Viel Gerangel um den neuen „Ring“

Mit der letz­ten Auf­füh­rung der „Tristan“-Inszenierung von Fest­spiel­lei­te­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner en­den heu­te die 108. Bay­reu­ther Fest­spie­le: ein Rück­blick auf den Fest­spiel­som­mer und der Aus­blick auf die kom­men­de Saison.

Va­len­tin Schwarz (links) und An­drea Coz­zi ha­ben 2017 den re­nom­mier­ten „Ring Award“, den In­ter­na­tio­na­len Wett­be­werb für Re­gie & Büh­nen­ge­stal­tung in Graz, ge­won­nen. Jetzt ar­bei­ten sie am neu­en „Ring“ für Bay­reuth. Foto: Lupi Spuma

Skan­da­le sind heu­er aus­ge­blie­ben. Ei­tel Won­ne herrsch­te aber des­halb noch lan­ge nicht am Grü­nen Hü­gel. Denn die mit Span­nung er­war­te­ten De­büts von zwei ge­hyp­ten rus­si­schen Künst­lern wa­ren ein Rein­fall bzw. fan­den nicht statt. Da­für gab es viel Ju­bel vor al­lem für die ge­nia­le „Tannhäuser“-Neuinszenierung von To­bi­as Krat­zer. Da­mit ha­ben die Fest­spie­le ak­tu­ell gleich zwei In­ter­pre­ta­tio­nen im Pro­gramm, die künst­le­risch auf der Höhe der Zeit sind: Wäh­rend der neue „Tann­häu­ser“ so kon­se­quent in der Ge­gen­wart spielt, dass  selbst die Pau­sen be­spielt wer­den, hat die his­to­ri­sie­ren­de „Meistersinger“-Inszenierung von Bar­rie Kos­ky in ih­rem drit­ten Jahr un­ter dem kon­ge­nia­len Di­ri­gat von Phil­ip­pe Jor­dan nichts von ih­rem Biss, Tief­gang und Witz verloren.

Es über­rascht nicht, dass in bei­den Pro­duk­tio­nen die So­lis­ten­be­set­zung auch im nächs­ten Jahr vor­aus­sicht­lich kon­stant blei­ben wird: Die Sän­ge­rin­nen und Sän­ger füh­len sich eben wohl, wenn sie auch dar­stel­le­risch auf ein­leuch­ten­de, in­tel­li­gen­te und span­nen­de Wei­se ge­for­dert wer­den und bei je­dem Au­gen­auf­schlag und Hand­griff wis­sen, war­um sie das tun sol­len. Ein Mus­ter­bei­spiel da­für ist Ste­phen Gould, der den Tann­häu­ser nicht nur groß­ar­tig singt, son­dern in je­der Se­kun­de glaub­haft spielt, was all jene be­den­ken soll­ten, die die un­ge­wöhn­li­che In­ter­pre­ta­ti­on ab­leh­nen. Apro­pos: Nicht we­ni­ge be­ur­tei­len nur noch die Ver­fil­mung. So wich­tig die Auf­zeich­nun­gen für Kino, Fern­se­hen und Strea­ming sind, sie zei­gen im­mer nur ei­nen Aus­schnitt des­sen, was der Zu­schau­er in ei­ner Vor­stel­lung im Fest­spiel­haus wahr­neh­men kann.

Dass Opern­di­va Anna Netreb­ko ihre zwei­ma­li­ge „Lohengrin“-Elsa ab­sag­te und der viel­be­schäf­tig­te Star­di­ri­gent Va­lery Ger­giev eine Ent­täu­schung war, ist schon Schnee von ges­tern. Letz­te­rer hat­te oh­ne­hin nur fürs Pre­mie­ren­jahr zu­ge­sagt; 2020 über­nimmt der aus Kro­nach stam­men­de Axel Ko­ber die mu­si­ka­li­sche Lei­tung von „Tann­häu­ser“ und zwei der sechs „Lohengrin“-Aufführungen. Mu­sik­di­rek­tor Chris­ti­an Thie­le­mann wird nächs­tes Jahr hin­ge­gen nur vier Mal „Lo­hen­grin“ di­ri­gie­ren. An­ge­sichts der ak­tu­el­len Que­re­len bei den Salz­bur­ger Os­ter­fest­spie­len, de­ren Künst­le­ri­scher Lei­ter er seit 2013 ist, bleibt ab­zu­war­ten, wie es dort wei­ter geht und ob er auch künf­tig in Bay­reuth ge­wis­ser­ma­ßen den Knap­perts­busch vom Dienst ma­chen will.

Ka­tha­ri­na Wag­ner selbst, der Mi­nis­ter­prä­si­dent Mar­kus Söder kurz vor Fest­spiel­be­ginn den Baye­ri­schen Ver­dienst­or­den ver­lie­hen hat, steht kurz vor der nächs­ten Ver­trags­ver­län­ge­rung. Bei der Pres­se­kon­fe­renz teil­ten sie und der pen­sio­nier­te Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor und im­mer noch zu­stän­di­ge Ver­wal­tungs­rats­vor­sit­zen­de Toni Schmid mit, dass man bald ver­hand­lungs­ei­nig sei. Hol­ger von Berg, der Ge­schäfts­füh­ren­de Di­rek­tor, ließ hin­ge­gen of­fen, ob er nach Ab­lauf sei­nes Ver­trags 2021 wei­ter ma­chen wird. Zu­min­dest scheint die Fest­spiel­che­fin in­zwi­schen ei­nen Nach­fol­ger für Tech­nik­di­rek­tor Chris­toph Bauch ge­fun­den zu ha­ben, der sich nach nur fünf Jah­ren wie­der ver­ab­schie­den soll.

Dass der Wech­sel in die Zeit ei­ner „Ring“-Neuinszenierung fällt, be­zeich­ne­te Bauch im April nicht als Pro­blem. Da wuss­te er al­ler­dings noch nicht, dass es die ver­mut­lich schon ge­bau­ten Büh­nen­bil­der von Hen­rik Ahr und die zu­min­dest in Tei­len ge­prob­te In­sze­nie­rung von Tat­ja­na Gür­ba­ca 2020 in  Bay­reuth nicht ge­ben wür­de. Gür­ba­ca wäre nach Co­si­ma Wag­ner erst die zwei­te Frau ge­we­sen, die im Fest­piel­haus den „Ring“ in­sze­niert. Das Nicht-Zu­stan­de­kom­men der Pro­duk­ti­on führ­te Ka­tha­ri­na Wag­ner vor der Pres­se dar­auf zu­rück, dass es in punk­to Pro­ben­zei­ten un­über­brück­ba­re Dif­fe­ren­zen gab. Als Kri­ti­ke­rin Chris­ti­ne Lem­ke-Matwey spä­ter ver­such­te, mehr Licht ins Dun­kel der schwer­wie­gen­den Ab­sa­ge zu brin­gen, muss­te sie in ih­rem „Zeit“-Artikel viel­fach auf Ver­mu­tun­gen zurückgreifen.

Dem we­ni­ge Wo­chen vor Fest­spiel­be­ginn aus dem Hut ge­zau­ber­ten ös­ter­rei­chi­schen „Ring Award“-Gewinner Va­len­tin Schwarz kann man nur die Dau­men drü­cken. Der jetzt 30-Jäh­ri­ge hat­te sich beim Gra­zer Re­gie-Wett­be­werb 2017 der Bay­reuth-In­ten­dan­tin mit ei­nem „Ring“-Konzept vor­ge­stellt, das er jetzt mit sei­nem Aus­stat­ter An­drea Coz­zi um­set­zen darf – und mit ei­nem eben­falls kurz­fris­tig en­ga­gier­ten Di­ri­gen­ten: Pie­ta­ri In­ki­nen, der in Bam­berg kein Un­be­kann­ter ist.

Bei den an­ge­kün­dig­ten So­lis­ten der Te­tra­lo­gie 2020 dürf­te es so­wohl Fest­spiel­glanz wie grau­en All­tag ge­ben. Gün­ther Groiss­böck (Wo­tan und Wan­de­rer), John Lund­gren (Al­be­rich), Klaus Flo­ri­an Vogt (Sieg­mund), Lise Da­vid­sen (Sieg­lin­de), Chris­ta May­er (Fri­cka) und Wieb­ke Lehm­kuhl (Erda und Wal­trau­te) klin­gen viel ver­spre­chend. Ob das auch für die Zwei­fach- bzw. Drei­fach­be­set­zung der Sieg­fried- und Brünn­hil­den-Par­tien gilt, steht auf ei­nem an­de­ren Blatt. Zwar beugt die Auf­tei­lung der Haupt­par­tien Um­be­set­zungs­pro­ble­men vor, wie sie heu­er auf­fal­lend oft vor­ka­men. Aber wenn die Hel­den­te­nö­re gleich in meh­re­ren Pro­duk­tio­nen sin­gen, re­la­ti­viert sich der Ef­fekt. Im­mer­hin soll der Frau­en­an­teil bei ver­ant­wort­li­chen Pos­ten in 2021 wie­der stei­gen: mit dem neu­en „Flie­gen­den Hol­län­der“ wird im mys­ti­schen Ab­grund die of­fi­zi­ell noch na­men­lo­se ers­te Fest­spiel­di­ri­gen­tin debütieren.

„Ring“-Regisseur Va­len­tin Schwarz beim Dis­kurs-Sym­po­si­um 2019 in Wahn­fried, wo ihm Kris­tel Pap­pel, die Wit­we von Joa­chim Herz, ein Buch über den Re­gis­seur der le­gen­dä­ren Leip­zi­ger „Ring“-Inszenierung über­reich­te. Foto: Beer
Kommentar: Gilt’s mehr dem Geld?

Da hat Ka­tha­ri­na Wag­ner ja noch­mal Glück ge­habt, dass ihr vor zwei Jah­ren ein Jung-Re­gis­seur mit fer­ti­gem „Ring“-Konzept über den Weg ge­lau­fen ist. Was üb­ri­gens nicht das ers­te Mal war. Als die Fest­spiel­lei­te­rin Jo­na­than Mee­se wie­der aus­lud, durf­te per Selbst­be­wer­bung Uwe Eric Lau­fen­berg ran an den Gral – mit ei­nem Stadt­thea­ter­kon­zept auf lei­der die­sem Ni­veau. Na­tür­lich ge­hö­ren Ab­sa­gen zum All­tag ei­nes je­den Opern­hau­ses. Nur sind das in Bay­reuth nicht nur So­lis­ten mit emp­find­li­chen Stimm­bän­dern. Son­dern im­mer öf­ter Re­gis­seu­re und Di­ri­gen­ten, die kon­kret auf die Ar­beits­be­din­gun­gen schau­en, un­ter de­nen eine welt­weit be­ach­te­te Neu­pro­duk­ti­on ent­ste­hen soll. Ge­nau dar­an scheint es zu ha­pern. Denn Tat­ja­na Gür­ba­ca ist eine er­fah­re­ne Sze­ni­ke­rin, die nicht grund­los aus dem zen­tra­len Bay­reuth-En­ga­ge­ment aus­steigt. Ist die Pro­ben­dis­po­si­ti­on so schwie­rig, weil es we­ni­ger spiel­freie Tage und zwei zu­sätz­li­che Auf­füh­run­gen mehr gibt? Gilt’s mehr dem Geld und we­ni­ger der Kunst? Na­tür­lich kos­ten auch Ab­sa­gen. Und auch das statt­li­che Rah­men­pro­gramm muss fi­nan­ziert wer­den, das sich im Port­fo­lio der Che­fin si­cher gut macht. Aber darf das zu Las­ten des Kern­ge­schäfts, der Qua­li­tät der Fest­spiel­vor­stel­lun­gen gehen?

Erst­druck im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags