Mit der letzten Aufführung der „Tristan“-Inszenierung von Festspielleiterin Katharina Wagner enden heute die 108. Bayreuther Festspiele: ein Rückblick auf den Festspielsommer und der Ausblick auf die kommende Saison.
Skandale sind heuer ausgeblieben. Eitel Wonne herrschte aber deshalb noch lange nicht am Grünen Hügel. Denn die mit Spannung erwarteten Debüts von zwei gehypten russischen Künstlern waren ein Reinfall bzw. fanden nicht statt. Dafür gab es viel Jubel vor allem für die geniale „Tannhäuser“-Neuinszenierung von Tobias Kratzer. Damit haben die Festspiele aktuell gleich zwei Interpretationen im Programm, die künstlerisch auf der Höhe der Zeit sind: Während der neue „Tannhäuser“ so konsequent in der Gegenwart spielt, dass selbst die Pausen bespielt werden, hat die historisierende „Meistersinger“-Inszenierung von Barrie Kosky in ihrem dritten Jahr unter dem kongenialen Dirigat von Philippe Jordan nichts von ihrem Biss, Tiefgang und Witz verloren.
Es überrascht nicht, dass in beiden Produktionen die Solistenbesetzung auch im nächsten Jahr voraussichtlich konstant bleiben wird: Die Sängerinnen und Sänger fühlen sich eben wohl, wenn sie auch darstellerisch auf einleuchtende, intelligente und spannende Weise gefordert werden und bei jedem Augenaufschlag und Handgriff wissen, warum sie das tun sollen. Ein Musterbeispiel dafür ist Stephen Gould, der den Tannhäuser nicht nur großartig singt, sondern in jeder Sekunde glaubhaft spielt, was all jene bedenken sollten, die die ungewöhnliche Interpretation ablehnen. Apropos: Nicht wenige beurteilen nur noch die Verfilmung. So wichtig die Aufzeichnungen für Kino, Fernsehen und Streaming sind, sie zeigen immer nur einen Ausschnitt dessen, was der Zuschauer in einer Vorstellung im Festspielhaus wahrnehmen kann.
Dass Operndiva Anna Netrebko ihre zweimalige „Lohengrin“-Elsa absagte und der vielbeschäftigte Stardirigent Valery Gergiev eine Enttäuschung war, ist schon Schnee von gestern. Letzterer hatte ohnehin nur fürs Premierenjahr zugesagt; 2020 übernimmt der aus Kronach stammende Axel Kober die musikalische Leitung von „Tannhäuser“ und zwei der sechs „Lohengrin“-Aufführungen. Musikdirektor Christian Thielemann wird nächstes Jahr hingegen nur vier Mal „Lohengrin“ dirigieren. Angesichts der aktuellen Querelen bei den Salzburger Osterfestspielen, deren Künstlerischer Leiter er seit 2013 ist, bleibt abzuwarten, wie es dort weiter geht und ob er auch künftig in Bayreuth gewissermaßen den Knappertsbusch vom Dienst machen will.
Katharina Wagner selbst, der Ministerpräsident Markus Söder kurz vor Festspielbeginn den Bayerischen Verdienstorden verliehen hat, steht kurz vor der nächsten Vertragsverlängerung. Bei der Pressekonferenz teilten sie und der pensionierte Ministerialdirektor und immer noch zuständige Verwaltungsratsvorsitzende Toni Schmid mit, dass man bald verhandlungseinig sei. Holger von Berg, der Geschäftsführende Direktor, ließ hingegen offen, ob er nach Ablauf seines Vertrags 2021 weiter machen wird. Zumindest scheint die Festspielchefin inzwischen einen Nachfolger für Technikdirektor Christoph Bauch gefunden zu haben, der sich nach nur fünf Jahren wieder verabschieden soll.
Dass der Wechsel in die Zeit einer „Ring“-Neuinszenierung fällt, bezeichnete Bauch im April nicht als Problem. Da wusste er allerdings noch nicht, dass es die vermutlich schon gebauten Bühnenbilder von Henrik Ahr und die zumindest in Teilen geprobte Inszenierung von Tatjana Gürbaca 2020 in Bayreuth nicht geben würde. Gürbaca wäre nach Cosima Wagner erst die zweite Frau gewesen, die im Festpielhaus den „Ring“ inszeniert. Das Nicht-Zustandekommen der Produktion führte Katharina Wagner vor der Presse darauf zurück, dass es in punkto Probenzeiten unüberbrückbare Differenzen gab. Als Kritikerin Christine Lemke-Matwey später versuchte, mehr Licht ins Dunkel der schwerwiegenden Absage zu bringen, musste sie in ihrem „Zeit“-Artikel vielfach auf Vermutungen zurückgreifen.
Dem wenige Wochen vor Festspielbeginn aus dem Hut gezauberten österreichischen „Ring Award“-Gewinner Valentin Schwarz kann man nur die Daumen drücken. Der jetzt 30-Jährige hatte sich beim Grazer Regie-Wettbewerb 2017 der Bayreuth-Intendantin mit einem „Ring“-Konzept vorgestellt, das er jetzt mit seinem Ausstatter Andrea Cozzi umsetzen darf – und mit einem ebenfalls kurzfristig engagierten Dirigenten: Pietari Inkinen, der in Bamberg kein Unbekannter ist.
Bei den angekündigten Solisten der Tetralogie 2020 dürfte es sowohl Festspielglanz wie grauen Alltag geben. Günther Groissböck (Wotan und Wanderer), John Lundgren (Alberich), Klaus Florian Vogt (Siegmund), Lise Davidsen (Sieglinde), Christa Mayer (Fricka) und Wiebke Lehmkuhl (Erda und Waltraute) klingen viel versprechend. Ob das auch für die Zweifach- bzw. Dreifachbesetzung der Siegfried- und Brünnhilden-Partien gilt, steht auf einem anderen Blatt. Zwar beugt die Aufteilung der Hauptpartien Umbesetzungsproblemen vor, wie sie heuer auffallend oft vorkamen. Aber wenn die Heldentenöre gleich in mehreren Produktionen singen, relativiert sich der Effekt. Immerhin soll der Frauenanteil bei verantwortlichen Posten in 2021 wieder steigen: mit dem neuen „Fliegenden Holländer“ wird im mystischen Abgrund die offiziell noch namenlose erste Festspieldirigentin debütieren.
Kommentar: Gilt’s mehr dem Geld?
Da hat Katharina Wagner ja nochmal Glück gehabt, dass ihr vor zwei Jahren ein Jung-Regisseur mit fertigem „Ring“-Konzept über den Weg gelaufen ist. Was übrigens nicht das erste Mal war. Als die Festspielleiterin Jonathan Meese wieder auslud, durfte per Selbstbewerbung Uwe Eric Laufenberg ran an den Gral – mit einem Stadttheaterkonzept auf leider diesem Niveau. Natürlich gehören Absagen zum Alltag eines jeden Opernhauses. Nur sind das in Bayreuth nicht nur Solisten mit empfindlichen Stimmbändern. Sondern immer öfter Regisseure und Dirigenten, die konkret auf die Arbeitsbedingungen schauen, unter denen eine weltweit beachtete Neuproduktion entstehen soll. Genau daran scheint es zu hapern. Denn Tatjana Gürbaca ist eine erfahrene Szenikerin, die nicht grundlos aus dem zentralen Bayreuth-Engagement aussteigt. Ist die Probendisposition so schwierig, weil es weniger spielfreie Tage und zwei zusätzliche Aufführungen mehr gibt? Gilt’s mehr dem Geld und weniger der Kunst? Natürlich kosten auch Absagen. Und auch das stattliche Rahmenprogramm muss finanziert werden, das sich im Portfolio der Chefin sicher gut macht. Aber darf das zu Lasten des Kerngeschäfts, der Qualität der Festspielvorstellungen gehen?
Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags
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