Der Komponist Pierre Boulez, der am 26. März 1925 geboren wurde, prägte die Musikwelt unter anderem auch als Wagner-Dirigent.
Dass der Komponist Pierre Boulez (1925–2016) unter anderem auch als Dirigent ein bedeutender Interpret war, beleuchten nicht nur die von ihm geleiteten Uraufführungen, sondern beispielhaft seine Auftritte bei den Bayreuther Festspielen. Von 1966 bis 2005 dirigierte er dort, wie immer ohne Taktstock, zwei sehr unterschiedliche „Parsifal“-Produktionen und den längst legendären Jubiläums-Ring in insgesamt 85 Vorstellungen. Bereits 1963 wurde er erstmals nach Bayreuth eingeladen, wahlweise für den „Fliegenden Holländer“ oder „Tannhäuser“ – zwei Werke, die ihn nicht wirklich interessierten und die er aus Termingründen absagte. Ende 1965 – Boulez bereitete gerade zu „Wozzeck“ in Frankfurt seine erste gemeinsame Zusammenarbeit mit Wieland Wagner vor – erhielt er vom Wagner-Enkel per Telegramm die Anfrage, ob er den „Parsifal“ in Bayreuth übernehmen könne und wolle. In einem Interview erinnerte sich Boulez später: „Parsifal, ja, das gefiel mir, das ist wichtig, dachte ich mir; das ist eine Gelegenheit, die werde ich vielleicht nicht zweimal haben.“
Wegen der bald tödlich schweren Erkrankung Wieland Wagners im Sommer 1966 kam die direkte Zusammenarbeit in Bayreuth nicht mehr zustande. Der musikalische und der szenische Leiter korrespondierten stattdessen intensiv und waren sich darin einig, das Werk „entsakralisieren“ zu wollen. Boulez dirigierte die Vorstellungen 1966 und nach Wieland Wagners Tod mit Ausnahme des Jahres 1969 bis 1970. Viele Kritiker schrieben, dass die überarbeitete Inszenierung von 1951 erst durch den Paradigmenwechsel im Orchestergraben zu ihrer vollen Wirkung gekommen sei. Anders als der zuvor prägende Hans Knappertsbusch realisierte Boulez ein „imaginäres Klangkontinuum“ in transparenter Klarheit und ungewohnt flüssigem Tempo. In seiner zweiten Festspielsaison gab er dann just in Bayreuth jenes „Spiegel“-Interview, dessen Überschrift „Sprengt die Opernhäuser in die Luft“ weltweit für Aufsehen sorgte.
Einen derart radikal denkenden Musiker wollten konservative Teile des Publikums natürlich ausgerechnet zum Festspiel-Zentenarium 1976 nicht im „magischen Abgrund“ wissen. Sowohl die auf Vorschlag von Boulez durch Patrice Chéreau realisierte szenische Interpretation der „Ring“-Tetralogie wie die musikalische Umsetzung wurden zunächst handfest mit Trillerpfeifen, Ohrfeigen und einer ernst zu nehmenden Morddrohung bekämpft. Als der so genannte Jahrhundert-„Ring“ 1980 zum letzten Mal aufgeführt wurde, gab es 101 Vorhänge und eineinhalb Stunden Ovationen.
Boulez, der am 26. März 1925 geboren wurde, kehrte 2004 und 2005, also im Alter von 79 bzw. 80 Jahren, noch einmal zurück auf den Grünen Hügel, zur wiederum polarisierenden, ein Fenster in die Opernzukunft öffnenden „Parsifal“-Inszenierung von Christoph Schlingensief. Auch hier zeigte sich wieder seine Unbeirrbarkeit und gleichzeitige Wandlungsbereitschaft. Seine Wege zu „Parsifal“, wie er sie 1970 in einem Programmheftbeitrag präzisiert hatte, klangen jetzt anders, waren aber zumindest, was das Tempo betrifft, verblüffend gleich geblieben: Gerade mal um eine Minute unterschied sich die Spieldauer von 1970 zu der von 2005. Mit drei Stunden vierzig Minuten dürfte das Dirigat von Pierre Boulez wohl am ehesten den Intentionen Wagners entsprochen haben, der die „verschleppten Tempi“ von Uraufführungsdirigent Hermann Levi beklagte, der 1882 genau vier Stunden sechs Minuten brauchte.
Erstveröffentlichung auf https://www.takt1.de/
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