Der Pianist und von vielen Wagnerianern geschätzte Wagner-Erklärer Stefan Mickisch ist im Alter von nur 58 Jahren in seiner Heimatstadt Schwandorf gestorben. Die Todesursache ist unbekannt.
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Wer genauer wissen will, wer Stefan Mickisch war, kann sich eine Vielzahl von Infos und Eindrücken auf seiner Homepage holen. Schon allein die Referenzen, die er dort versammelt hat, geben eindrucksvoll Zeugnis davon, dass er ein ganz besonderer Musiker und Musik-Vermittler war.
Wer erinnert sich nicht gern an seine Einführungsvorträge, die er ab 1998 im Auftrag des Richard-Wagner-Verbands Bayreuth abhielt. Erst noch in der Stadthalle, dann im Saal des Evangelischen Gemeindehauses waren diese unterhaltsamen, kurzweiligen, aber gehaltvollen Matineen für sich schon ein Festspiel-Ereignis. Er verstand es wie kein anderer, Anfängern sowohl den Inhalt der Wagner’schen Musikdramen als auch die Funktion und Wirkung sowie den großen Bogen der Musik nahe zu bringen und gleichzeitig Kennern oft in kleinen Nebensätzen und faszinierenden musikalischen Seitensprüngen immer noch etwas Neues zu offenbaren. Das war in Kombination mit seinem Witz, seinem Charme und seinem oberpfälzer Idiom schon ziemlich einmalig, wurde aber noch übertroffen von seinem großen pianistischen Können.
Mit diesem Knochenjob – jeweils vom 25. Juli bis zum 29. August gab es mit Ausnahme der spielfreien Tage dreißig eineinhalbstündige Einführungen zu absolvieren, die bestimmt viel Kraft gekostet haben – und mit den eigenen Wagner-Transkiptionen, die er auf Fafnerphon, seinem eigenen Label, einspielte, wurde er zunächst in der Wagnerwelt so berühmt, dass er bald auch international und in Bezug auf andere Komponisten angefragt wurde. Seine Klaviertranskriptionen der Wagnerschen Werke sind (die anderen Arbeiten vermag ich nicht zu beurteilen, weil ich sie nicht kenne) nichts anderes als gewissermaßen die Quadratur des Kreises: Da holt ein brillanter Pianist aus einem Flügel an Wagnerklängen und -farben fast alles heraus, was sonst nur ein groß besetztes Orchester schafft, und bezieht auch noch Gesangsstimmen mit ein, alles nur mit zwei Händen. Einfach großartig. Die erste Darbietung seiner „Tristan“-Transkiption am 16. Mai 2004 in seinem Haus in Himmelkron gehört mit zu meinen schönsten Konzerterlebnissen.
Manche sagen, dass ihm der Ruhm zu Kopf gestiegen sei. Jedenfalls endete die Zusammenarbeit mit dem Bayreuther Wagner-Verband 2014, ohne dass die Öffentlichkeit erfuhr, warum. Er blieb in der Wagnerstadt und andernorts immer noch missionarisch präsent, inzwischen astrologisch angehaucht und zunehmend kritisch nicht nur gegenüber dem Regietheater. „Man muß den Genies“, sagte er in punkto Richard Wagners Antisemitismus 2013 im Gespräch mit Roland Spiegel auf BR alpha, „zugestehen, daß sie Fehler machen.“ Und stellte fest, dass es sich bei Wagner nicht um einen rassistischen, sondern um einen „sprachphilophischen Antisemitismus“ gehandelt habe. Was immer das sein mag. Schon in dieser Sendung wird deutlich, daß er apodiktisch nur mehr auf ein zunehmend sektiererisches Weltbild fixiert war.
Aufhorchen ließ er da schon mit Auftritten anderer Art. Ich habe selber miterlebt, wie 2013 bei Wagners Frühwerk „Das Liebesverbot“ in der Oberfrankenhalle Polizeibeamte den lauthals protestierenden Stefan Mickisch abführten, der ohne Eintrittskarte zu der Vorstellung gekommen war und den natürlich ahnungslosen Securityleuten und Polizeibeamten entgegenwarf, sie wüßten gar nicht, wer er sei. Da war er, auch wenn es das Wort in der heutigen Bedeutung noch gar nicht gab, bereits ein Wutbürger. 2014 postete er auf Facebook, dass er Wagner vom Vorwurf des Antisemitismus reinwaschen wolle, 2020 bezeichnete er dort die Gesundheitspolitik der Bundesregierung als „Coronafaschismus“ und verglich sich selbst im Dezember schließlich mit Hans Scholl, einem Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten. Daraufhin entzog ihm sein vormaliger Duzfreund und Wahnfried-Direktor Sven Friedrich das Du und erklärte ihn zur „unerwünschten Person“ in der Villa Wahnfried, wo Mickisch an Wagners Flügel auch in TV-Filmen und Matineen einst so überzeugend den Wagnerschen Kosmos ausgelotet hatte.
Wie weit er sich inzwischen von dem inspirierenden Einführungskünstler entfernt hatte, den viele aus guten Gründen verehrt haben, lässt sich unschwer an dem Video ablesen, das er als „künstlerisch satirischen Kommentar zum aktuellen Zeitgeschehen“ Anfang November 2020 selbst ins Netz hochgeladen hat. Wer Stefan Mickisch in guter Erinnerung behalten möchte, sollte sich das besser nicht antun. Und sich nur anhören, was er unvergleichlich gut konnte. Hier (trotz des Sternenhimmel-Covers) zwei Auszüge einer seiner Wagner-Transkriptionen, die sofort spür- und hörbar machen, was „geistige Durchdringung“ in der Wagnerinterpretation auf dem Klavier heißen kann: „Tristan und Isolde“, Vorspiel und Liebestod auf YouTube
Nachtrag vom 26. Februar: Die Homepage von Stefan Mickisch ist aktualisiert und optisch verändert, das Video auf Youtube vom 2. November ist nicht mehr frei zugänglich und wird als privat deklariert.
Nachtrag vom 31. März: Die Urnenbeisetzung von Stefan Mickisch fand, wie der Online-Merker meldete, am 30. März in Wien statt. In Halle 2 des Zentralfriedhofs begleitete dabei ein Posaunenquartett aus Mitgliedern der Wiener Symphoniker unter anderem den Wagnersänger Günther Groissböck beim Gebet König Heinrichs aus „Lohengrin“.
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