Der Dramaturg als Anwalt der Stücke

Der Vor­trag von Fest­spiel­dra­ma­turg Kon­rad Kuhn lock­te als in­ter­es­sier­te Zu­hö­re­rin so­gar Fest­spiel­lei­te­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner in den KUFA-Saal.

Kon­rad Kuhn, der ak­tu­ell für fünf abend­fül­len­de Fest­spiel­pro­duk­tio­nen ver­ant­wort­li­che Dra­ma­turg – Alle Fo­tos: Ro­land Gröber

Es war ein un­ge­wöhn­li­cher Vor­trags­abend, denn es ka­men vier­zig In­ter­es­sier­te – was, seit­dem Co­ro­na die Welt im Griff hat und auch ohne Re­strik­tio­nen selbst vor­mals aus­ver­kauf­te Thea­ter- und Kon­zert­sä­le noch er­schre­ckend viel freie Plät­ze ha­ben, nicht  we­ni­ge wa­ren. Und aus Bay­reuth kam als pro­mi­nen­ter Gast Fest­spiel­lei­te­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner mit ih­rer en­gen Mit­ar­bei­te­rin Su­san­ne Lin­ser – was dem Abend so­gar ein be­son­de­res Aus­se­hen gab: Denn die Fest­spiel­lei­te­rin, die be­kannt­lich vor fast zwei Jah­ren nach ei­ner le­bens­ge­fähr­li­chen Lun­gen­em­bo­lie lan­ge im Koma lag und des­halb be­son­ders vul­nerabel ist, hat­te vor­ab dar­um ge­be­ten, dass auch die Zu­hö­rer ihre Mas­ken mög­lichst auf­be­hal­ten sollten.

Blick in den Saal mit Kon­rad Kuhn auf dem Po­di­um des KUFA-Saals – Fo­tos: Ro­land Gröber 

Was folg­te war eine kurz­wei­li­ge und im­mer wie­der auch per­sön­lich ge­färb­te Rei­se hin­ter die Ku­lis­sen des Re­gie­thea­ters. Denn der 1959 in Düs­sel­dorf ge­bo­re­ne Kon­rad Kuhn be­gann nach dem Stu­di­um der Thea­ter­wis­sen­schaf­ten – wie fast je­der männ­li­che, weib­li­che oder di­ver­se Dra­ma­turg – sei­ne Lauf­bahn beim Schau­spiel, wo er nach meh­re­ren Sta­tio­nen zu­letzt am re­nom­mier­ten Burg­thea­ter Wien wirk­te. Na­tür­lich durf­te in sei­nem Sprech­thea­ter­dis­kurs Gott­hold Ephra­im Les­sing nicht feh­len, ge­wis­ser­ma­ßen der Va­ter der mo­der­nen Dra­ma­tur­gie. Aber auch von Hei­ner Mül­ler war da schon die Rede, erst Jour­na­list und Dra­ma­turg, dann ei­ner der er­folg­reichs­ten deutsch­spra­chi­gen Stü­cke­schrei­ber in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts und Re­gis­seur, des­sen „Tristan“-Inszenierung in Bay­reuth von 1993 bis 1999 für vie­le un­ver­ges­sen ist.

Just 1999 wand­te sich auch Kon­rad Kuhn, der in­zwi­schen mit ei­ner Opern- und Kon­zert­sän­ge­rin ver­hei­ra­tet war, dem Mu­sik­thea­ter zu. Nach ei­ner ers­ten prak­ti­schen Opern­erfah­rung mit dem Mul­ti­künst­ler Achim Frey­er wur­de er ans Münch­ner Gärt­ner­platz­thea­ter en­ga­giert, wo sei­ne lang­jäh­ri­ge und bis heu­te an­hal­ten­de Zu­sam­men­ar­beit mit Claus Guth be­gann (der un­ter an­de­rem ein be­deu­ten­der Wag­ner-Re­gis­seur ist und 2003 in Bay­reuth den „Flie­gen­den Hol­län­der“ in­sze­nier­te). Bei sei­ner nächs­ten fes­ten Sta­ti­on am Opern­haus Zü­rich ar­bei­te­te Kuhn auch mit Har­ry Kup­fer und Ro­bert Wil­son zu­sam­men, nach Gast­en­ga­ge­ments bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len und dem Gros der in­ter­na­tio­na­len Opern­häu­ser ist er seit der Sai­son 2015/16 fes­ter Dra­ma­turg an der Oper Frank­furt, wo er erst­mals 2018 auf den spä­te­ren „Tannhäuser“-Regisseur To­bi­as Krat­zer traf.

Schon sei­ne Schil­de­rung der je un­ter­schied­li­chen Ar­beits­wei­sen der ge­nann­ten Re­gis­seu­re war fas­zi­nie­rend. So geht der Ame­ri­ka­ner Wil­son ex­trem struk­tu­rell und qua­si mit der Stopp­uhr an sei­ne Kon­zept­ar­beit, wäh­rend der aus Frank­furt stam­men­de Guth in sei­ne In­sze­nie­run­gen stets die Ge­gen­wart und per­sön­li­che Er­fah­run­gen, um nicht zu sa­gen Be­trof­fen­heit ein­be­zie­hen will. Und To­bi­as Krat­zer, der schon beim Ge­winn des Gra­zer „Ring“-Wettbewerbs im Fi­na­le in zwei Teams qua­si ge­gen sich selbst an­trat, habe ihn bei ei­ner ers­ten Kon­zept­be­spre­chung gleich mit drei kom­plett ver­schie­de­nen Ideen über­rascht. Aber egal mit wel­chem Re­gis­seur er auch ar­bei­tet, Kuhn ver­steht sich in ers­ter Li­nie als Zu­ar­bei­ter und als „An­walt des Stücks“, wo­bei selbst­ver­ständ­lich der Re­gis­seur im­mer das letz­te Wort habe.

Na­tür­lich wa­ren die Be­su­cher vor al­lem ge­kom­men, um schon et­was über den neu­en Bay­reu­ther „Ring“ zu er­fah­ren. Fest­spiel­che­fin Ka­tha­ri­na Wag­ner zeig­te sich in der Be­zie­hung kei­nes­wegs zu­ge­knöpft und er­mun­ter­te Kuhn so­gar, mehr preis­zu­ge­ben als das, was oh­ne­hin be­kannt sei, nach­dem „Ring“-Regisseur Va­len­tin Schwarz sich in ei­nem dpa-In­ter­view schon zum Kon­zept ge­äu­ßert hat.

Nach dem Vor­trag von rechts: Fest­spiel­lei­te­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner, Kon­rad Kuhn und Mo­ni­ka Beer vom RWV Bamberg

Dass Kuhn zu­nächst auch auf die so­ge­nann­ten Leit­mo­ti­ve zu spre­chen kam, hat gute Grün­de. Die von Ri­chard Wag­ner nicht ge­wähl­te und ge­woll­te Be­zeich­nung, de­ren „Kar­rie­re“ vor der Er­öff­nung der Fest­spie­le 1876 durch ei­nen ent­spre­chen­den Leit­fa­den von Hans von Wolz­o­gen, dem Re­dak­teur der „Bay­reu­ther Blät­ter“, be­gann und durch die Nen­nung in den Kla­vier­aus­zü­gen gro­ße Ver­brei­tung fand, ver­schleie­re letzt­lich de­ren Be­deu­tung. Wer zum Bei­spiel beim Hö­ren des  Schwert- oder Speer­mo­tivs glau­be, durch das blo­ße Er­ken­nen schon al­les zu wis­sen, lie­ge falsch, weil die­se Mo­ti­ve sich im Ver­lauf der Te­tra­lo­gie stän­dig ver­än­dern und mit zu­sätz­li­chem Sinn­ge­halt aufladen.

Va­len­tin Schwarz, auf des­sen re­gie­hand­werk­li­chen Qua­li­tä­ten be­reits in der Be­grü­ßung RWV-Vor­sit­zen­de Mo­ni­ka Beer hin­ge­wie­sen hat­te, nä­he­re sich den vier „Ring“-Werken mit dem Fo­kus auf die Fi­gu­ren der Hand­lung. Ihn in­ter­es­sie­re de­ren Po­ten­zi­al, Ent­wick­lung und Kon­flik­te, ihn in­ter­es­sie­re vor al­lem das ge­ge­be­ne Be­zie­hungs­ge­flecht, bei dem im Grun­de alle mit­ein­an­der ver­wandt sei­en, wenn man Licht- und Schwarz­al­ben nicht strikt von­ein­an­der tren­ne. Der „Ring“ sei tat­säch­lich wie eine heu­ti­ge Net­flix-Se­rie, bei der ne­ben der Fa­mi­li­en­sa­ga auch die gro­ßen Fra­gen des Werks, die Zer­stö­rung von Mensch, Na­tur und Welt durch Macht­miss­brauch, zum Tra­gen kom­me. Ob es dazu die im Li­bret­to kon­kret ge­nann­ten Re­qui­si­ten brau­che, sei im Vor­feld eine wich­ti­ge Fra­ge ge­we­sen. Die Ge­sangs­so­lis­ten, dar­un­ter mit Al­bert Doh­men ei­ner, der mit am längs­ten am Grü­nen Hü­gel wirkt, sei­en je­den­falls begeistert.

Die be­sorg­te Fra­ge aus dem Pu­bli­kum, ob denn auch der Di­ri­gent das Re­gie­kon­zept mit­tra­ge, konn­te Kuhn be­ja­hen. Pie­ta­ri In­ki­nen (der üb­ri­gens schon mehr­fach mit den Bam­ber­ger Sym­pho­ni­kern kon­zer­tier­te) habe sich von Be­ginn an in­ten­siv an den Pro­ben be­tei­ligt. Was, wie Kuhn süf­fi­sant an­merk­te, nicht bei je­dem Fest­spiel­di­ri­gen­ten der Fall sei. Wo­mit er wie­der bei To­bi­as Krat­zers preis­ge­krön­ter „Tannhäuser“-Inszenierung  lan­de­te, die der seit 2020 für fünf abend­fül­len­den Fest­spiel­pro­duk­tio­nen ver­ant­wort­li­che Dra­ma­turg seit ih­rem Pre­mie­ren­jahr be­treut. Va­lery Ger­giev, mu­si­ka­li­scher „Tannhäuser“-Leiter in 2019, habe es als ers­ter Fest­spiel­di­ri­gent über­haupt ge­schafft, zur ers­ten Or­ches­ter­pro­be ein­ein­halb Stun­den zu spät zu kom­men und – wie Fest­spiel­lei­te­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner er­gänz­te – nicht ein­mal alle ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Pro­ben per­sön­lich zu leiten.

Und am Schluss gab’s auch für Ka­tha­ri­na Wag­ner ei­nen von Ma­ria The­re­sia Worch mo­del­lier­ten Schoko-Wagner.

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