Als sie auf Richard Wagner traf, wurde sie blutjung zum Stern der Münchner Opernbühne: Mathilde Mallinger – Elsa, Elisabeth und Eva in den Münchner Wagner-Produktionen der Jahre 1867 und 1868 – entsprach etliche Jahre auch Wagners Idealvorstellungen nicht nur für für diese Partien. Als er sie für die ersten Festspiele als Sieglinde gewinnen wollte, sagte sie, die inzwischen vor allem in Berlin, Wien und St. Petersburg ein Star war, ab. Mallinger war mit dem Schauspieler und Theaterdirektor Baron Schimmelpfennig von der Oye verheiratet, wirkte später erfolgreich als Gesangspädagogin und prägte unter anderem Lotte Lehmann. Mallinger starb am 19. April 1920 im Alter von 73 Jahren in Berlin.
Mathilde Mallinger, die am 17. Februar 1847 in Agram, dem späteren Zagreb, geboren wurde, war erst neunzehn Jahre alt, als sie auf Wunsch von König Ludwig II. als Elsa für den Münchner „Lohengrin“ engagiert wurde. Richard Wagner, der die Neueinstudierung leitete, war anfangs skeptisch, doch seine Vorbehalte wurde von Probe zu Probe weniger: „Nach dem zweiten Akt der Generalprobe“, erinnerte sich Mathilde Mallinger später, „kam er mit einem Riesenstrauß in meine Loge, herzte, küsste, drückte mich und wusste nicht Worte des Dankes genug zu stammeln, dass ich ihm mit meiner Elsa so viel Freude bereitet habe. So saß ich mit einem Schlage im Herzen Wagners fest.“
Auch andere – darunter das Gros der Kritiker – waren begeistert. So schrieb Franz Grandaur nach der Premiere am 16. Juni 1867 in der Bayerischen Zeitung: „Frln. Mallinger […] entfaltete in Spiel und Gesang ihre Meisterschaft in glänzendster Weise. Mit vollem Verständniß wusste die geniale Künstlerin den Intentionen des Componisten allenthalben gerecht zu werden und bereitete so durch seelenvollen Vortrag und poetische Darstellung einen Kunstgenuss, wie man einen vollendeteren sich kaum zu denken vermag.“
Einer ihrer größten Bewunderer war zweifellos der König. Für die im selben Jahr folgende „Tannhäuser“-Neuinszenierung, die Ludwig II. gegen die Einwände Wagners mit Hans von Bülow am Pult durchsetzte, wurde erneut Mathilde Mallinger als weibliche Hauptsolistin berufen. Nach der Premiere am 1. August beschrieb Kritiker Grandaur die Elisabeth der Mallinger in dramatischer wie in musikalischer Hinsicht wiederum als „mustergiltig“, und in den Neuesten Nachrichten hieß es: „Frl. Mallinger sang die Elisabeth mit hoher Weihe und ergreifender Kunst; ihre Stimme klang tief in das Herz der Zuhörer und wenn sie im Ensemble mitwirkte, so schwebte ihr Sopran, einer weißen Taube gleich, über den gewaltigen dunklen Tonmassen der Sängerstimmen.“
Die Besetzungswünsche des Königs waren dem von Tribschen aus auf dem Briefweg kämpfenden Wagner oft ein Dorn im Auge. Nur bei Mathilde Mallinger waren sie, wie unter anderem dem Standardwerk „Die Richard Wagner-Bühne Ludwigs II.“ von Detta und Michael Petzet zu entnehmen ist, einer Meinung – auch als es um die Uraufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ ging. Am 27. April 1868 schrieb er an Ludwig: „Frl. Mallinger soll in der letzten Aufführung des Lohengrin wirklich groß gewesen sein; es freut mich sehr, hier einmal auf eines jener unberechenbaren Naturtalente getroffen zu sein, dessen Eigenthümlichkeit ich wirklich erst nach einigem Bedenken erkannte.“
Im selben Brief sprach er auch die mögliche Besetzung zukünftiger „Tristan“-Aufführungen an. Für die Isolde brachte er noch Therese Seehofer, Schwertleite bei der Münchner „Walküre“-Uraufführung, ins Spiel, wegen ihrer besonders starken Stimme. „Wogegen es mich allerdings dünkt, als wenn das Gesangsorgan der Mallinger wirklich noch zu zart und lieblich sei, um ihm ohne große Gefahr für ihre Zukunft, eine so ungewöhnliche leidenschaftliche Anstrengung, wie die Rolle der Isolde sie auferlegt, zuzumuthen. Doch möchte ich auch hierüber mich erst noch genauer unterrichten, und für die Zukunft rechne ich jedenfalls für meine besten Schöpfungen auf dieses jugendliche weibliche Genie.“
Vier Wochen vor der „Meistersinger“-Uraufführung folgte ein entsprechender Probenbericht: „Die liebliche Mallinger wird die neue Aufgabe zu Aller Entzücken lösen: sie ist ein wahrhaft gutes, unverdorbenes, durch und durch talentvolles Mädchen.“ Von einer Probe am 15. Juni berichtete vorab auch ein Korrespondent der Wiener Neuen Freien Presse: „Nur wenn Fräulein Mallinger singt, pausiert Wagner zuweilen in seinen Vorschriften, horcht mit sichtbarem Vergnügen, trippelt dann, die eine Hand in der Hosentasche, mit kurzen Schritten auf und ab und setzt sich auf den Stuhl, der neben dem Souffleurkasten steht, befriedigt und vergnügt mit dem Kopfe nickend und mit dem ganzen Gesicht lächelnd. Gefällt ihm aber etwas im Orchester nicht, was nicht selten vorkommt, so schnellt er wie von einer Schlange gestochen auf, klatscht mit den Händen, Bülow klopft ab und Wagner ruft ins Orchester: ‚Piano, meine Herren, piano! Das muss leise, leise, leise wie aus einer andern Welt herüberklingen.‘“
Nach der Uraufführung am 21. Juni 1868 konstatierte Peter Cornelius: „Fräulein Mallinger bringt auch zur Partie der Eva den ganzen Zauber ihres Wesens mit, sie ist ein aus dem Rahmen getretenes Bild von Holbein, in welchem die Seele einer Amati-Geige Gestalt angenommen hat.“ Wann genau das bezaubernde Mallinger-Bild Risse bekam, ist nicht überliefert. Gut möglich, dass der an Intrigen nicht mangelnde Konkurrenzkampf zwischen ihr und der nicht weniger berühmten Sopranistin Pauline Lucca an der Berliner Hofoper auch Wagner zu Ohren kam. Das lässt sich jedenfalls einem Briefentwurf vom 6. November 1872 entnehmen, den er an den Tenor Albert Niemann richtete:
„Werthester Genosse!“, schrieb Wagner seinem heroischen Pariser Tannhäuser-Protagonisten von 1861, „in Ihrem Vorschlage liegt das Eine sehr Verführerische, dass Sie mir für die Rollen im Tristan die beste und einzige Besetzung anbieten, welche mich überhaupt jetzt bestimmen könnte, mein bisher recht unverständig behandeltes Werk gern aufgeführt zu sehen. Es war längst mein Wunsch, der Mallinger die Isolde so einstudiren zu können, wie ich ihr vor 5 Jahren die Elsa einstudirte. Leider musste ich jetzt in ihrem Betreff bedenklich werden, da sie durch den Unfug, welchen sie mit ihrer Begabung seitdem getrieben, mir nicht mehr als unbedingt zuverlässig gelten kann: doch dürfte ich vielleicht meinen Erfahrungen und besonderen Fähigkeiten es zutrauen, mich ihrer ganz wieder zu versichern und sie auf ihre einst so glücklich betretene Bahn wieder zurückzuleiten.“
Es sollte nicht mehr dazu kommen. Zwar bemühten sowohl Wagner als auch seine Frau Cosima sich darum, sie als Sieglinde für die ersten Festspiele zu gewinnen, doch Mathilde Mallinger sagte angeblich, sie wolle von Bayreuth nichts wissen. Was natürlich in Wahnfried mindestens einer Todsünde gleich kam. Cosima notierte zum 7. März 1873 in ihr Tagebuch: „R. wieder eine sehr üble Nacht. Doch wie immer, wenn das Gespräch geistige Dinge berührt, ist er am Morgen, bei meinem Bette frühstückend, lebhaft angeregt. […] Wie wir uns der schönen Einzelheiten in der Darstellung des Evchen durch die Mallinger entsinnen, sagt R.: „Wie das merkwürdig war, das Mädel schien so dumm.‘“
Erinnern wir uns jetzt lieber der anstehenden wagnerschen Familien-Geburtstage: Am 19. April 1926 wurde Blandine von Wenden, die erste Urenkelin Cosimas geboren (als erste und einzige Tochter von Blandine von Bülows Tochter Maria und deren zweiten Ehemann Egas von Wenden). Und am 20. April feiert die erste gemeinsame Urenkelin von Richard und Cosima Wagner Geburtstag: Dagny Ricarda Beidler, die Enkelin der ersten (unehelichen) Tochter Isolde der beiden und wiederum Tochter des erstgeborenen Wagnerenkels Franz Wilhelm Beidler und dessen jüdischer Frau Ellen, kam vor 78 Jahren auf die Welt. Dass mit dem zweiten Namen Ricarda auf den Urgroßvater verwiesen werden sollte, liegt nahe. Dagny wurde sie genannt, weil der Name „neuer Tag“, Aufwachen und Morgenröte bedeutet. Die Eltern wollten damit ihrer Hoffnung Ausdruck geben, dass nach der Geburt ihrer einzigen Tochter ausgerechnet an diesem Tag das Hitlerregime bald vorbei sein würde. Und schließlich noch ein Geburtstag aus dem heutigen Umfeld der Bayreuther Festspiele: Valentin Schwarz, Regisseur der wegen der Corona-Pandemie auf 2022 verschobenen „Ring“-Neuinszenierung, wird am 20. April 31 Jahre alt.
Aktualisierte Version der Erstveröffentlichung 2013 in dem Blog „Mein Wagner-Jahr“
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