„Die Gratulation quillt, die Erde hat uns wieder“

Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner schenk­ten dem Lu­zer­ner Pfar­rer Tschu­di, der vor 150 Jah­ren die bei­den ge­traut und ih­ren Sohn Sieg­fried ge­tauft hat, eine Bi­bel samt Wid­mung, die jetzt im Wag­ner­mu­se­um Trib­schen zu se­hen ist.

Herrn Pfar­rer Tschudi
Ih­rem ge­ehr­ten Freund
zur Er­in­ne­rung an die dank­bar von
uns emp­fan­ge­nen Spen­den Seines
geist­li­chen Segens
von
Ri­chard und Co­si­ma Wagner
Trib­schen
25 Juli u. 4 Sept. 
1870.

Ob da in Trib­schen zu­min­dest kurz­zei­tig der Haus­segen schief hing? Schließ­lich hat Ri­chard Wag­ner, wie man in der obi­gen Ab­bil­dung er­ken­nen kann, sei­nen ge­wiss auch von ihm lang er­sehn­ten Hoch­zeits­tag mit Co­si­ma schlicht­weg falsch da­tiert. Ge­hei­ra­tet wur­de näm­lich nicht am 25. Juli, son­dern erst am 25. Au­gust 1870. In der re­for­mier­ten Mat­thä­us­kir­che von Lu­zern fun­gier­ten als Trau­zeu­gen Hans Rich­ter und Mal­wi­da von Mey­sen­bug. Der Ter­min war kein Zu­fall, fei­er­te doch am sel­ben Tag Kö­nig Lud­wig II., der wich­tigs­te Mä­zen Wag­ners und der künf­ti­gen Fest­spie­le, sei­nen 25. Ge­burts­tag. Und das Er­eig­nis vom 4. Sep­tem­ber, das üb­ri­gens di­rekt in Trib­schen statt­fand, war end­lich – fast fünf­zehn Mo­na­te nach sei­ner Ge­burt – die Tau­fe von Sieg­fried Wagner.

Als Dan­ke­schön für Trau­ung und Tau­fe hat­te Wag­ner eine in der Lu­zer­ner Buch­hand­lung Schiff­mann ge­kauf­te, von Gust­ave Doré il­lus­trier­te kost­ba­re Lu­ther-Bi­bel mit der obi­gen Wid­mung ver­se­hen. Die Schwei­ze­ri­sche Ri­chard-Wag­ner-Ge­sell­schaft in Lu­zern konn­te die­se Bi­bel jetzt aus dem Pri­vat­be­sitz ei­nes Zü­ri­cher Ga­le­ris­ten er­wer­ben und über­gibt sie am 22. Au­gust 2020 dem Wag­ner­mu­se­um in Trib­schen. Dort wird sie aus kon­ser­va­to­ri­schen Grün­den vor­erst nur von 23. Au­gust bis Ende Sep­tem­ber ge­zeigt. Nach An­ga­ben von Kat­ja Flei­scher, der Mu­se­ums­lei­te­rin, soll je­doch nach ei­ner län­ger­fris­ti­gen Aus­stel­lungs­mög­lich­keit ge­sucht werden.

Dass der fal­sche Mo­nat in der Wid­mung ein­fach eine Art Schreib­feh­ler ist, lässt sich an den Ein­trä­gen in Co­si­mas Ta­ge­bü­cher ab­le­sen. Am 25. Juli 1870 steht dort je­den­falls nichts, das für die Trau­ung re­le­vant wäre. Erst am 27. Juli mel­det ein Brief von An­walt Hall­wachs, „daß am 18ten die Ehe­schei­dung aus­ge­spro­chen wur­de. Kein Glück gibt es auf Er­den, mei­ne Kin­der, denn bei die­ser Nach­richt hat­te ich nur Trä­nen.“ Am 30. Juli folgt die nächs­te ein­schlä­gi­ge No­tiz, denn wie Wag­ner beim Be­such sei­nes Ad­vo­ka­ten er­fah­ren hat, kann „die Trau­ung in höchs­tens vier bis fünf Wo­chen statt­fin­den“. Hier wei­te­re Aus­zü­ge dazu aus Co­si­mas Tagebüchern.

Mon­tag 1ten [Au­gust] Um elf bei Stur­mes­na­hen fährt R. zum pro­tes­tan­ti­schen Pfar­rer Tschu­di, von wel­chem er sehr zu­frie­den schei­det. Wenn der Akt mei­ner Schei­dung hier an­ge­langt sein wird, wer­den [wir] wahr­schein­lich kei­ner­lei Schwie­rig­kei­ten ha­ben. R. sagt, wie ich ihn fra­ge, ob ihm dies al­les denn auch recht sei: Er wis­se kein We­sen auf der Welt, mit dem er sich au­ßer mir ver­bun­den ha­ben wür­de! Ohne mich wäre er in’s Klos­ter ge­gan­gen. – Nach­mit­tags be­stel­le ich die Trau­rin­ge in al­ter Lu­zer­ner Form.

Mitt­woch 3ten Bei Tisch er­hal­te ich das Do­ku­ment mei­ner Scheidung.

Don­ners­tag 18ten R. ist sehr un­ge­dul­dig, von Cl. Brock­haus kei­ne Nach­richt zu ha­ben, er wünscht sehr, uns­re Trau­ung könn­te am 25ten voll­zo­gen werden.

Frei­tag 19ten Heu­te vor 13 Jah­ren bei gleich reg­ne­ri­schem Wet­ter mei­ne Trau­ung [mit Hans von Bülow]; ich wuß­te nicht, was ich da ver­sprach, denn ich habe es nicht ge­hal­ten, wenn ich auch weiß, was mich be­herrscht hat, nie will ich die Sün­de ver­ges­sen und ihr be­stän­dig ins Ant­litz schau­en, um De­mut zu ler­nen und Ergebung.

Sams­tag 20ten Brief Cle­mens Brock­haus‘ heut doch an­ge­kom­men, da sieht man, daß man im­mer und im­mer sich ge­dul­den muß, sagt R. Ich schrei­be an Mat­hil­de M. und an Ju­dith Men­dès; letz­te­re wer­den wir wohl nicht wie­der­se­hen. – Ja­kob bringt die Nach­richt, daß all un­se­re Pa­pie­re in der Pfar­rei lie­gen, daß nur der Pfar­rer Tschu­di ein Tür­le (klei­ne Tour) ma­che, und wir des­halb nichts von ihm ge­hört! – […] „Sein gu­ter Geist“, nennt mich R. zu wie­der­hol­ten Ma­len am Abend, in­dem er ge­rührt an uns­re be­vor­ste­hen­de Trau­ung denkt.

Sonn­tag 21ten Heu­te wer­den wir in der Kir­che ver­kün­digt; und Don­ners­tag,  am Ge­burts­tag des Kö­nigs, wird die Trau­ung voll­zo­gen werden.

Mon­tag 22 Die Trau­rin­ge kom­men an. R. sagt, er müs­se wie ein Kind hell laut la­chen, wenn er mei­ne Un­ter­schrift lese: Co­si­ma Wag­ner, es sei ihm wie ein Traum. Ich bit­te Gott, mir zu Gna­den in der Freu­de der Trau­ern­den, Lei­den­den nicht zu vergessen.

Diens­tag 23ten Lol­di [Isol­de] im­mer un­wohl, ja krän­ker als ges­tern, was in uns die Be­sorg­nis er­weckt, wir wer­den uns am Don­ners­tag nicht trau­en las­sen, da ich kei­ne Kin­der da­bei ent­beh­ren will. […] Von da ab spre­chen wir von der Über­ra­schung der meis­ten, wenn sie un­ser Le­ben auf Trib­schen se­hen, „was die meis­ten sich nur vor­stel­len!“ „Ja“, sagt R., „so er­hielt ich vor 5 Mo­na­ten un­ge­fähr ei­nen Brief von ei­ner an­ony­men Frau, die mir sag­te, sie habe sich ver­wet­tet, ich wür­de dich nicht hei­ra­ten, ich möch­te ihr in den N. Nach­rich­ten ein Ja oder Nein wis­sen las­sen, mei­ne Freun­de sei­en hier­über in Sor­ge, du sei­est eine In­tri­gan­tin, und der Kö­nig sei sehr un­ge­hal­ten über das Gerücht.“

Mitt­woch 24 Daß der Ernst des Le­bens nie­mals uns vom Ge­dächt­nis schwin­de, ist mei­ne Lol­di so un­wohl, daß sie mor­gen der Trau­ung nicht wird bei­woh­nen kön­nen; wir las­sen ihr Eva zur Ge­sell­schaft, und so­mit ist ein Flor über die lie­be Fei­er­lich­keit ge­wor­fen. R. fährt zur Stadt, um die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen zu tref­fen, und ich er­klä­re den Kin­dern den mor­gen statt­fin­den­den Vor­gang. Sie wei­nen mit mir und lä­cheln dann auch mit mir, schließ­lich lacht Boni laut: „Du hei­ra­test On­kel Ri­chard.“ […] R. sagt mir scher­zend, ich wür­de mich är­gern über die­sen Man­gel al­ter Sym­bo­lik in der pro­tes­tan­ti­schen Trau­ung; wir be­spre­chen wei­ter die­se häß­li­che Sit­te der Hoch­zeits­gaf­fe­rei; al­les kommt hier auf Mein und Dein für die Ge­sell­schaft an, und auch die Kir­che be­küm­mert sich nur um die­ses The­ma, du hast und du hast nicht, da­für kriegst du im Himmel!

Mat­thä­us­kir­che Lu­zern, Ra­die­rung von F. Stad­ler, nach ei­nem Plan von 1860 Vor­la­ge: Ri­chard Wag­ner Mu­se­um Luzern

25ten Don­ners­tag Um 8 Uhr fand un­se­re Trau­ung statt; möge ich wür­dig sein, R.’s Na­men zu tra­gen! Mei­ne An­dacht hat sich auf zwei Punk­te ge­sam­melt, R.’s Wohl, daß ich es stets be­för­dern konn­te; Hansen’s Glück, daß es ihm fern von mir be­schie­den sei, ein hei­t­res Le­ben zu füh­ren. […]  Nach­mit­tags ge­ra­ten wir in gro­ße Sor­ge um Lol­di, wel­che ihr Fie­bern nicht ver­liert. Wir ver­le­gen die Tau­fe, wel­che nächs­ten Sonn­tag sein soll­te! Gro­ße Sorge!

Das nach­träg­li­che „Hoch­zeits­fo­to“: Am 9. Mai 1872 nahm Fritz Luck­hardt in Wien das ers­te Dop­pel­por­trät von Co­si­ma und Ri­chard Wag­ner auf Vor­la­ge: Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Bayreuth

26ten Frei­tag Glück­wün­schen­de De­pe­sche des Kö­nigs. Wir ma­chen un­se­re Be­su­che (bei Frau Am Rhyn, Bas­sens­heims, dem Pfar­rer und Frl. Mey­sen­bug). Heim­ge­kehrt ver­sen­den wir die 120 „fai­re part“; Bou­quet von Edel­weiß, von Frau We­sen­don­ck mir zugeschickt.

Sonn­tag 28ten Am Mor­gen ruft mir R. zu: „Co­si­ma Hel­fe­ri­ca Wag­ner, so mußt du hei­ßen, denn du hast in Wahr­heit ge­hol­fen.“ […] Frau Dr. [Eli­za Wil­le] sagt mir: „Mit wah­rer Teil­nah­me bin ich Ih­nen ge­folgt; Sie ha­ben Enor­mes auf sich ge­nom­men und er­tra­gen und sind da­bei so jung.“ Vom Va­ter teilt sie mir mit, er habe ge­sagt: „Jetzt hat mei­ne Toch­ter den Mann, der ih­rer wür­dig ist.“

Sams­tag 3ten Tag der un­er­quick­li­chen Brie­fe […] Für die Un­er­freu­lich­kei­ten er­hal­ten wir durch Oberst Am Rhyn abends die Nach­richt, daß Mac Ma­hon ver­wun­det, die gan­ze Ar­mee un­ter Wimpf­fen ka­pi­tu­liert, Na­po­le­on III. sich dem Kö­nig er­ge­ben!!! Das ist ein Tauf­ge­schenk für Fidi! 9 Schlach­ten seit ei­nem Mo­nat, alle sieg­reich, und die­ser Abschluß!

Sonn­tag 4ten um 3 Uhr An­kunft der Fa­mi­lie Wil­le, dann Bas­sen­heims, um 4 Uhr geht die Tau­fe vor sich. Hel­fe­rich Sieg­fried Ri­chard Wag­ner be­nimmt sich leid­lich. Hei­te­res Zu­sam­men­sein nachher. 

Mon­tag 5ten Ich fah­re des Mor­gens zum Bahn­hof, um Wil­les noch ein­mal zu be­grü­ßen, dann brin­ge ich un­se­rem Pfar­rer die Bi­bel von Doré. 

Diens­tag 6ten „Liebst du mich?“ ruf ich R. noch halb träu­mend am Mor­gen zu; von sei­ner Stu­be aus ant­wor­tet er: „Ich habe ja kein an­de­res Ge­schäft, kein bi­so­g­no, als dich ein­zig auf der Welt zu lie­ben.“ Vie­le Glück­wunsch­brie­fe; „die Gra­tu­la­ti­on quillt, die Erde hat uns wie­der“, sagt R.

Um noch­mals auf den Ein­trag vom 1. Au­gust 1870 zu­rück­zu­kom­men: Wag­ner konn­te tat­säch­lich sehr zu­frie­den sein mit Pfar­rer Tschu­di. Denn dem mach­te es ers­tens kei­ner­lei Schwie­rig­kei­ten, dass die Braut nach wie vor ka­tho­lisch war. (Co­si­mas Kon­ver­si­on soll­te erst gute zwei Jah­re spä­ter, am 31. Ok­to­ber 1872, er­fol­gen. Bei der klei­nen Ze­re­mo­nie in der Bay­reu­ther Stadt­kir­che mit dem pro­tes­tan­ti­schen De­kan Dr. Wil­helm Ditt­mar wa­ren Bür­ger­meis­ter Theo­dor Mun­cker und Ban­kier Fried­rich Feus­tel als Zeu­gen zu­ge­gen, so­wie  Wag­ner, mit dem Neu­pro­tes­tan­tin Co­si­ma ge­mein­sam das hei­li­ge Abend­mahl nahm.) Zwei­tens stör­te sich Tschu­di, was Sieg­fried be­trifft, nicht an dem un­ge­wöhn­lich lan­gen Zeit­raum zwi­schen der Ge­burt am 6. Juni 1869 und der Tau­fe am 4. Sep­tem­ber 1870. Und auch nicht dar­an, dass der im Tauf­re­gis­ter ver­merk­te Tauf­pa­te nicht „Sei­ne Ma­jes­tät Kö­nig Lud­wig II. von Bay­ern“ war, son­dern als Pa­ten Grä­fin Ca­ro­li­ne Wald­bott-Bas­sen­heim aus Lu­zern und Dr. Fran­çois Wil­le aus Zü­rich fun­gier­ten. Aber das mit Sieg­fried ist eine an­de­re, ziem­lich kom­pli­zier­te und über­aus fol­gen­rei­che Geschichte.

Wid­mung von Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner für Pfar­rer Tschu­di Vor­la­ge: Stadt Luzern