Zwischenstand mit Fragezeichen

Die Bay­reu­ther Fest­spie­le ha­ben ihre bis­her kom­mu­ni­zier­ten Ver­kaufs­mo­da­li­tä­ten über den Hau­fen ge­wor­fen und set­zen al­les auf ei­nen Online-Sofortverkauf.

Seit 16. April 2021 ist es amt­lich: Für die Bay­reu­ther Fest­spie­le 2021 wird es, wenn sie denn statt­fin­den dür­fen, Kar­ten nur im On­line-So­fort­ver­kauf ge­ben. Die Mit­tei­lung auf der Fest­spiel-Home­page lau­tet ent­spre­chend. Das ist, ge­lin­de ge­sagt, ein Schlag ins Kon­tor für all jene, die 2020 Kar­ten be­stellt, be­zahlt, auf eine Rück­erstat­tung ver­zich­tet und sich dar­auf ver­las­sen ha­ben, dass sie für 2021 – na­tür­lich mit Co­ro­na-Vor­be­halt – eine Zu­sa­ge be­kom­men. Wört­lich heißt es jetzt: „Wir be­mü­hen uns, Kun­den zu be­vor­zu­gen, die in der Sai­son 2020 eine Kar­ten­zu­tei­lung er­hal­ten und auf eine Er­stat­tung des Gel­des ver­zich­tet hat­ten. Über den Zeit­punkt des Ver­kaufs­be­ginns wer­den wir Sie in­for­mie­ren und bit­ten noch um et­was Ge­duld. Alle In­for­ma­tio­nen zum On­line-So­fort­kauf wer­den auf un­se­rer Home­page www​.bay​reu​ther​-fest​spie​le​.de veröffentlicht.“

Wahr­schein­lich hat Ul­rich Ja­gels, der seit 1. April als Nach­fol­ger von Hol­ger von Berg am­tie­ren­de neue kauf­män­ni­sche Ge­schäfts­füh­rer der Fest­spiel-GmbH, schnell rea­li­siert, dass es nicht nur förm­li­che Rü­gen ge­ben könn­te, wenn ein auch mit öf­fent­li­chen Mit­teln fi­nan­zier­ter Thea­ter­be­trieb bei der Kar­ten­ver­ga­be be­stimm­te Kun­den be­vor­zugt. Zwar ist das bei den Fest­spie­len durch das Kon­tin­gent für die „Ge­sell­schaft der Freun­de“ be­kannt­lich schon seit Jahr­zehn­ten ze­men­tier­ter Usus, aber zu den vor­han­de­nen noch eine Son­der­re­ge­lung wäre viel­leicht des Gu­ten zu­viel. Un­ter der Hand könn­te es aber viel­leicht so lau­fen, dass die spen­da­blen Kar­ten­käu­fer ers­tens di­rekt in­for­miert wer­den, wann der So­fort­ver­kauf star­tet. Und zwei­tens könn­te es ja, was na­tür­lich rei­ne Spe­ku­la­ti­on ist, beim So­fort­ver­kauf ein ge­wis­ses Zeit­fens­ter für Pri­vi­le­gier­te geben …

Im­mer mit zu be­den­ken wäre au­ßer­dem, dass nicht nur in Hin­blick auf das je­weils ak­tu­el­le Pan­de­mie-Ge­sche­hen die Zahl der zu­ge­las­se­nen Zu­schau­er un­klar blei­ben muss. Ich tip­pe mal eher auf 200 – und ganz be­stimmt nicht auf 1000, denn lei­der hat der Zu­schau­er­raum des Fest­spiel­hau­ses mit der of­fen­bar nicht rea­li­sier­ba­ren Kli­ma­an­la­ge ge­wis­ser­ma­ßen eine zu­sätz­li­che Achil­les­fer­se: Zwar gibt es in­zwi­schen auch eine Be­lüf­tung (de­ren Wir­kung zu­min­dest in den vor­de­ren Par­kett­rei­hen spür­bar sein soll), aber reicht das in Co­ro­na­zei­ten? Man darf ge­spannt sein, was Heinz-Die­ter Sen­se, der jet­zi­ge Co­ro­na-Be­auf­trag­te der Fest­spie­le und vor­ma­li­ge Ge­schäfts­füh­rer, in die­ser Hin­sicht noch auf die Bei­ne stel­len kann.

Was das Fra­ge­zei­chen bei Mu­sik­di­rek­tor Thie­le­mann be­trifft, tip­pe ich nach der Lek­tü­re des jüngs­ten Bay­reuth-Ar­ti­kels in den Stutt­gar­ter Nach­rich­ten bzw. der Stutt­gar­ter Zei­tung und den brand­ak­tu­el­len Thie­le­mann-In­ter­views aus Mün­chern eher dar­auf, dass es kein Fra­ge­zei­chen mehr gibt. Die sonst gut in­for­mier­te Su­san­ne Ben­da schrieb im Vor­spann ih­res Hin­ter­grund­be­richts vom 5. April un­ter an­de­rem: „Die Ver­län­ge­rung von Chris­ti­an Thie­le­manns Ver­trag als Chef­di­ri­gent der Wag­ner-Fest­spie­le, der nach mitt­ler­wei­le zwei Jahr­zehn­ten Ende 2020 aus­lau­fen soll­te, hing eben­so in der Luft wie die Nach­fol­ge des ge­schass­ten Ge­schäfts­füh­rers Hol­ger von Berg.“

Nun war Chris­ti­an Thie­le­mann zwar nie Chef­di­ri­gent der Fest­spie­le, son­dern wur­de zehn Jah­re nach sei­nem Hü­gel-De­büt mit den „Meis­ter­sin­gern“ 2000 zu­nächst zum Mu­si­ka­li­schen Be­ra­ter er­nannt und 2015 dann zum Mu­sik­di­rek­tor. Das Schö­ne am Stutt­gar­ter Text ist die leicht ver­zwick­te For­mu­lie­rung, dass die Ver­län­ge­rung des Ver­trags „aus­lau­fen soll­te“. Klingt fast so schwam­mig-schön wie Brü­cken-Lock­down, oder? Jetzt aber mal im Ernst: In den neu­es­ten In­ter­views aus An­lass von Chris­ti­an Thie­le­manns De­büt beim Sym­pho­nie­or­ches­ter des Baye­ri­schen Rund­funks im Münch­ner Mer­kur und auf BR Klas­sik ist we­nig oder so gut wie gar nicht mehr von Bay­reuth die Rede. Und auch nicht da­von, wo­mit der Chef­di­ri­gent der Säch­si­schen Staats­ka­pel­le Dres­den zu­letzt für Schlag­zei­len ge­sorgt hat. Zu Mar­kus Thiel, der ihn auf sei­nen in Dres­den gar nicht an­tre­ten dür­fen­den Kon­tra­hen­ten Ser­ge Dor­ny an­ge­spro­chen hat­te, der ab Herbst die Baye­ri­sche Staats­oper lei­ten wird, sag­te er: „Ach, wis­sen Sie, in der jet­zi­gen Zeit kön­nen so­gar Sau­lus­se zu Pau­lus­sen wer­den. Ade­nau­er sag­te im­mer, ‚man muss jön­ne kön­ne‘. Ich habe kei­ne Lust mehr auf Aus­ein­an­der­set­zun­gen, das Le­ben ist ge­ra­de merk­wür­dig ge­nug ge­wor­den, wie wir se­hen. Ich bin jetzt auf dem To­le­ranz-Trip.“ Da kann man nur gratulieren.