Geknechteter Notenschmied

Was Wag­ne­ria­nern er­spart ge­blie­ben ist: Die für Pa­ris ge­plan­te Hel­den­oper „Wie­land der Schmied“ brach­te es nur bis zum zwei­ten Pro­sa­ent­wurf, den Ri­chard Wag­ner am 11. März 1850 vollendete.

Wie­land ent­kommt durch sei­nen Flü­gel­man­tel (Il­lus­tra­ti­on von Wil­helm von Kaul­bach, 1848).

Zu den kon­kret an­ge­dach­ten, nur in Skiz­zen, im Pro­sa­ent­wurf oder im Text­buch, mu­si­ka­lisch aber nicht skiz­zier­ten oder kom­po­nier­ten Wer­ken Ri­chard Wag­ners zählt Wie­land der Schmied. Als WWV 82 wird die ur­sprüng­lich so be­zeich­ne­te Hel­den­oper in drei Ak­ten im Wag­ner Werk-Ver­zeich­nis ge­führt, die über den zwei­ten Pro­sa­ent­wurf nicht hin­aus­kam. Ent­stan­den ist der Text, der im Erst­druck in den Ge­sam­mel­ten Schrif­ten von 1872 Wie­land der Schmiedt/​als Dra­ma ent­wor­fen heißt, in der Zeit von De­zem­ber 1849 bis März 1850 in Zü­rich und Pa­ris. War­um Wag­ner das Pro­jekt nicht wei­ter ver­folg­te? Der Grund da­für dürf­te nicht nur dar­in lie­gen, dass die fran­zö­si­sche Opern­welt, wo das Werk zu­erst un­ter­ge­bracht wer­den soll­te, da­mals we­nig wag­ner­af­fin war. Denn zu die­sem Zeit­punkt schwur­bel­te in Wag­ners Kopf schon ein an­de­rer,  jün­ge­rer Schmied na­mens Sieg­fried herum.

Das Wie­land-Su­jet taucht zu­erst in Wag­ners theo­re­ti­schen Kunst­schrif­ten auf, am me­ta­pho­ri­schen Schluss von Das Kunst­werk der Zu­kunft. Der Dich­ter­kom­po­nist er­zählt hier sei­ne auch au­to­bio­gra­phisch ge­färb­te Ver­si­on der Sage vom ver­krüp­pel­ten Schmied Wie­land, der sich Flü­gel schafft, um sei­nem Skla­ven­da­sein zu ent­kom­men: „Aus Noth, aus furcht­bar all­ge­wal­ti­ger Noth, lern­te der ge­knech­te­te Künst­ler er­fin­den, was noch kei­nes Men­schen Geist be­grif­fen hat. Wie­land fand es, wie er sich Flü­gel schmiedete!“

Den ers­ten Pro­sa­ent­wurf, der acht Sei­ten um­fasst, schreibt Wag­ner im Ja­nu­ar 1850 in Zü­rich, wo er als Di­ri­gent ge­ra­de sein ers­tes Kon­zert mit der „All­ge­mei­nen Mu­sik­ge­sell­schaft“ ab­sol­viert. Der im Exil fest­sit­zen­de No­ten­schmied will, auch auf Drän­gen sei­ner Frau Min­na und sei­nes Freund und Gön­ners Franz Liszt, mit neu­en Opern­plä­nen in Pa­ris Fuß fas­sen. Am 11. März 1850 voll­endet er dort den zwölf­sei­ti­gen zwei­ten hand­schrift­li­chen Pro­sa­ent­wurf, ver­wirft aber schnell den Plan, ei­nen fran­zö­si­schen Li­bret­tis­ten ein­zu­be­zie­hen. Sei­nem Freund Theo­dor Uh­l­ig ge­steht er nur zwei Tage spä­ter: „Also! – Mei­ne pa­ri­ser kunst­wüh­le­rei­en sind auf­ge­ge­ben, seit­dem ich sie für gott­los erkannt.“

Wag­ner weiß, dass er mit dem Stoff nicht den Ge­schmack der fran­zö­si­schen Mu­sik­welt tref­fen kann. Ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter gibt er das Pro­jekt end­gül­tig auf. Sei­ner Gön­ne­rin Ju­lie Rit­ter schreibt er Ende Juni 1850: „Wi­land füh­re ich nicht aus: die feh­ler die­ser dich­tung sind mir zu klar, als daß mein er­mat­te­tes sub­jec­ti­ves ge­fühl sie mir jetzt noch ver­hül­len könn­te. Wi­land ist tot: er wird nicht fliegen!“

Was nicht ganz stimmt, denn nicht nur zu Wag­ners Leb­zei­ten fol­gen noch ei­ni­ge Flug­ver­su­che – zu­nächst in Form ei­ner Ab­schrift des zwei­ten Pro­sa­ent­wurfs, die er im Ok­to­ber 1850 für Ca­ro­ly­ne Fürs­tin zu Sayn-Witt­gen­stein, die lang­jäh­ri­ge Le­bens­ge­fähr­tin von Franz Liszt, er­stellt und sie bit­tet, Liszt zur Kom­po­si­ti­on die­ses Stof­fes an­zu­re­gen. Wo­chen spä­ter bie­tet Wag­ner Liszt so­gar di­rekt an, für ihn das Text­buch zu schrei­ben. Als der nicht dar­auf ein­geht, schlägt er vor, Liszt möge „dieß Ge­dicht, das ich für schön hal­te, aber für mich nicht mehr aus­füh­ren kann“ Hec­tor Ber­li­oz an­die­nen. Eben­falls ver­geb­lich ver­sucht er es spä­ter noch bei Au­gust Rö­ckel und Wen­de­lin Weißheimer.

Blei­ben wei­te­re Wie­land-Nach­we­hen: Der slo­wa­ki­sche Kom­po­nist Ján Le­vos­lav Bel­la und des­sen un­ga­ri­scher Kol­le­ge Ödön Mi­ha­lo­vich ver­to­nen den Stoff je­weils zu Na­tio­nal­opern – letz­te­re bleibt un­auf­ge­führt, ers­te­re kommt als  Ko­vác Wie­land 1926 in Preß­burg erst­mals auf die Büh­ne. Und be­stimmt ist es kein Zu­fall, dass Wag­ner-Sohn Sieg­fried mit zwei­tem Vor­na­men Hel­fe­rich heißt, ge­nau­so wie die Fi­gur des Arz­tes und Bru­der Wie­lands aus Wie­land der Schmied. Und war­um Sieg­fried und Wi­nif­red Wag­ner 1917 ih­rem ers­ten Sohn den Na­men Wie­land Adolf Gott­fried ge­ge­ben, kann sich jetzt je­der sel­ber ausmalen.

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