Das Opern-Wunder von Chemnitz

Mit Eli­sa­beth Stöpp­lers ge­nia­ler In­sze­nie­rung der „Göt­ter­däm­me­rung“, die zu­dem in den zwei Haupt­par­tien sän­ger­dar­stel­le­risch sin­gu­lär be­setzt ist, schließt sich der „weib­li­che Ring“.

Sté­pha­nie Müt­her (Brünn­hil­de) und Da­ni­el Kirch (Sieg­fried) im 1. Akt „Göt­ter­däm­me­rung“ auf  Gra­ne, dem Schlit­ten Foto: Kirs­ten Nijhof

Ri­chard Wag­ners „Ring des Ni­be­lun­gen“ in ei­ner Sai­son neu zu stem­men, das schaf­fen selbst größ­te Opern­häu­ser nicht. Nur die Bay­reu­ther Fest­spie­le pro­du­zie­ren die Te­tra­lo­gie seit der Ur­auf­füh­rung 1876 stets auf ein­mal. Die Thea­ter Chem­nitz, ein städ­ti­sches Vier-Spar­ten-Haus mitt­le­rer Grö­ße, ha­ben heu­er den kom­plet­ten „Ring“ in­ner­halb von zehn Mo­na­ten her­aus­ge­bracht und da­für vier Re­gis­seu­rin­nen en­ga­giert – mit sen­sa­tio­nel­lem Ergebnis.

Erst fünf Frau­en ha­ben Wag­ners Opus ma­gnum kom­plett in­sze­niert. Im Jahr 2000 gab es erst­mals ei­nen „Ring“ von vier ver­schie­de­nen Sze­ni­kern, den von vier Re­gis­seu­rin­nen gibt es erst jetzt und in Chem­nitz: Beim „Rhein­gold“ führ­te Ve­re­na Stoi­ber Re­gie (preis­ver­däch­tig gut), un­ter Mo­ni­que Wa­ge­ma­kers folg­te die „Wal­kü­re“ (lei­der be­lang­los), „Sieg­fried“ un­ter Sa­bi­ne Hart­manns­henn (ra­bi­at-be­we­gend) und jetzt als krö­nen­der Ab­schluss „Göt­ter­däm­me­rung“ un­ter Eli­sa­beth Stöppler.

Ins­ge­samt ist die­ser „Ring“ auch dank der über­wie­gend in ih­ren Rol­len de­bü­tie­ren­den So­lis­ten ein Mei­len­stein in der Re­zep­ti­ons­ge­schich­te und Chem­nitz für mich das Opern­haus des Jah­res. Von ei­nem ge­nu­in „weib­li­chen Ring“ ist den­noch nur be­dingt zu spre­chen. Denn ers­tens teil­ten sich zwei Di­ri­gen­ten die Pre­mie­ren. Und zwei­tens war in den weib­li­chen Re­gie­teams auch ein Büh­nen­bild­ner ak­tiv. Beim „Ring“-Abschluss, der am Sams­tag Pre­mie­re hat­te, zeig­te sich: Die weib­li­che Sicht zeich­net sich un­ter an­de­rem da­durch aus, dass sie auch in man­chen männ­li­chen Fi­gu­ren ein miss­brauch­tes Kind ent­deckt und sie em­pa­thisch einbezieht.

Na­tür­lich legt auch Stöpp­ler ih­ren Fo­kus auf die Frau­en. Aber in­dem sie zum Bei­spiel Sieg­fried erst als glück­li­chen Ver­lieb­ten prä­sen­tiert, den die Gi­bi­chun­gen zum er­in­ne­rungs­lo­sen Dro­gen­ab­hän­gi­gen ma­chen und der die tü­cki­sche Braut­wer­bung nicht al­lein, son­dern ge­mein­sam mit Gun­ther un­ter­nimmt, ist sie letzt­lich nä­her bei Wag­ners Ori­gi­nal als die meis­ten ih­rer männ­li­chen Kol­le­gen. Was sich tief be­we­gend spä­ter zeigt – bei Sieg­frieds Tod und Brünn­hil­des Abgesang.

Pierre-Yves Pru­vot (Gun­ther), Sté­pha­nie Müt­her (Brünn­hil­de) und Da­ni­el Kirch (Sieg­fried) in der letz­ten Sze­ne des 1. Akts „Göt­ter­däm­me­rung“ Foto: Kirs­ten Nijhoff

Am Ende wird klar, dass der „Ring“ hier als Ge­schich­te der ge­schei­ter­ten Vä­ter Wo­tan und Al­be­rich zu le­sen ist – und als eine Ge­schich­te von weib­li­cher Selbst­fin­dung. Wenn die schon im 2. Akt auf auf­re­gen­de Wei­se in ihre Wal­kü­ren-Rol­le zu­rück­ge­kehr­te Brünn­hil­de an Sieg­fried ihr To­des­ver­kün­di­gungs­ri­tu­al voll­zo­gen hat und sich im Schnee­ge­stö­ber dar­an macht, das fi­na­le Feu­er zu le­gen, es sich aber an­ders über­legt, eman­zi­piert sie sich ein­drucks­voll nicht nur von ih­rem Va­ter, son­dern so­gar von Wag­ner selbst.

Die in je­dem De­tail stim­mi­ge und prä­zi­se Per­so­nen­re­gie, die ei­nem die Fi­gu­ren mensch­lich ex­trem und zum Heu­len nahe bringt, die neue Per­spek­ti­ven auf­zei­gen­de In­sze­nie­rung in ih­rer schlüs­si­gen end­zeit­li­chen Eis­re­gi­on (Büh­ne: An­ni­ka Hal­ler, Kos­tü­me: Ge­si­ne Völlm) ist schon für sich ge­nom­men ein Thea­ter­coup und braucht den Ver­gleich mit der le­gen­dä­ren „Göt­ter­däm­me­rung“ Pa­tri­ce Ché­re­aus in Bay­reuth nicht zu scheuen.

Doch da­mit nicht ge­nug: Auch die zwei Haupt­so­lis­ten sind ein sän­ger­dar­stel­le­ri­sches Er­eig­nis und kaum zu top­pen. Nach sei­nem spek­ta­ku­lä­ren De­büt in „Sieg­fried“ über­zeugt Da­ni­el Kirch als Sieg­fried auch in der „Göt­ter­däm­me­rung“ auf An­hieb und hat in Sté­pha­nie Müt­hers Brünn­hil­de jetzt eine Part­ne­rin, die mit ihm auf Au­gen­hö­he agiert und singt. Bei­de sind phä­no­me­nal und in den kom­men­den Chem­nit­zer „Ring“-Zyklen zu er­le­ben. Ho­hes Staats­opern­ni­veau beim Gros der So­lis­ten, nur Pierre-Yves Pru­vot als Gun­ther ist ein Rein­fall, weil er ge­fühlt bes­ten­falls je­den fünf­ten Ton rich­tig trifft.

Die Ro­bert-Schu­mann-Phil­har­mo­nie un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Guil­ler­mo Gar­cía Cal­vo, der alle wei­te­ren Vor­stel­lun­gen di­ri­gie­ren wird, über­zeugt als mu­si­ka­li­sches Me­di­um, das eben nicht nur die Sän­ger auf Hän­den trägt, son­dern zu­sätz­lich et­was zu er­zäh­len weiß. Das Or­ches­ter ze­le­briert un­glaub­lich zar­te Über­gän­ge eben­so sou­ve­rän wie die gro­ßen dra­ma­ti­schen Aus­brü­che, die von Ste­fan Bilz ein­stu­dier­ten Chö­re ma­chen die in­ten­si­ve Chem­nit­zer Wag­ner­pfle­ge hör­bar. Am Ende die­ses Opern- und Wag­ner-Wun­ders ste­hen­de Ovationen.

Sté­pha­nie Müt­her bei Brünn­hil­des Schluss­ge­sang im Schnee­ge­stö­ber mit Gra­ne Foto: Kirs­ten Nijhoff

Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags am 5. De­zem­ber 2018 so­wie auf www​.in​fran​ken​.de. Be­such­te Pre­mie­re am 1. De­zem­ber 2018, wei­te­re Vor­stel­lun­gen der „Göt­ter­däm­me­rung“ am 22. De­zem­ber so­wie in­ner­halb der drei „Ring“-Zyklen 2019 am 26. Ja­nu­ar, 22. April und 10. Juni. Kar­ten­in­fos un­ter Te­le­fon 0371/4000-430 so­wie un­ter https://​www​.thea​ter​-chem​nitz​.de/​r​i​ng/

 

 

Text des Bei­trags­bil­des auf der Auf­schlag­sei­te: Eine To­des­ver­kün­di­gung auch in der „Göt­ter­däm­me­rung“: Sté­pha­nie Müt­her als Brünn­hil­de und Da­ni­el Kirch als Sieg­fried Foto: Kirs­ten Nijhof

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