Vor 111 Jahren schrieb der Musikkritiker Paul Bekker eine Hommage zum 100. Geburtstag von Richard Wagner am 22. Mai 1913, die zuerst in der Frankfurter Zeitung erschien und auch heute noch viel zu sagen hat, obwohl dem Autor noch viele Quellen verschlossen waren.
Paul Bekker (1882–1937) war einer der einflussreichsten Musikkritiker im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Ursprünglich als Geiger und Dirigent selbst Musiker, wechselte er 1906 als Kritiker das Fach und avancierte in Berlin und vor allem bei der Frankfurter Zeitung. 1911 erschien sein Standardwerk über Beethoven. Es folgten „Das deutsche Musikleben“ (1916), ein früher wegweisender Beitrag zur Musiksoziologie, Schriften über die „Neue Musik“ und deren Vertreter wie Gustav Mahler, Ernst Krenek oder Arnold Schönberg, aber auch Monografien zu Richard Wagner, „Gustav Mahlers Sinfonien“ oder zur „Weltgeltung der Deutschen Musik“. Die sprachliche Brillanz seiner Texte und die Plastizität seiner Thesen, stellte später Klaus Kropfinger fest, erschlossen sich einen Leserkreis, der weit über das engere musikalische Fachpublikum hinausging. Auch als Intendant in Kassel und Wiesbaden erwies er sich ab 1925 als Wegbereiter für die Neue Musik.
Früh von den Nationalsozialisten angefeindet, galt er nach deren Machtergreifung als unerwünscht und wurde „durch die unzweifelhaften, einseitig angewandten Fähigkeiten eines zersetzend kritischen Verstandes“ schnell als eine besondere Gefahr angesehen. 1933 ging Bekker erst in Paris und wenig später in New York ins Exil. 1936 wurde er aus Deutschland ausgebürgert und enteignet, was amtlich wie folgt begründet wurde: „Paul Bekker, Musikschriftsteller, jüdischer Abstammung, zuletzt Intendant des Staatstheaters in Wiesbaden, wo er eine rücksichtslose Günstlingswirtschaft unter Bevorzugung jüdischer Stammesgenossen trieb. Durch die Auswahl und die kulturbolschewistische Aufmachung der Darbietungen trat er bewusst in scharfen Gegensatz zu dem deutschen Kunstempfinden. Nach der nationalsozialistischen Erhebung wurde er Mitarbeiter der Pariser Emigrantenpresse. In seinen Machwerken streut er die niedrigsten Verdächtigungen gegen das künstlerische Wollen Deutschlands und seiner führenden Männer aus.“
„Jede gegenwärtige Reflexion über Musik“, schreibt Bekker-Kennerin Vera Baur, „wird entscheidend durch die ästhetischen Positionen vergangener Zeiten mitbestimmt. Eine Beschäftigung mit den Anschauungen früherer Denker bedeutet daher immer auch eine Erweiterung des eigenen Bewusstseinsstandes über die Bedeutung von Kunst. Sie ist zudem dann besonders lohnend, wenn der ästhetische Diskurs in einem Maße zentraler Bestandteil des öffentlichen Musiklebens ist, wie dies im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts der Fall war.“ Was in besonderem Maße für den an diesem Diskurs maßgeblich beteiligten Paul Bekker gilt, dem nach dem Urteil Theodor W. Adornos ‚gescheitesten Musikkritiker in Deutschland zwischen den Kriegen‘. Hier sein ausführlicher Beitrag zum 100. Geburtstag von Richard Wagner, der zuerst am 22. Mai 1913 in der Frankfurter Zeitung erschienen ist.
Die Jubiläumsglocken läuten heute einen Tag ein, dessen Bedeutung sich nicht mit einem Hinweis auf die politische Geschichte eines Volkes, nicht einmal der staatlichen Entwicklung oder des öffentlichen Lebens überhaupt erschöpfen läßt. Wagners hundertster Geburtstag ist mehr als alles das. Neben den patriotischen und nationalen Gedenktagen dieses Jahres, pietätvollen Erinnerungsfesten an Geschehnisse, deren Bedeutung wir mit retrospektiver Dankbarkeit anerkennen, ohne uns unmittelbar in sie hineindenken zu können, empfinden wir das Ereignis dieses Tages auch im Augenblick noch in der tätigen Lebendigkeit seiner Wirkung. Die Geschichte der Staaten und Völker ist, ihren Resultaten nach angesehen, ein großes und gewaltiges Kapitel von der Kraft menschlicher Energien, von der Macht ihrer Leidenschaften, von dem Glanz und der Tragik ihrer Schicksale. Aber wenn wir sie im einzelnen betrachten, verwirren sich die Fäden. Starkes und Schwaches, Erhabenes und Kleinliches mischt sich, und die Wirkungen ergeben sich erst aus dieser Verquickung verschiedenartigster Bestandteile, deren Analyse uns das Unvollkommene menschlicher Fähigkeiten, den Zwiespalt von Begehren und Vollbringen und – als letzte Weisheit – Erkenntnis der Vergänglichkeit offenbart.
Die Welt des Künstlers ist primitiver. Sie ist das Werk des Einen, und darum frei von all den Zugeständnissen und Beimischungen des Gemeinen und des Zufälligen, deren das Werk der Vielen bedarf. Sie ist unwirklich, und darum ledig aller jener grob stofflichen Bestandteile, die eine sinnliche Daseinsform verlangt. Und weil sie primitiv ist und unwirklich, darum ist sie zeitlos und kündet die Lehre vom Unvergänglichen, das in uns lebt und nicht untergehen kann, weil es nicht an die Existenzbedingungen des Irdischen gebunden ist.
Der Künstler strebt diesem Unvergänglichen zu. Darauf ruht unsere Achtung vor ihm, ruht die priesterliche Stellung, die wir ihm einräumen. Nicht jeder ist primitiv, an elementarer Kraft reich genug, um ohne die Hilfe anderer die eigene Welt schaffen zu können. Nicht jeder ist so voll der Phantasie, um die Wirklichkeit entbehren und das Unwirkliche glaubhaft machen zu können. Nicht jeder ist frei genug, um das Zeitlose, Ewige in Ideen fassen zu können. Wir haben viele, die es versuchten und die wir um dieser mehr oder minder geglückten Versuche willen achten. Richard Wagner war einer der ganz wenigen, die alles in sich vereinigten: primitive schöpferische Urkraft, gestaltende, der Wirklichkeit abgewandte Phantasie, Ideenkraft des Zeitlosen. Darum ist Wagner einer der größten Künstler, die gelebt haben – Künstler in des Wortes umfassender Bedeutung: eine Erscheinung, deren ganzes Dasein, Tun und Wirken unter dem dämonischen Zwang ihrer Sendung stand und deren Bedeutung sich nicht in dem erschöpft, was wir gemeinhin ihr Werk nennen, sondern sich ergibt aus der Zusammenfassung von Menschentum, Schaffen und kulturschöpferischer Kraft. In der gegenseitigen Durchdringung und Vereinigung dieser drei künstlerischen Wirkungselemente ruht das Geheimnis der welterobernden Größe des Wagnerschen Genius.
Das Menschliche des Künstlers, sein Verhalten gegen über der Wirklichkeit ist die erste, äußerlich leichtest erkennbare und doch wiederum am ehesten mißverständliche Kundgebung seiner Künstlerschaft. Wir werden sie nur richtig würdigen, wenn wir sie nicht aus dem Gesichtspunkt einer allgemein gültigen Lebensmoral betrachten, wenn wir fragen: wie hat er die Idee seiner Persönlichkeit zur Geltung gebracht? Hier ist der Punkt, von dem aus wir Dasein, Kämpfe, Errungenschaften des Menschen Wagner begreifen müssen, von dem aus sich alle scheinbaren Widersprüche, Kleinlichkeiten und – im landläufigen Sinne – wenig sympathischen Züge seines Charakters lösen und nur das eine Große: die Erscheinung in ihrer überragenden Totalität bleibt. Er hat den Mut gehabt, das Leben seiner Werke zu leben. Nicht nur den Mut, auch die Kraft. Denn da diese Werke, mögen sie im einzelnen noch so viele Zusammenhänge mit dem Vorangehenden aufweisen, als Gesamtheit sich in einen mehr und mehr bewußt ausgeprägten Gegensatz zum Bestehenden stellten, so mußte auch der Künstler in andauernd sich steigernden Widerspruch zu dem, was ihm als „Welt“ entgegentrat, hineingetrieben werden. Bei Naturen, die wie Bach oder Beethoven, nach Verinnerlichung des Empfindens oder Vertiefung des Erkenntnisdranges strebten, vollzog sich die Scheidung von der Wirklichkeit durch lautlose Abkehr von der Welt. Bei Wagner, dessen Künstlernatur zur leidenschaftlichen Entfaltung aller handelnden Lebensenergien drängte und der nicht Prophet, nicht Denker, sondern Reformator war, gab es nur ein Mittel: den Kampf. Diesen Kampf hat er aufgenommen, zuerst leidenschaftlich, instinktiv, dann mit theoretisch begründeter Bewußtheit, zuletzt mit praktischer Aufstellung und Verwirklichung dessen, was ihm das Erstrebenswerte zu sein schien. Indem er diese verschiedenen Stadien der Entwicklung handelnd durchschritt und durchkämpfte, gestaltete er sein Leben selbst zum Kunstwerk. In seinen Konflikten, seinem Reichtum an inneren und äußeren Handlungsmomenten, an grotesken Abenteuern, zartesten und gewaltig erschütternden Erlebnissen, in seiner grandiosen Steigerungslinie von den tollen Streichen des Leipziger Studentenlebens bis zur Grundsteinlegung in Bayreuth und zu dem Märchentod in Venedig bedeutet es ein dramatisches Weltgedicht.
Wenn wir heut unser Verhältnis zu dem Menschen Wagner klar feststellen wollen, fühlen wir einen merkwürdigen inneren Zwiespalt. Als Persönlichkeit ist Wagner schon zu einer mythischen Erscheinung geworden, deren Wirkungen wir so übermächtig empfinden, daß wir sie uns kaum noch als reales Wesen vorzustellen vermögen. Und doch ist sie mit der Gegenwart durch unzählige direkt von ihr auslaufende Fäden verknüpft. Immerfort stoßen wir auf Beweise und Zeugnisse ihrer menschlichen Existenz, die uns, fast mehr als wir wollen, in das nüchtern Alltägliche aus dem Leben Wagners Einblick bringen. Briefe und andere Zeugnisse tauchen auf, mündliche Überlieferungen werden laut, und das Bild des Menschen, das uns aus ihnen entgegentritt, ist vielfach nicht dazu angetan, idealistische Vorstellungen zu fördern. Da sind polemische Schärfen, die das Maß der Selbstverteidigung oder der erlaubten Propaganda, selbst des berechtigten Angriffs erheblich überschreiten, nur des zwecklos Verletzenden wegen geschrieben, Handlungen, die den höchsten Begriffen von Liebe und Freundschaft keineswegs entsprechen, Kundgebungen einer Natur, deren unbekümmerter Egoismus oft weit mehr der Person als der Sache zu gelten scheint. Und doch sind wir im Irrtum, denn wenn wir den Blick vom einzelnen, dem gegenüber wir in Zweifel geraten, auf die Zusammenhänge richten, wenn wir das ganze Aderwerk der Handlungen betrachten, wie es ineinandergreift, vom scheinbar Nebensächlichsten bis zur entscheidenden Tat sich mit unaufhaltsamer Folgerichtigkeit entwickelnd, so verschwinden alle den herkömmlichen Begriffen entnommenen Bedenken. Vor uns steht wieder die große, bezwingende Persönlichkeit, deren menschliche Fehler und Schwächen nicht Gebrechen sind, sondern naturnotwendige Einseitigkeiten und Härten, ohne die dieser Mensch nicht die Festigung hätte erlangen können, deren er bedurfte, um zu siegen.
Alles Menschliche bei Wagner kann, wenn man es recht, nach dem hier gegebenen Maß der Persönlichkeit, erklären will, nur auf eine Quelle zurückgeleitet werden: auf seine Kämpfernatur. Der Kampf gegen sich selbst und gegen die Welt ist der Inhalt des Wagnerschen Lebens, ist gleichzeitig der Umriß der Probleme, die er sich in seinem Schaffen stellt. Nicht die aus religiöser Sehnsucht des glaubensstarken Menschen erwachsene, der Vereinigung mit dem Göttlichen zustrebende Empfindungsgewalt wie bei Bach, nicht das Ringen nach Erkenntnis wie bei Beethoven treibt Wagner vorwärts. Es fehlt ihm ebenso die Grundlage der glaubensfesten, religiösen Natur, wie das Fundament der sittlich reinen Persönlichkeit. Das Religiöse und das Ethische sind nicht primäre Bestandteile seines Wesens. Er findet sie erst im Kampfe, und so bilden sie für ihn nicht Ausgangspunkte, sondern Ziele. Was ihn vorwärts treibt, sind Leidenschaften und Affekte. Sie setzen seine Natur in Gärung und machen sie produktiv, sie nötigen ihm den Kampf auf mit der Welt, sie zwingen ihn zur Auseinandersetzung mit sich selbst, und seine Entwicklung dokumentiert sich eben an der Veränderung den Wallungen der Affekte und Leidenschaften gegen über. Sie sind es auch, die ihn der ihm bestimmten Kunstform zuführten. Empfindungs- und Erkenntnisdrang, Religiosität und Ethik konnten sich am freiesten in den Formen der lyrisch dramatischen Vokal- und der von allem Stofflichen abstrahierenden Instrumentalmusik gestalten. Die Darstellung der Affekte und Leidenschaften aber, die erst in schmerzhafter Entwicklung durch Kämpfe und Leiden zu den Offenbarungen der Religion, den Erkenntnissen der Ethik hinaufführte, bedurfte einer sinnlicheren Erscheinungsform. Sie bedurfte der auch äußerlich stärksten Wirkungsmöglichkeiten, wie sie Wagner nur in einer Kunstgattung zusammenfassen konnte: im musikalischen Drama.
Man muß das musikalische Drama Wagners, um falscher Herabsetzung wie irreleitender Überschätzung vorzubeugen, immer wieder auf diese innere psychologische Entstehungsursache zurückzuführen. Die ästhetischen und geschichtsphilosophischen Werbeschriften, in denen Wagner selbst seine Theorie klarlegt und rechtfertigt, können heut, wo die Entwicklung Wagners sich in übersichtlicher Abgeschlossenheit zeigt und uns die Grundkräfte seines Wesens klar erkennen läßt, nicht mehr als eigentliche Erklärungen herangezogen werden. Was ihm die Idee des Gesamtkunstwerks eingab, war nicht eine aus der vergleichenden Kunstgeschichte abgeleitete ästhetische Spekulation, sondern das einem Naturdrang folgende produktive Bedürfnis. Dieses allein zwang ihn, sich eine Form zu schaffen, die die sinnliche Aufnahmefähigkeit aufs lebhafteste erregte und sie dadurch in jene empfängnisbereite Vibration versetzte, die Voraussetzung ist für die willige Entgegennahme seiner dramatischen Kunst. An sich war die Idee des Nebeneinanderwirkens mehrere Kunstarten in der Oper nichts neues, vielmehr war es von jeher das leitende Prinzip dieser Mischgattung, durch abwechselnde Verwendung von dekorativen Schau-, Handlungs- und musikalischen Effekten ihr Publikum zu unterhalten. Das Neue, das Wagner brachte, bestand nur in der Umwandlung des Nebeneinanders von Wirkungen in eine einzige, die er nun ausschließlich der dramatischen Idee des Werkes dienstbar machen konnte. Darin lag die Errungenschaft gegenüber nicht nur der älteren Oper, sondern auch dem älteren Musikdrama. Die Gegensätze von Oper und Drama sind an sich so alt, wie die Geschichte beider Kunstgattungen. Sie sind Stilgegensätze, die sich in dem Augenblick bilden mußten, in dem eine Handlung musikalisch theatralisch gestaltet wurde, und die sich aus dem Widerspruch zwischen musikalisch formalistischer Stilisierung und dramatischer Wahrheit ergaben.
Wagner hat sich in seiner schöpferischen Tätigkeit nicht ausschließlich zugunsten eines dieser beiden Prinzipe entschieden, er hat nach der Vereinigung beider gestrebt. Darin liegt das entwicklungsmäßig Organische seines Kunstwerks. Er schloß sich dem alten Musikdrama in der Betonung der dramatischen Wahrheit der Handlung, in der Einordnung der Musik in das dramatische Gefüge des Ganzen an, er entnahm gleichzeitig der Oper ihre besonderen Schau- und musikalischen Effekte, ihre Mischung von Kunstgattungen verschiedenster Art und unterwarf sie seiner primären dramatischen Idee. Durch solche Vereinigung aller vorhandenen, bis dahin nur einzeln verwendeten Ausdruckselemente vermochte Wagner diese dramatische Idee mit einer Wucht und Breite der Wirkung zur Geltung zu bringen, wie es bis dahin nie möglich gewesen war. So wiederum konnte er es wagen, seine Ideen zu Trägern von Problemen zu machen, die dem Ausdrucksbereich der alten Oper wie dem des alten Musikdramas unerreichbar geblieben waren.
In der Tat liegt die wesentliche Bedeutung des Musikdramatikers Wagner nicht in der Aufstellung einer Theorie des Gesamtkunstwerks, nicht in der sicheren Kühnheit, mit der er dieser Theorie die dichterisch-szenisch-musikalische Form gab, sondern in der Tatsache, daß er das Musikdrama für die Aufnahme und künstlerische Behandlung von Stoffen und Problemen befähigt hat, die bis dahin niemand dem musikalischen Bühnenwerk zuzuweisen gewagt hatte. Sind „Don Juan“, „Zauberflöte“, „Fidelio“ Werke, die einzig der Genialität ihrer Komponisten ihre Ausnahmestellung als musikdramatische Schöpfungen danken, als Gattung aber innerhalb des gewohnten Rahmens bleiben, so war Wagner in seinem Schaffen von jedem Zufall unabhängig. Idee und Stoff bedingten bei ihm von vornherein eine geistige Höhe des Gesamtwerkes, die wohl ein Mißlingen der theatralischen, nicht aber der eigentlich künstlerisch organischen Gestaltung zugelassen hätte.
Wagner ist auch dieser theatralische Mißerfolg – im Hinblick auf die Dauerwirkung seiner Werke – erspart geblieben. Lückenlos gehört die Reihe seiner Schöpfungen – von den Jugendkompositionen denen er noch nicht sich selbst gefunden hatte – der Bühne an, nicht nur der deutschen, sondern auch der des Auslandes. Ähnliche Wirkungen hat von den Dramatikern der Neuzeit nur noch Shakespeare zu verzeichnen. Bei beiden dürfte die Erklärung dieses Erfolges in dem Umstand zu suchen sein, daß sie Männer des praktischen Theaters waren. Aus der Kenntnis dieses Theaters heraus gestalteten sie, nicht unter kleinlicher Berechnung der augenblicklichen Erfolgsmöglichkeiten, sondern unter genauester Einschätzung aller vorhandenen Wirkungsbedingungen. Dieser eminente bühnenpraktische Blick bewahrte Wagner davor, das, was er theoretisch fixiert hatte, bedingungs- und rücksichtslos zu verwirklichen. Die Musikgeschichte kennt kein zweites Beispiel für eine Theaterbegabung von der Schärfe, Vielseitigkeit und dem Erfindungsreichtum Wagners. Dieses Theatermäßige, diese Glut des sich am Farbenspiel der Bühne Entzündenden und seine Phantasie auf diese Wirkung Einstellenden war so stark, daß es vielen, die mit Wagner in unmittelbare Berührung kamen, als der entscheidende Zug seines Wesens erschien und so namentlich Nietzsche aus seiner Nähe vertrieb. Wenn wir heute Wagners Gesamtschaffen überblicken, so erkennen wir, daß sein Bühnensinn das unerläßliche Korrektiv seines hochgespannten schöpferischen Idealismus war, ähnlich wie Bachs Frömmigkeit, Beethovens streng sittliche Gesinnung die persönlichen Voraussetzungen für die Art und Richtung ihrer Betätigung waren. Wir können uns ihre Persönlichkeiten nicht ohne diese Eigenheiten denken, aber das Primäre ihrer schöpferischen Tätigkeit ist darin nicht enthalten. Es ruht auch bei Wagner nicht in seiner theatralischen Begabung, die für ihn, im übertragenen Sinne, nur die ausübende Funktion seiner schöpferischen Begabung war. Die tieferen Quellen seines Wesens lassen sich nur finden, wenn wir ihn als Kind eines im Sinne Schillers sentimentalischen Zeitalters betrachten. Aus diesem geistigen Grundzug seiner Persönlichkeit ergibt sich die besondere Art der von ihm erfaßten dichterischen Probleme, ergibt sich auch die Wahl der Stoffe, in die er sie kleidete.
Der Weg vom Helden eines Bulwerschen Romans bis zum Befreier des Grals scheint, äußerlich gesehen, weit genug, um eine Einheitlichkeit der Entwicklung zweifelhaft zu machen. Und doch gibt es außer Beethoven kaum einen Tondichter, der so wie Wagner in unbeirrbarer Folgerichtigkeit Stufe für Stufe zur Höhe nimmt, jede überflüssige Ablenkung streng meidet und in geradem
Anstieg seinen Weg verfolgt. Läßt noch der „Rienzi“ mehrere Entwicklungsmöglichkeiten offen, so bahnt schon der „Holländer“ den richtigen Pfad in voller Entschiedenheit an, und mit unangreifbarer Zielsicherheit wird die nun aufgefundene Linie weitergeführt. Sage, Mythos, Legende sind die Gebiete, innerhalb deren Wagner sich hält und die er, in stetig sich festigender Erkenntnis ihrer Fruchtbarkeit für seine Ideen, nicht wieder verläßt. Was war es, das sie ihm so wertvoll und ertragreich machte? Für das, was seiner Natur am nächsten lag: die Sprache der Affekte und Leidenschaften, boten sie die denkbar wenigst gehinderte Bewegungsfreiheit, die mindeste Störung durch Erinnerungen an äußere Geschehnisse, wie sie etwa bei geschichtlichen Stoffen vorhanden gewesen wären, die günstigsten Bedingungen auch für die äußerlich dramatische Glaubwürdigkeit. Je ferner der Stoff der Wirklichkeit lag, um so begreiflicher mußten Gefühlswallungen als Triebkräfte des Dramas, elementare Regungen Willensäußerungen der Charaktere erscheinen, umso eher mußte es möglich sein, die Handlung in ganz einfachen Linien, wie das Musikdrama sie fordert, zu führen und den tragischen Konflikt aus wenigen primitiven Vorbedingungen zu entwickeln. Auch das szenische Bild ordnete sich so dem dramatischen Zweck zwanglos ein, das Wunderbare und die Vorgänge des Naturlebens wurden zu wichtigen dienenden Gliedern der Handlung, das Bild gestaltete sich zum mitbestimmenden Faktor des dramatischen Geschehnisses. Der dramatischen Idee aber bot sich hier die Möglichkeit einer symbolischen Einkleidung, die kernhaft anschaulich, plastisch lebendig wirkte und doch durch die in Sagenferne gerückte Zeitcharakteristik schon von vornherein den Stempel des Unwirklichen, nur vergleichsmäßig Angedeuteten erhielt. So war diese Wendung zur Sage das entscheidende Moment für Wagners Stellung zu seinen Stoffen. Sie gab den Eigenheiten seiner Künstlerindividualität den freiesten Spielraum, sie ermöglichte ihm am ehesten die Einordnung theatralischer Wirkungen in die dramatische Idee und sie entsprach auch am unmittelbarsten dem Wesen dieser Idee selbst, die sich als das Emporsteigen vom triebhaft Unbewußten zur religiös ethischen Erkenntnis kennzeichnet. Das ist die eigentliche Achse der dramatischen Idee Wagners, während der Erlösungsgedanke, der meist als Kern der Wagnerschen Kunst angesehen und bezeichnet wird, erst die besondere künstlerische Form darstellt, in die Wagner jene zeugende Idee der seelischen Metamorphose einkleidete. Es ist die nämliche Idee, unter deren Zwang sein persönliches Leben, sein eigenes Schicksal stand, und die er als Mensch, aus den unbezähmbaren Trieben der Leidenschaften und Affekte zum ethisch religiösen Frieden strebend, praktisch gestaltet hatte. Diese Idee beherrscht sein Schaffen, aus ihr formt er sich als Künstler den Erlösungsgedanken mit seinen psychologischen Steigerungen und tragischen Konflikten. Die Idee an sich bot zwei Behandlungsmöglichkeiten: eine rein dramatisch intellektuelle und eine musikdramatisch gefühlsmäßige. Für Wagner, bei dem die Problemstellung aus Krisen des Gefühlslebens erwuchs, lag nur die eine Möglichkeit der Lösung offen: die gefühlsmäßige. Er konnte sie geben, weil er sich für die Musik eine Form des dramatischen Ausdrucks geschaffen hatte, in der die erschöpfende Behandlung solcher elementar seelischer Probleme künstlerisch möglich war. Daß er aber seiner Natur nach zu dieser Lösung gedrängt und dadurch der Meister der Gefühlsdramatik wurde, daß gerade durch ihn die Musik in einem Maße und einer Bedeutung wie nie zuvor zur Trägerin und Mittlerin dramatischer Erkenntnisse wurde, das gibt ihm seine Stellung als eine der wichtigsten, einflußreichsten und markantesten Erscheinungen der Kulturgeschichte überhaupt, gibt ihm seine überragende Bedeutung für das Geistesleben des 19. Jahrhunderts im besonderen.
Wenn man versuchen wollte, die Summe der geistigen Kräfte und Leistungen, die ganze, während des vorigen Jahrhunderts in Deutschland geförderte produktive Arbeit auf die denkbar einfachste Formel zu bringen, so bleiben als Resultat zwei Führernamen: Goethe und Wagner. Es sind zwei Welten, die diese Namen einschließen, politisch, künstlerisch, religiös, ethisch die beiden Pole des gewaltigen Komplexes von Fähigkeiten, Ideen, Taten, den wir als das 19. Jahrhundert bezeichnen. In ihrer Gegensätzlichkeit bezeichnen sie das volle Ausmaß dessen, was erstrebt und geleistet worden ist, bilden sie die beiden Endpunkte der geistigen Bewegung, zwischen denen wir heut noch in Ermangelung eines neuen festen Haltes hin- und herschwanken.
Ton- und Wortdichter stehen sich gegenüber. Man muß, um diesen Kontrast in seiner ganzen folgeschweren Bedeutung zu erkennen, Wagner auch in seinen nicht-musikalischen Äußerungen durch das Medium der Musik wie Goethe durch das der Sprache. Schon in den Ausdrucksmitteln, deren sie sich als Künstler bedienten, kennzeichnet sich ihre Wesensverschiedenheit: bei dem einen reinste Klarheit des Wissens und Erkennens, Spiegelung der Welt in höchstgesteigerter Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungsformen, schöpferische Neubelebung des Erschauten bis zum ahnenden Vordringen zu tiefsten göttlichen Geheimnissen – bei dem andern dämmerndes Versinken in Gefühlsekstasen, nur der Empfindung sich hingebendes Affektleben, Abkehr von der Wirklichkeit, Beschränkung des natürlichen Formenreichtums auf wenige symbolisch gedachte Erscheinungen, Sehnsucht nach Aufhebung des Individuellen in der göttlichen Erlösung. Dort das Licht, das selbst das kleinste Äderchen des Naturlebens beleuchtet, hier die Nebel der Mystik, die sich über Abgründe der Leidenschaften senken. Musik und Sprache – beide empfinden ihre Einseitigkeit, beide wollen zueinander. Goethe verlangt Musik für den zweiten Teil des „Faust“ – aber er deutet an, daß er nur eine die Sprachwirkung gefällig steigernde und sinnlich formende, nicht sie aufsaugende Musik erwartet. Wagner braucht die Sprache als äußerlich bewegendes Element seiner musikdramatischen Ideen – aber seine Sprache ist kein in sich selbständiges, vom Ganzen des Werkes ablösbares Gefüge, sie ist nur ein zum Wort- und Satzgebilde verdichteter musikalischer Affekt. Es ist etwas fast Unbegreifliches, daß dieser musikalische Affekt die Macht erhält, uns ein dramatisches Leben vorzuführen, uns eine geistige Erkenntnis zu übermitteln. Er vermag es auch nur, indem er sich nicht rein musikalisch einkleidet, sondern von allen Angriffspunkten aus zugleich auf die Sinne arbeitet. Aber es ist im Vergleich zu dem ruhigen, hellen, einfarbigen Licht Goethes ein wirres Flimmern und Schwirren von Farben und Klängen, von dumpfen Erregungen und Emotionen des Blutes und der Nerven, ein Unterjochen des gedanklichen Schauens durch phantastisches Träumen, es ist der Höhe- und Siedepunkt des großen geistigen Zerfall- und Auflösungsprozesses, den wir Romantik nennen und dem jetzt durch das Hinzutreten der Musik nun der letzte, elementar zersetzende Gärungsstoff zugeführt wurde.
Eine Zersetzung und zugleich eine Wiedergeburt. Die Krisis und die Erfüllung der romantischen Weltanschauung, die bis dahin in einzelnen Strömungen der politischen, literarischen, musikalischen Romantik abgeteilt, nun in ein gewaltiges Flußbett geleitet und durch die Nebenflüsse der romantischen Philosophie und Religionsvorstellungen noch verstärkt und bekräftigt wurde. Nur die Musik konnte diese Vereinigung bringen. Sie war der gemeinsame, latente Bestandteil aller Teilausflüsse des romantischen Wesens, das, mochte es sich auch auf alle Gebiete des öffentlichen und geistigen Lebens erstrecken, mochte es sich sogar der ihrem Wesen eigentlich völlig entgegengesetzten intellektuellen Kritik bemächtigen, doch letzten Endes hervorging aus jener geheimnisvollen, undefinierbaren und gerade in der Neuzeit so hoch entwickelten seelischen Regung, die wir in künstlerischer Formung Musik nennen. Nur im Zeichen der Musik konnte die Zusammenfassung geschehen. Sie bewahrte die Romantik vor völliger Zersplitterung, und gab ihr das bis dahin fehlende feste künstlerische Zentrum, von dem aufs neue die einzelnen Strömungen, nachdem sie sich am Mittelpunkt bereichert und gekräftigt hatten, ihre besonderen Wege verfolgen mochten. Als primäre romantische Kunst war die Musik das einzige Mittel, durch das eine solche, für kurze Zeit alle Kräfte bindende Zusammenfassung romantischer Willens- und Wesensäußerung erfolgen konnte. Die einzige Form, in der diese Vereinigung sich ermöglichen ließ, war das Drama, in dem heterogenste Wirkungsmittel zu einheitlicher Geltung gelangen können. So entstand aus der Vereinigung von Musik und Drama Wagners Musikdrama, eine Schöpfung, die wir als Form, – ohne Wagner zu hoch oder andere zu gering einzuschätzen – als das Drama der Neuzeit bezeichnen dürfen. Dramatische Kunstwerke von gleicher und von höherer inhaltlicher Bedeutung als die Richard Wagners lassen sich unschwer namhaft machen. Aber ihm ist die Lösung aller Probleme des Dramas in solcher Einheitlichkeit, in solcher Übereinstimmung menschlicher und künstlerischer Ziele, in solcher Sicherheit auch hinsichtlich der theatralischen Wirksamkeit gelungen, daß wir bis auf Shakespeare zurückgehen müssen, um einen Maßstab für die dramatische Kunstform Wagners zu finden.
Darum sind auch von diesem Musikdrama Wirkungen ausgegangen, wie sie Werke der Musik und Dichtkunst allein in solcher Unmittelbarkeit und Breite nicht zu verzeichnen haben. Selbst die Sinfonien Beethovens und die Dramen Schillers – um die neben Wagner erfolgreichsten und populärsten Schöpfungen der einzelnen Künste anzuführen – können nicht die unabschätzbare Tragweite der Wirkung aufweisen, wie Wagners Dramen. Sie können nicht die kaum übersehbare internationale Gemeinde ihr eigen nennen, die sich um seine Kunstwerke schart, weil sie in ihnen die monumentalsten Schöpfungen der Neuzeit, den gewaltigsten Ausdruck eines zwar aus nationalem Einigungsbedürfnis erwachsenen, in der Wirkung aber darüber weit hinausreichenden Gemeinsamkeitsgefühls der Menschheit erblickt. Gerade der Charakter des Wagnerschen Dramas als einer künstlerischen Mischgattung hat diesen fast beispiellosen Erfolg gezeitigt. Er ist im Hinblick auf den Inhalt der Werke umso erstaunlicher, als Wagners Dramen, im Gegensatz zu den Weltverbrüderungsideen der Künstler der Humanitätsperiode einen scharf ausgeprägten, zum Teil sogar tendenziösen Nationalismus zeigen. Aber die Gesichtspunkte, unter denen man sie betrachten kann, sind von so unerschöpflicher Mannigfaltigkeit, die Ausblicke, die sie eröffnen, von so wechselvollen Reizen, daß dieses oder jenes störende Einzelmoment mühelos übersehen werden und den Eindruck des Ganzen nicht beeinträchtigen kann. Zugleich ist die Erscheinung an sich und im Hinblick auf ihre Wirkungen etwas so Außerordentliches, daß niemand, der sich geistig betätigt, dem Zwang zu entgehen vermag, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Man könnte sich einen unmusikalischen Dichter denken, der nichts von Beethoven und einen literarisch uninteressierten Musiker, der wenig von Schiller weiß. Beide würden dadurch viel für ihre Kunst verlieren, immerhin wäre ihre geistige Existenz nicht unterbunden. An Wagner kann keiner vorbei, ohne sich Rechenschaft geben zu müssen. Nicht etwa, weil Wagner ein reicherer Musiker war als Beethoven, oder ein tieferer Dichter als Schiller. Die Frage nach der Abwägung der Gaben kommt hierbei überhaupt nicht in Betracht. Sondern er ist in weit umfassenderem Maße als diese beiden eine Macht des heutigen öffentlichen Lebens, seine Wirkungen greifen in Gebiete über, auf die der reine Künstler sonst nur mittelbaren Einfluß übt. Sie erstrecken sich nicht nur auf die direkte Berührung mit der Literatur, Musik und den bildenden Künsten, die heute alle noch und vermutlich auf nicht geringe Zeit auch fernerhin von seinen Anregungen zehren. Sie greifen auch auf die wichtigsten Fragen der Organisation unseres öffentlichen Lebens über. Denn die eine große, die wichtigste Forderung Wagners: unsere Kunst nicht nur als zufällige dekorative Beigabe oder anmutige Abwechslung, sondern als notwendigen Gipfelpunkt unserer Kultur zu betrachten, sie demgemäß zu bewerten, wie er es selbst, unter Einsetzung höchster Willenskraft tat, ihr die Stellung zu geben, die ihr einer solchen Bedeutung gemäß gebührt – diese Forderung ist noch immer in ihren wesentlichsten Punkten unerfüllt. Wagner hat, indem er Bayreuth als Muster hinstellte, zu zeigen versucht, wie er die Kunst aufgefaßt wissen wollte, wenn sie jenes Höchste, Zeitlose, Unvergängliche zum Ausdruck bringen soll, um das alle übrigen Errungenschaften der Kultur sich nur als Stufen gliedern. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, ob und wie weit es ihm gelungen ist, diesen Versuch zur Tat werden zu lassen. Sollte Bayreuth doch nur ein Beispiel sein, eine zur Wirklichkeit gewordene Anregung – nicht das Ziel selbst. Aber das, was Wagner hier andeutete, ist noch nirgends mit gleichem Ernst, mit gleicher Hingabe weiter geführt worden, und der Gedanke: Kunst als Kultur harrt noch immer seiner Verwirklichung.
So stehen wir heute vor einem Testament des Hundertjährigen, wie ähnlich reich an Schätzen und Ideen es selten ein Künstler hinterlassen hat. Man kann darüber im Zweifel sein, ob die Wirkung Wagners, wie wir sie heute spüren, in jeder Beziehung so günstig ist, daß wir die Weiterentwicklung alles dessen, was er uns gegeben hat, auf die Dauer als wohltätig und fördernd empfinden würden. Das im engeren Sinn Subjektive seines Schaffens ist es in erster Linie, das zum Einspruch herausfordert, sobald es über die subjektive Geltung hinaus zur Grundlage allgemein gültiger Theorien erweitert werden soll. Die Wagner nachfolgende Produktion namentlich hat das spüren und aus ihren Erfahrungen die Lehre ziehen müssen, daß eine Fortführung oder gar Steigerung der künstlerischen Ideen Wagners in gerader Linie unmöglich ist. Sie hat erkennen müssen, daß die Form des Musikdramas wohl eine Kulturtat von bezwingender Genialität ist, daß aber das Geheimnis ihrer Konzeption mit ihrem Schöpfer begraben wurde. Und es wird eine Zeit kommen – vielleicht ist sie gar nicht so fern – in der wir, ohne die kulturelle Bedeutung dieses Musikdramas zu unterschätzen, in ihm nicht mehr wie heut noch, den Mittelpunkt unseres künstlerischen Lebens erblicken, sondern uns von dem großen Synthetiker und sentimentalischen Romantiker Wagner hinweg anderen Idealen zuwenden. Vielleicht erleben wir gerade jetzt, nach einer Periode bedingungsloser, auf falschen Maßstäben ruhender Bewunderung eine Zeit der kritisch polemischen Betrachtungen, vielleicht wird erst nach der Überwindung dieses Stadiums die Zeit gekommen sein, Wagner als geschichtliche Erscheinung richtig zu erkennen und zu bewerten. Wie aber auch die Stellung späterer Generationen Wagner gegenüber sein mag: bleiben wird die Idee der großen Persönlichkeit, die in ihrem Leben, in ihren Werken und ihrem Wirken sich ein Denkmal gesetzt hat, das durch die Jahrhunderte ragt.
Die nachdrückliche Erinnerung an Paul Bekker verdanke ich Johanna Dombois, über deren faszinierenden Vortrag in Bamberg ich demnächst berichten werde.
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