An der Bayerischen Staatsoper wurde am 1. September 2020 das wegen Corona verschobene Opernprojekt „7 Deaths of Maria Callas“ von und mit der Performance-Künstlerin Marina Abramović uraufgeführt.
Teil 1: Das Publikums-Pilotprojekt
Nein, das kostbare Glück einer ganz „normalen“ Opernaufführung wie vor Corona gibt es derzeit noch nirgendwo auf der Welt. Erst recht nicht in Bayern, wo die freistaatlichen Maßregelungen für Theater, Opern- und Konzerthäuser besonders restriktiv sind. Umso erfreulicher, dass wenigstens am Münchner Nationaltheater statt bisher 200 jetzt 500 Zuschauer zugelassen sind.
Zu danken ist das dem zähen Ringen von Staatsopernintendant Nikolaus Bachler (der eben nicht umsonst Österreicher ist) – und der späten Einsicht der zuständigen Politiker, dass der bayerische Sonderweg nicht mehr haltbar war angesichts der Tatsache, dass die Festspiele im von München keine 150 Kilometer entfernten Salzburg mit maximal 1000 Besuchern pro Opern- und Konzertaufführung vier Wochen lang ansteckungsfrei verlaufen sind.
Zur vorgezogenen Saisoneröffnung der Bayerischen Staatsoper am Dienstag startete das Pilotprojekt, in dem laut Kunstminister Bernd Sibler einen Monat lang Erfahrungen gesammelt werden sollen, „wie der Spagat zwischen der Sehnsucht nach Kultur und dem Bedürfnis nach Sicherheit in Corona-Zeiten gelingen kann“. Die Premiere für den Modellversuch fand spektakulär gleich mit einer ursprünglich für April 2020 geplanten Uraufführung statt.
Vorangegangen sind selbstverständlich umfassende Corona-Schutzmaßnahmen. Bereits im März wurde hausintern eine Hygiene Task Force gegründet, mit den Montagskonzerten im Live-Stream und anderen ungewöhnlichen Formaten mit eher handverlesenem Publikum konnte bis zum Saisonende schon reichlich entsprechendes Knowhow erworben werden. Der Orchestergraben wurde ausgebaut und zulasten von vorerst fünf Parkettreihen gemäß den geltenden Abstandsregelungen für Musiker in den Zuschauerraum hinein vergrößert.
Die Streicher des Staatsorchesters sitzen jetzt jeweils eineinhalb und die Bläser zwei Meter voneinander entfernt, jeder mit eigenem Pult. Auf meine Frage, ob denn eine Wagner-Produktion in Bayreuth-Besetzung möglich sei, antwortete Christoph Koch, der Pressesprecher der Staatsoper, dass das „momentan keine Option“ sei. Wobei der Schwerpunkt auf momentan liegen dürfte, denn für die nächsten Münchner Opernfestspiele im Sommer 2021 ist eine „Tristan“-Neuinszenierung geplant.
Ähnlich wie in Salzburg wurde auch in München ein internes Hygienesystem etabliert, mit Gesundheits- und Kontakttagebuch für alle Beschäftigten und externen Gäste. Mitglieder der „Gruppe Rot“, darunter alle Solisten und Orchestermusiker, werden zudem engmaschig getestet. Und für alle gilt sowieso: Abstandhalten und das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.
Auch fürs Publikum ist einiges anders, neben der Maskenpflicht, die nur während der Aufführung aufgehoben ist. Karten gibt es, zusammen mit einem ganzseitigen Infoblatt zu den Hygienevorschriften, nur berührungsfrei als personalisierte Online-Tickets, die auch den Zutritt regeln. Die Aufführungen der Staatsoper sind im September noch gekürzt und pausenlos (wobei das, wie sich aktuell beim Festival Bayreuth Baroque zeigt, gar nicht mehr notwendig ist), auch die Theatergastronomie bleibt geschlossen.
Das Einlass- und Platzanweiserpersonal wurde aufgestockt, d.h. für die jetzt erlaubten 500 Besucher sind mehr Mitarbeiter im Einsatz als vorher für die 2100, die das Haus insgesamt fasst. Die zusätzlichen 300 Karten, die nur sehr kurzfristig für die Uraufführung von „7 Deaths of Maria Callas“ von und mit Marina Abramović zur Verfügung gestellt werden konnten, waren übrigens binnen 18 Minuten ausverkauft, die Kaufgesuche für die weiteren vier Vorstellungen arbeitete der Zufallsgenerator dann innerhalb von einer Stunde ab.
Für die 500 zugelassenen Karteninhaber lohnt sich der Besuch in jedem Fall, schon um einmal die weltberühmte Performance-Künstlerin in Aktion sehen zu können. Darüber hinaus bietet das ungewöhnliche Projekt mit den von sieben Sängerinnen vorgetragenen sieben Arien genau das, was jedes Corona-geplagte Opernherz höher schlagen lässt: leibhaftigen Gesang ohne Mikros mit sattem Orchesterklang im Auditorium.
Teil 2: Das gescheiterte Opernprojekt
Sogar Wagnerianern, die zumeist wenig Affinität zur bildenden Kunst haben, dürfte Marina Abramović ein Begriff sein – spätestens seit Tobias Kratzers Bayreuther „Tannhäuser“ von 2019, denn im Setting und im Video zu Beginn der Inszenierung wird angespielt auf die Tour der Performerin mit ihrem damaligen Kunst- und Lebensgefährten Ulay im Citroën-Kastenwagen quer durch Europa.
Die in Belgrad geborene Künstlerin hatte eine Performance über die unvergleichliche Sängerin Maria Callas schon länger im Sinn. Doch erst Nikolaus Bachler in München legte ihr dafür den roten Teppich aus, sprich: Zur Grundidee des Abends – sieben Arien, die überwiegend auf den Tod ihrer Heldinnen hinauslaufen und auch von Callas gesungen wurden, werden begleitet von Texten, Filmszenen sowie Wolkensequenzen und gipfeln in einem theatralischen Schlussteil über das Sterben der Diva – sollte zeitgenössische Musik hinzukommen, auf dass ein veritables „Opernprojekt“ daraus werde.
Naja, genau das ist es leider: nichts Halbes und nichts Ganzes. Zu hitverdächtigen Gesangsnummern von Vincenzo Bellini, Georges Bizet, Gaetano Donizetti, Giacomo Puccini und Giuseppe Verdi, die von verschiedenen Sängerinnen und 48 Orchestermusikern unter Yoel Gamzou interpretiert werden, hat der aus Serbien stammende Komponist Marko Nikodijević eine referenzielle Musik komponiert, die zu Beginn und am Schluss live vom Staatsorchester gespielt wird, dazwischen als Soundcollage vom Band kommt, was teilweise wummert und wabert wie in der Geisterbahn.
Das Problem ist, dass all diese Bestandteile, für die auf dem Besetzungszettel neben der alles dominierenden Abramović (Regie, Bühne, Texte, Filmdarstellerin, Performerin und weibliche Stimme) viele Beteiligte verantwortlich zeichnen, sich konzeptuell, szenisch, akustisch und optisch eher im Weg stehen, als dass sie sich ergänzen.
Schon die Grundkonstellation mit der im Bett von ihren tödlichen Rollen träumenden Callas und der nach ihr schauenden Haushälterin Bruna erweist sich als Hindernis. Denn die sieben Solistinnen, die nacheinander im stets gleich braven Uniformkleid einer Pariser Bonne quasi konzertant ihre Arien zu singen haben, sind damit von vornherein nur Nebensache, Staffage und gemeinsam schließlich sogar eine Putzkolonne – was letztlich respektlos ist und genau das verfehlt, was Maria Callas unsterblich gemacht hat. Hinter, über und neben den Sängerinnen läuft jeweils der Film zur Arie, mit der überlebensgroßen Abramović und dem markanten Schauspieler Willem Dafoe als männlichem Widerpart.
Gezeigt werden teils längst überholte Regietheatereinfälle und, pardon, zumeist eher gefällige denn irritierende Bilder mit einem deutlichen Hang zum Kitsch (Filmregie: Nabil Elderkon), was die zwischengeschalteten Wolkenprojektionen (Video Intermezzos: Marco Brambilla) noch verstärken. Wichtige Bestandteile sind die Kostüme des Modedesigners Riccardo Tisci, aktuell Kreativdirektor bei Burberry, was prompt Mode- und Lifestylemedien auf den Plan gerufen hat.
Eine Diva ist eine Diva ist eine Diva? Ja, schon. Aber eine Performance-Diva ist keine Operndiva – und trotz der gewissen Ähnlichkeit erst recht keine Callas. Was hingegen die weniger berühmten jungen Sängerinnen dem ausgehungerten Publikum bieten – lebendigen Operngesang mit satter Orchesterbegleitung in einem lang entbehrten und kostbar erscheinenden Raumklang –, ist mehr als die zweifellos starke Präsenz von der eigentlich sehr körperbewussten Abramovic, die natürlich weiß, dass sie selbst die Körperlichkeit des Singens nicht herstellen kann.
Stattdessen nervt sie auf Dauer mit den eingespielten Kurztexten vom Band (Sound-Design: Luka Kozlovacki) zu den Arien und im Schlussteil, die sie so sehr geraunt hat, als wäre sie ein Guru, der sich am 16. September 1977 pfeilgrad in der Avenue George Mandel 36 in Paris materialisiert hat. Dort, im Schlafzimmer der Callas, zerschellt sie bedeutungshuberisch schließlich eine Blumenvase aus TÜV-geprüftem Theaterglas. Anders gesagt: Die barfüßige Marina Abramović riskiert in ihrer Callas-Apotheose gar nichts und verrät damit nicht nur die Frau, der ihre Hommage vom Titel her gilt, sondern auch sich selbst.
Von einem Gesamtkunstwerk kann bei diesem Projekt keine Rede sein. Mir hat dieser hochmögende Versuch, bei dem offenbar von vornherein sowohl beim Dramaturgen als auch beim Intendanten jegliche Kritikfähigkeit außer Kraft gesetzt war, nur noch deutlicher gemacht, was ich in einem Opernhaus nicht mehr sehen und erleben will: Videoprojektionen anstelle von realer Bühnenhandlung im gut genutzten Bühnenraum, Gefühlskitsch und oberflächliche ausstatterische Opulenz anstelle von ernsthafter Stück-, Raum-, Zeit- und Figurenbefragung.
Zum versöhnlichen Ende seien endlich jene hervorgehoben, die den Abend für mich unbedingt lohnend gemacht und mir teilweise sogar Tränen in die Augen getrieben haben: allen voran Hera Hyesang Park als Violetta Valéry und Adela Zaharia als Lucia Ashton, Selene Zanetti als Floria Tosca, Leah Hawkins als Desdemona, Kiandra Howarth als Cio-Cio-San, Nadezhda Karyazina als Carmen, Lauren Fagan als Norma, das Bayerische Staatsorchester unter Yoel Gamzou (den Bamberger Musikfreunde vielleicht noch vom Dirigentenwettbewerb 2007 in Erinnerung haben, als er den Förderpreis gewonnen hat), der kleine Extrachor der Bayerischen Staatsoper und last but never least Maria Callas mit der „Casta Diva“-Arie aus der Mailänder Scala 1954.
Besuchte Uraufführung am 1. September, weitere Vorstellungen am 3., 5. und 6. September an der Bayerischen Staatsoper, Live-Stream am 5. September um 18.30 Uhr, danach von 7. September bis 7. Oktober als Video-on-Demand auf www.staatsoper.tv
„7 Deaths of Maria Callas“ ist eine internationale Koproduktion der Bayerischen Staatsoper mit weiteren Häusern zu folgenden Terminen: 4. und 7. Februar 2021 an der Deutschen Oper Berlin, 7., 8., 10. und 11. Juli 2021 an der Griechischen Nationaloper Athen, im September 2021 an der Opéra national de Paris sowie noch ohne fixe Daten beim Maggio Musicale in Florenz.
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