Die Weinviertler Festspiele und die Brixen Classics: Zwei Beispiele für Festivals mit Wagner im Programm, die erst in Pandemiezeiten entstanden und prompt problematisch sind.
Glückliches Bayreuth! Schon der Ortsname ist weltweit ein Synonym für die Wagner-Festspiele. Und seit 2020 gibt es (mit entsprechendem Planungsvorlauf) in der Wagnerstadt außerdem ein Barockopernfestival, das ebenfalls mit einem idealen Theaterbau und einem künstlerischen Spitzenprogramm aufwarten kann. Gerade erst hat der Festspiel-Verwaltungsrat grünes Licht für die diesjährige, wegen Corona abgespeckte Festspielsaison von 25. Juli bis 25. August gegeben, und auch bei Bayreuth Baroque steht das Programm für die Zeit von 1. bis 10. September. Karten gibt es für beide Festivals noch keine, da hinkt das Vorverkaufsmanagement den gesetzlichen Regelungen und den Inzidenzwerten schwer hinterher. Was bekanntlich nicht nur in Salzburg, sondern in ganz Österreich etwas anders läuft.
Selbst für jenes österreichische Festival, das im Sommer 2020 als neues Wagner-Event aus der Taufe gehoben wurde und inzwischen in Turbulenzen geraten ist, kann man aktuell bei oeticket Karten kaufen. Die von Opernsänger Peter Svensson und der von den Medien so genannten PR- und Society-Lady Eva Walderdorff gegründeten neuen Weinviertler Festspiele sorgten im vergangenen Jahr schon deshalb für Schlagzeilen, weil sie sich selbst beworben haben als „die einzigen Open-Air-Sommerfestspiele weltweit, die sich zur Gänze dem Werk Richard Wagners widmen.“ Was dabei herauskam, kann man am Beispiel der „Tristan“-Aufführungen im Online-Merker nachlesen, bei Sieglinde Pfabigan, Manfred A. Schmid und Ulrike Messer-Krol.
Der König Marke der letzten Vorstellung, Wagnersänger René Pape, postete auf Facebook, wie der Wiener Kurier unter dem Titel „Der Traum von großer Oper, auf Kosten anderer realisiert“ Ende Januar 2021 berichtete, bereits im September 2020: „Peter Svensson zahlt versprochene Gagen nicht! Es tut mir um alle Kollegen leid …“ Und eine neuere Recherche der Niederösterreichischen Nachrichten ergab, dass neben Künstlern, die entweder kein Geld oder nur eine Abschlagszahlung bekommen haben sollen, auch Marketingfachleute um ihr Geld kämpfen. Ob der Mitte Dezember noch von den beiden Festivalgründern großspurig angekündigte „erste Open-Air-‚Ring‘ “ in der Felsenarena Limberg-Maissau 2021 überhaupt stattfinden wird, könnte fraglich sein. Denn erstens lagen Ende Februar für den Spielort noch kein Konzept und keine Betriebsstättengenehmigung vor, und zweitens dürfte sich in der Branche die schlechte Zahlungsmentalität längst herumgesprochen haben. Was hilft ein Engagement in Corona-Zeiten, wenn man Gefahr läuft, hinterher mit leeren Händen dazustehen? Peter Svensson ist jedenfalls auf der Festival-Homepage nicht mehr im Team der Verantwortlichen zu finden und die Besetzungslisten liefern außer N.N. niemand und nichts.
Auch in Südtirol scheint ein vollmundig angekündigtes Festival aus dem Ruder zu laufen – unter maßgeblicher Beteiligung mehrerer Akteure aus der Festspielstadt Bayreuth. Sowohl der Nordbayerische Kurier als auch das Südtiroler Salto-Online-Magazin haben im Rechercheverbund zeitgleich am 7. Mai 2021 erstmals darüber berichtet, dass die neu gegründeten Brixen Classics ein Problem haben: Dem Festival, das von 13. bis 20. Juni 2021 ein „einzigartiger Dreiklang aus Musik der Extraklasse, Wein und Kulinarik in der einzigartigen kulturhistorischen Kulisse Südtirols“ sein will, ist – ähnlich wie den Weinviertler Festspielen – der ursprüngliche Intendant abhanden gekommen: der Bayreuther Wein- und Buchhändler Tim Decker, der laut Nordbayerischem Kurier in Oberfranken in einen Fall von Geldwäsche verwickelt sein und sich in Brixen in Bezug auf die Bayreuther Festspiele mit zweifelhaften Angaben zu seiner Vita eingeführt haben soll.
In einer YouTube-Präsentation vom 12. Januar 2021 ist Decker noch ausführlich in seiner Funktion als Initiator, Programmgestalter und künstlerischer Leiter zu hören. Dort sagt er im Klartext, worum es geht: „Wir machen dieses Festival nicht um der Musik willen, das ist ein schöner Beigeschmack, sondern die Musik soll ein Tansponder werden, um hier die Gegend, den Wein, den Genuss, die Schönheit und die Wertigkeit der Region klarzumachen.“ Hat aus künstlerischer Sicht schon ein Gschmäckle.
Aber spätestens seit Ende März ist Tim Decker auf der Homepage der Brixen Classics nicht mehr unter den Verantwortlichen. An seiner Stelle steht jetzt sein damaliger „Co-Intendant“ Markus Latsch, dessen Beziehungen zu den Bayreuther Festspielen immerhin real sind. Latsch ist seit 2016 Mitarbeiter der BF-Medien GmbH, einer hundertprozentigen Tochterfirma der Festspiel-GmbH, und wird dort auch (noch?) aktuell als Zuständiger für Sponsoring und Künstlerisches Projektmanagement geführt – eine Position, die die Festspiele schon seit einiger Zeit in ihren Stellenangeboten (Bewerbungsschluss 10. Mai, Beginn der Anstellung: nächstmöglich) ausgeschrieben haben. Er wird mit Katharina Wagner auch als Autor der Fassung der diesjährigen Kinderoper „Tristan und Isolde“ geführt.
In einer schriftlichen Stellungnahme hat die Festspielleiterin in Hinblick auf Tim Deckers Angaben einiges klargestellt. Unter anderem sei die geplante „Holländer“-Vorstellung (mit Camilla Nylund als Senta und weiteren Bayreuth-Solisten) mit einer Bayreuther Produktion nicht vergleichbar. Was schon daran liegen dürfte, dass für die Vorstellung der gekürzten Opernfassung am 20. Juni in der Brixener Hofburg kein Chor vorgesehen ist. Für dennoch fließende Übergänge soll Axel Brüggemann sorgen, der sonst die Kino- und TV-Übertragungen aus Bayreuth moderiert. Das angekündigte Festivalorchester mit Musikern auch aus der Region wird es so nicht geben; aktuell soll ein finnisches Orchester angekündigt sein.
Immerhin scheint in Brixen trotz einer kritischen Landtags-Anfrage der Grünen, die mehr wissen wollten über die „Teure Initiative bei fragwürdiger Qualität“, die Finanzierung sicher zu sein: Die Region Trentino-Südtirol hat 200 000 Euro zur Verfügung gestellt, die Gemeinde Brixen 50 000 Euro sowie zwei weitere Gemeinden je 15 000 Euro. Werner Zanotti, Gesamtleiter von Brixen Tourismus, hat übrigens versichert, dass die Förderung durch die Landesregierung nichts zu tun habe mit „wie auch immer gearteten direkten oder indirekten Verbindungen“ der beiden Bayreuther zu den Festspielen. Die Fördergeldzusagen seien rechtmäßig zustande gekommen. „Dies hatten wir“, zitiert ihn der Nordbayerische Kurier, „auf Nachfrage auch namentlich Frau Prof. Katharina Wagner mitgeteilt.“ Eine solche Nachfrage stuft Kurier-Reporter Otto Lapp übrigens als unwahrscheinlich ein. Vielleicht hätte er einen Blick auf die Brixener Sposorenliste werfen sollen: Bentley Nürnberg und Bentley München könnten doch auch sehr gut zu Bayreuth passen, oder?
Damit es trotzdem noch was zum Schmunzeln gibt, sei abermals Katharina Wagners zitiert, so wie man es in dieser Schreibweise bei Salto nachlesen kann: Tim Decker ist nicht zuständig für das Sponsoring der Bayreuther Festspiele. Er war bis vorletztes Jahr neben anderen Sponsoren ein Sponsor der Kinderoper und der Ring-Lounge. Auch spielt er mit Nichten eine entscheidende Rolle bei den Bayreuther Festspielen.
Und die Neffen?
Nachtrag vom 9. Mai: Es gibt auch noch ein von Wagnersänger Tomasz Konieczny initiiertes Festival auf der Waldbühne im polnischen Zoppot, die als „Bayreuth des Nordens“ galt und wo im Sommer 2021 der „Fliegende Holländer“ aufgeführt werden sollte, wie der Nordbayerische Kurier und die Musikplattform Klassik begeistert berichtet haben. Inzwischen steht fest, dass die erste Ausgabe des Baltic Opera Festivals wegen der Pandemie auf 2022 verschoben wurde.
Nachtrag vom 10. Mai: oeticket.com bietet zwar Karten für den Weinviertler „Ring“ 2021 an, aber sobald man konkret eine Bestellung eingegeben hat und zu Ende bringen will, kommt der Hinweis: „Ihre Anfrage konnte nicht ausgeführt werden. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.“
Nachtrag vom 1. Juni: Von den beschriebenen Festivals wird Brixen Classics das einzige sein, das stattfindet. Ganz offen wirbt jetzt Axel Brüggemann in seiner Crescendo-Wochenkolumne dafür. Kein Wunder: Er ist ja am 20. Juni als Moderator des gekürzten und chorlosen „Holländer“-Abends mit von der Partie! Brüggemann, der sonst immer gern die Nachrichtenlage aus der Festspielstadt Bayreuth aufgreift beziehungsweise selbst befeuert, hat über die Brixener Probleme um den abgetauchten, aus Bayreuth stammenden „Intendanten“ Tim Decker übrigens kein Wort verloren. Kann man ihm ja nicht verdenken, wenn er dort selbst Mitwirkender ist, oder? Stutzig machen könnte einen allerdings, dass er jetzt in derselben Kolumne, in der er am Ende auf seinen kommenden „Urlaub“ in Brixen hinweist, ein paar Absätze vorher in Zusammenhang mit Christian Thielemann folgende Kollegenschelte betreibt: „Was in diesen Tagen erstaunt, ist, wie viele Kommentatoren die letzten Jahre still und schweigend beobachtet haben, um nun umso genussvoller nachzutreten. Es zeigt sich, dass die öffentliche Meinung ein merkwürdiges Geschäft mit vielen Fähnlein im Wind ist.“ Ach, Brüggemännchen!
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