Bassin; erzählt von dem Besuch meines Vaters da – und es freut mich, dass Lohengrin in dem schönen Raum vollendet wurde. Er zeigte vorher den Weg, den das Leich[en]begängnis Weber’s genommen. So wird dieses Dresden mir förmlich heimatlich!“
Und um noch einmal aus der Grabrede zu zitieren, heißt es dort weiter: „Wohin Dich auch Dein Genius trug, in welches ferne, bodenlose Reich der Phantasie, immer doch blieb er mit jenen tausend zarten Fasern an dieses deutsche Volksherz gekettet, mit dem er weinte und lachte, wie ein gläubiges Kind, wenn es den Sagen und Märchen der Heimath lauscht. (…) Noch einmal, scheltet uns nicht, Ihr, die Ihr die Eigenthümlichkeit des deutschen Herzens verkanntet, dieses Herzens, das so gern schwärmt, da wo es liebt! War es Schwärmerei, mit der wir nach der theuren Hülle unseres lieben Weber verlangten, so war es die Schwärmerei, die uns ihm so verwandt sein läßt, die Schwärmerei, der all‘ die herrlichen Blüthen seines Geistes entkeimten, um deretwillen die Welt ihn bewundert und wir ihn lieben.“
Erstveröffentlichung 2013 in dem Blog „Mein Wagner-Jahr“
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