Die erste Uraufführung einer Wagneroper ging am 29. März 1836 in Magdeburg nach nur zehn Probentagen erfolglos über die Bühne. Die zweite und letzte Vorstellung von „Das Liebesverbot“ endete vorzeitig wegen einer Prügelei hinter den Kulissen.
Eigentlich passt sie in diesen unseren Corona-Virus-Zeiten wie die Faust aufs Auge: Richard Wagners komische Oper „Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo“. Da Wagners erste vollendete Oper „Die Feen“ zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt wurde, sondern erst posthum 1888 in München auf die Bühne des Nationaltheaters kam, war der Zweiakter nach William Shakespeares „Maß für Maß“ seine erste Oper, deren Premiere er erleben durfte – und zwar selbst Regie führend und dirigierend am 29. März 1836 in Magdeburg.
Den Prosaentwurf schrieb er im Juni 1834 auf der Schlackenburg bei Teplitz in Böhmen, beeinflusst von Wilhelm Heinses satirischen Italien-Roman „Ardinghello und die glückseeligen Inseln“ (1787) und Heinrich Laubes Briefroman „Das junge Europa“ (1833). Inhaltlich gilt das „Liebesverbot“ als eine gegen die politische Restauration gerichtete, sehr frivole Satire. Die Handlung spielt in Sizilien, wo der deutsche Statthalter Friedrich nicht nur den Karneval und sonstige Lustbarkeiten, sondern sogar die Annäherung der Geschlechter verbietet. Was natürlich schief geht, denn eine von jungen Betroffenen angezettelte Intrige führt dazu, dass erstens das Volk aufbegehrt und zweitens Friedrich entlarvt wird, gegen seine eigenen Verbote verstoßen zu haben. Liebe und Sinnlichkeit revoltieren hier völlig unblutig und mit ansteckendem Schwung erfolgreich gegen die Obrigkeit.
Ende Juli 1834 war Wagner Musikdirektor bei der Bethmannschen Theatertruppe geworden, die nicht nur das Theater Magdeburg bespielte, sondern auch die Theater in Bad Lauchstädt, Bernburg und Rudolstadt, wo das Libretto entstand. Nach ersten Kompositionsskizzen und etlichen Unterbrechungen vollendete er im Frühjahr 1836 die Partitur. Die Oper orientiert sich an der französischen Opéra comique, ein bisschen auch an Berlioz und Rossini, klingt zuweilen sogar wie der schmissigste Offenbach, lässt aber schon die Leitmotivtechnik erkennen. Nach eigenen Worten gab er sich „nicht die geringste Mühe, französische oder italienische Anklänge zu vermeiden“ und bekannte, die Musik sei „eben nur der Reflex der Einflüsse der modernen französischen und (für die Melodie) selbst italienischen Oper“ auf sein „heftig sinnlich erregtes Empfindungsvermögen.“ Kein Wunder: Bei der Uraufführung war der Komponist noch nicht einmal 23 Jahre alt.
Dass er die Uraufführung überhaupt wagte, war tollkühn. Denn Theaterdirektor Heinrich Bethmann befand sich „in perenirendem Bankrott“ und seine Truppe in Auflösung. Die Sänger, Musiker und Schauspieler, darunter Minna Planer und ihre Schwester Amalie, hatten sich nur wegen der noch anstehenden Benefizvorstellungen nicht schon in alle Winde verstreut. „Wagner musste sich“, schreibt Oswald Georg Bauer in seinem Standardwerk über Wagners Bühnenwerke, „mit der Einstudierung seines neuen Werkes beeilen, er hatte für die Proben zu dieser Uraufführung nur zehn Tage Zeit. Obwohl der Komponist ‚durch beständiges Soufflieren, lautes Mitsingen und drastische Anrufe‘ den Sängern half, konnten sie ihre Partien doch nicht in dieser kurzen Zeit lernen. Von Regie konnte unter diesen Umständen gar keine Rede sein.“
Zusätzliche Schwierigkeiten gab es im Vorfeld schon des Titels wegen. Da die Uraufführung in der Karwoche stattfinden sollte, musste Kapellmeister Wagner die Polizei- und Zensurbehörde erst einmal davon überzeugen, dass es sich um einen ernsten Stoff handelte. Das Textbuch kam immerhin mit dem Vermerk „Kann aufgeführt werden“ zurück – vermutlich weil niemand sich die Mühe gemacht hatte, es zu lesen. Da Bethmanns Kompanie inzwischen so gut wie bankrott war, ging die Einstudierung in größter Eile vor sich. Am 29. März 1836 ging die Premiere über die Bühne.
Die erste Aufführung sollte ursprünglich schon zwei Tage früher stattfinden. Für Sonntag, den 27. März, hatte sich auch Wagners Mutter Johanna Rosine angekündigt: „Ich komme, und freue mich recht von Herzen auf Dich. Ja auf Dich! dann auch auf Deine Oper, aber da schlägt das Herz der Mutter ängstlich. – Wie es auch komme, es heißt genug: Du hast eine Oper geschrieben und nicht aufgeführt, eine zweite geschrieben und – aufgeführt, – also einen großen Schritt vorwärts getan!“ Sie kam dann doch nicht, vermutlich wegen der Verschiebung.
„Die Vormerkungen“, so Wagner-Biograf Carl Friedrich Glasenapp, „waren zahlreich, das Haus am Abend außerordentlich gefüllt, die Spannung groß und allgemein. Aber die Sänger, namentlich des männlichen Personals, waren infolge der übereilten Aufführung so unsicher, dass hierdurch eine vom Anfang bis zum Ende alle Wirksamkeit ihrer Rollen lähmende Befangenheit entstand. Der erste Tenorist, Freimüller, mit dem schwächsten Gedächtnis begabt, suchte dem lebhaften und aufregenden Charakter der Rolle des Luzio, durch seine in Fra Diavolo und Zampa erlangte Routine, namentlich aber auch durch einen unmäßig dicken flatternden bunten Federbusch, mit bestem Willen aufzuhelfen.“
„Mit Ausnahme einiger Partien der Sängerinnen“, erinnerte sich Wagner später, „welche auch beifällig aufgenommen wurden, blieb das Ganze, welches von mir auf kecke, energische Aktion und Sprache abgesehen war, ein musikalisches Schattenspiel auf der Scene, zu welchem das Orchester mit oft übertriebenem Geräusch seine unerklärlichen Ergüsse zum Besten gab. Als charakteristisch für die Behandlung meiner Tonfarben erwähne ich, daß der Direktor eines preußischen Militär-Musikcorps, welchem übrigens die Sache sehr gefallen hatte, mir für zukünftige Arbeiten doch eine wohlgemeinte Anleitung zur Behandlung der türkischen Trommel zu geben für nöthig hielt.“
Die Einkünfte der zweiten Vorstellung – gleichzeitig die letzte der Saison – sollte der Komponist und Dirigent bekommen. In der entsprechenden Theateranzeige stand zu lesen: „Ein verehrtes Publikum gebe ich mir hiermit die Ehre zu benachrichtigen, daß heute, am 30. März, die von mir komponierte Oper: Die Novize von Palermo, zu meinem Benefiz, und zugleich als letzte Darstellung unserer Oper, aufgeführt wird, und bitte daher ein hochzuverehrendes Publikum um eine gütige Teilnahme, wozu ganz ergebenst einladet: Richard Wagner, Musikdirektor des Magdeburger Stadttheaters“
Ganze drei Besucher kamen: Während Madame Gottschalk, Wagners Hauswirtin und Gläubigerin, sowie deren Gatte und „sehr auffallender Weise ein polnischer Juden im vollen Kostüm“ sich in den Sperrsitzen des Parterres eingefunden hatten, ereigneten sich „die unerhörtesten Scenen hinter den Coulissen“. Dort spielte sich ein Eifersuchtsdrama ab, bei dem der Ehemann der Sängerin der Isabella den zweiten Tenoristen blutig schlug und auch der verzweiflungsvollen Frau so starke Püffe versetzte, dass sie darüber in Heulkrämpfe verfiel. Bevor es zu einer allgemeinen Schlägerei kommen sollte, trat Wagner vor den Vorhang und gab bekannt, dass „eingetretener Hindernisse wegen“ die Aufführung der Oper nicht stattfinden könnte.
Damit endete Wagners Magdeburger Zeit. „Hier gibt es lauter Scheißkerle!“ schrieb er später in seinem Begleitbrief zu einem anonymen Artikel „Über Magdeburg“, den er am 19. April an Robert Schumann einsandte. Der Text war die einzige Kritik zur Uraufführung. Seine späteren Versuche, die Oper andernorts aufzuführen, scheiterten. Die Partitur des „Liebesverbots“ schenkte Wagner zu Weihnachten 1866 an König Ludwig II., unter anderem zusammen mit den Partituren von „Die Feen“ und „Rienzi“. Dazu reimte auf der Titelseite: „Ich irrte einst, und möcht’ es nun verbüssen; wie mach’ ich mich der Jugendsünde frei? Ihr Werk leg’ ich demüthig Dir zu Füssen, dass Deine Gnade ihm Erlöser sei.“
Die erste Wiederaufführung des seither leider als Jugendsünde verpönten Werks fand 1923 in München unter der Leitung von Robert Heger statt und tauchte danach nur hin und wieder auf den Spielplänen auf. Die an Ludwig II. geschenkten Partituren waren inzwischen an den 1923 gegründeten Wittelsbacher Ausgleichsfonds gefallen, der ehemalige Vermögenswerte des bayerischen Königshauses verwaltet. Als 1939 die nationalsozialistische Reichswirtschaftskammer dringend ein Geschenk zu Hitlers fünfzigstem Geburtstag brauchte, wurden die kostbaren Wagner-Handschriften dank großzügiger Spenden von deutschen Großindustriellen für 750 000 Reichsmark angekauft. So kam auch die 524 Seiten umfassende Originalpartitur des „Liebesverbots“ zu Adolf Hitler – und ist 1945 verschollen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zunächst nur wenige Produktionen: 1957 in Dortmund, 1973 beim Jugendfestspieltreffen in Bayreuth, 1983 aus Anlass von Wagners 100. Todestag in Graz und auch an der Bayerischen Staatsoper 1983, eine weithin beachtete Neuinszenierung, die auch im Fernsehen übertragen wurde (Dirigent: Wolfgang Sawallisch, Inszenierung: Jean-Pierre Ponnelle; in den Hauptrollen: Hermann Prey als Statthalter Friedrich und Sabine Hass als Isabella). Im letzten Jahrzehnt folgten – auch im Rahmen des Wagner-Jahrs 2013 – mehrere Neuinszenierungen, von denen die zuerst in Bayreuth präsentierte Leipziger Produktion zwar selten, aber immer noch zu sehen ist, in einer hinreißenden Inszenierung von Aron Stiehl (Wiederaufnahme gegen Ende der Spielzeit 2020/21).
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