Stimmfarben, Regieansätze und Weizenbierkilos

Zum Pro­ben­be­ginn bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len mach­te Star-Bas­sist Ge­org Zep­pe­n­feld ei­nen Ab­ste­cher nach Bam­berg zu ei­nem viel­sa­gen­den Künst­ler­ge­spräch mit dem Münch­ner Kri­ti­ker Mar­kus Thiel. Hier eine leicht ge­kürz­te Ver­si­on der Fra­ge­run­de vom 23. Juni 2024 im Kufasaal.

Ge­org Zep­pe­n­feld (links) im Ge­spräch mit Mar­kus Thiel – Foto: Ro­land Gröber

Mar­kus Thiel Auf der Home­page der Fest­spie­le kann man nach­le­sen, dass Sie 2023 sie­ben „Parsifal“-Aufführungen ge­sun­gen ha­ben, dazu drei­mal „Wal­kü­re“, zwei­mal „Tris­tan“ und fünf­mal „Hol­län­der“, macht zu­sam­men sieb­zehn Ein­sät­ze. Heu­er sind es sechs­mal „Par­si­fal“, zwei­mal „Wal­kü­re“ und drei­mal „Hol­län­der“. Das sind nur elf Auf­füh­run­gen: Sie las­sen nach, Herr Zeppenfeld!
Ge­org Zep­pe­n­feld Der Ma­ra­thon letz­tes Jahr war eher ein Zu­fall. Ur­sprüng­lich soll­te ich im „Ring“ Fa­solt sin­gen. Als Herr Tcher­nia­kov um mei­ne Be­set­zung als Da­land im „Hol­län­der“ ge­be­ten hat­te, habe ich mei­ner­seits ge­sagt, bit­te nehmt mir den Rie­sen ab, das wird mir sonst zu viel. Im Nach­gang ka­men noch zwei Vor­stel­lun­gen als Kö­nig Mar­ke im Interims-„Tristan“ dazu, der nur an­ge­setzt wur­de, da­mit man das Co­vid-Ri­si­ko bes­ser in den Griff be­kom­men konn­te. Die vie­len Auf­trit­te wa­ren nicht be­ab­sich­tigt und ich habe je­des Mal mit Kopf­schmer­zen in den Ka­len­der ge­guckt und ge­dacht, naja, ob das mal gut geht? Es hat funk­tio­niert, weil ich dis­zi­pli­niert war und ein ziem­li­ches Ein­sied­ler­da­sein ge­führt habe. Aber im­mer möch­te man das nicht ha­ben. Ich bin ganz froh, dass ich die­ses Jahr re­lax­ter sein kann.

Ge­org Zep­pe­n­feld als Da­land (Mit­te) mit Mi­cha­el Vol­le (rechts) als Hol­län­der und Matthew New­lin (links) als Steu­er­mann) in der „Holländer“-Inszenierung von Dmi­t­ri Tcher­nia­kov 2024 – Foto: Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Thiel Wann war denn Ihr letz­ter Som­mer ohne Bay­reuth, ab­ge­se­hen von Corona?
Zep­pe­n­feld 2014. Ich hat­te 2010 und 11 in „Lo­hen­grin“ Kö­nig Hein­rich ge­sun­gen, 2011 auch Po­gner in den „Meis­ter­sin­gern“. Von 2012 bis 2014 war ich in Salz­burg, nach­dem Ni­ko­laus Har­non­court mich dar­um ge­be­ten hat­te, den Sa­ras­tro in sei­ner letz­ten „Zauberflöten“-Produktion zu über­neh­men. Ich konn­te ihm das nicht ab­schla­gen und Gott sei Dank hat das die Fest­spiel­lei­tung in Bay­reuth ver­stan­den und ak­zep­tiert. Gleich nach­dem ich da­mals um Ur­laub ge­be­ten hat­te, kam die Ein­la­dung für 2015 als Mar­ke zu Ka­tha­ri­na Wag­ners „Tristan“-Inszenierung.

Thiel Sie sind also mal fremdgegangen …
Zep­pe­n­feld Das hät­te es in frü­he­ren Jah­ren in Bay­reuth nicht ge­ge­ben. Es wäre als Treue­bruch emp­fun­den wor­den. Man wäre ein Ver­rä­ter ge­we­sen für alle Zei­ten und hät­te hier kein En­ga­ge­ment mehr be­kom­men. Ich bin sehr dank­bar, dass man das heu­te ent­spann­ter sieht und dass ich 2015 zu­rück­keh­ren konnte.

Thiel Was ist denn Bay­reuth für Sie? Sind das Ar­beits­fe­ri­en? Eine Pflicht ge­wor­de­ne Ge­wohn­heit oder so­gar ein in­ner­li­ches Muss?
Zep­pe­n­feld Nein, ein in­ner­li­ches Muss ist es von bei­den Sei­ten nicht. Ich sehe das eher so: Man kann sich Bay­reuth durch­aus ohne Zep­pe­n­feld vor­stel­len, aber ich freue mich sehr, dass das nicht der Fall ist, denn ich bin ein­fach ger­ne da. Ich mag es, dass man hier so nah mit an­de­ren Sän­gern, die sich in mei­nem Fach tum­meln, zu tun hat. Dass meh­re­re gute Bas­sis­ten sich tref­fen, er­lebt man sonst nicht, denn ent­we­der ist man sel­ber be­setzt oder eben der Kol­le­ge – in Bay­reuth trifft man sich zu­ver­läs­sig in der Kan­ti­ne. Ich ge­nie­ße die­se ei­gen­ar­ti­ge Mi­schung aus viel Ar­beit und aus Druck, denn der spielt im­mer und über­all eine Rol­le, aber eben auch die ent­spre­chen­de Ur­laubs­si­tua­ti­on. In die­sem Jahr hat­te ich ge­ra­de ei­nen län­ge­ren Auf­ent­halt in Wien, da­vor war ich in Mün­chen und Zü­rich und bin ein biss­chen mit hän­gen­der Zun­ge nach Bay­reuth ge­kom­men. Aber es ging schnell, dass die Si­tua­ti­on sich ent­spannt hat. Die Mix­tur aus Ar­beit an Din­gen, die ich sehr ger­ne tue, und abend­li­chen Wan­de­run­gen in den Wäl­dern und Fel­dern rund um Obern­sees, wo ich im­mer woh­ne, fühlt sich ab Tag zwei an wie Ur­laub, selbst wenn es kein Ur­laub ist.

Thiel Sie sind eine Säu­le der Bay­reu­ther Fest­spie­le, also im deut­schen Fach. Sie tre­ten an­dern­orts im­mer wie­der in ita­lie­ni­schen Opern auf und sa­gen, dass Ih­nen das gut tut. Trotz­dem sind Sie in ei­ner kom­for­ta­blen Schub­la­de ge­lan­det. Wie kommt das? Wol­len Sie das? Ist das der Markt, der Sie da hintreibt?
Zep­pe­n­feld Ich den­ke, das sind Markt­ge­setz­mä­ßig­kei­ten. Eine Agen­tur – ohne Agen­tur geht heu­te gar nichts mehr in der Opern­welt – hat es viel leich­ter, ei­nen zu ver­mit­teln und in En­ga­ge­ments zu brin­gen, wenn für den po­ten­zi­el­len Kun­den von vorn­her­ein fest­steht, der Sän­ger ge­hört da­hin und der an­de­re dort­hin. Aus Sicht der Opern­häu­ser ist es so, dass es ei­nen ge­wis­sen Druck gibt, die So­lis­ten, die Deutsch als Mut­ter­spra­che ha­ben, im deut­schen Re­per­toire ein­zu­set­zen. Und weil die Thea­ter dem Pu­bli­kum eine mög­lichst gro­ße Viel­falt an Sän­ge­rin­nen und Sän­gern bie­ten wol­len, sin­gen die Mut­ter­sprach­ler das deut­sche Fach und die an­de­ren wer­den fürs Ita­lie­ni­sche,  Fran­zö­si­sche und an­de­re Spra­chen ge­nom­men. Das ist ehr­lich ge­sagt für uns Sän­ger gar nicht so in­ter­es­sant, denn es ist auch für die Stim­me güns­ti­ger, wenn man eine grö­ße­re Band­brei­te an Par­tien bedient.

Thiel Wann war der Punkt in Ih­rer Kar­rie­re er­reicht, wo Sie es sel­ber steu­ern konn­ten und sich die Sa­chen aus­su­chen durften?
Zep­pe­n­feld An dem Punkt war ich nie, weil ich im­mer die Si­tua­ti­on ge­mie­den habe, ganz frei­schaf­fend zu ar­bei­ten. Das ist ers­tens dem Um­stand ge­schul­det, dass ich an der Dresd­ner Sem­per­oper sehr ger­ne re­gel­mä­ßig im En­sem­ble mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zu­sam­men­ar­bei­te. Und zum zwei­ten ist es mit er­heb­li­chen Ri­si­ken ver­bun­den, nur frei­schaf­fend zu sein. Das hat man spä­tes­tens in der Co­ro­na-Zeit ge­merkt. Die Frei­schaf­fen­den wa­ren plötz­lich kom­plett an­ge­wie­sen auf das Wohl und Wehe der Opern­häu­ser, wenn es dar­um ging, Ver­trä­ge ab­zu­wi­ckeln und we­nigs­tens zum Teil ent­schä­digt zu wer­den für ent­gan­ge­ne Ga­gen. Das Gros der Opern­sän­ge­rin­nen und -sän­ger – das muss man sich klar ma­chen – kratzt am Existenzminimum!
Ge­sangs­so­lis­ten sind im Grun­de sehr spe­zia­li­siert aus­ge­bil­de­te, hoch­qua­li­fi­zier­te Leu­te für ein ganz schma­les Re­per­toire an Ar­beit, und trotz­dem wer­den sie in al­ler Re­gel nur so be­zahlt, dass sie ge­ra­de über die Run­de kom­men, wenn es denn gut läuft. Wenn so et­was pas­siert wie eine Pan­de­mie, wird dem Groß­teil der un­ter die­sen Um­stän­den Ar­bei­ten­den der Bo­den un­ter den Fü­ßen weg­ge­zo­gen. Da ist so­fort Not da! Ich ken­ne eine Men­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die in der Pan­de­mie­zeit nicht wuss­ten, wo sie das Geld für die nächs­te Mie­te her­neh­men sol­len. Es geht in die­sem Be­ruf nur ganz we­ni­gen Leu­ten sehr gut – Gott sei Dank ge­hö­re ich dazu –, den meis­ten geht es aber nur so lala. Und das ist mit ein Grund, wes­halb ich von vorn­her­ein nicht scharf drauf war, rein frei­schaf­fend zu arbeiten.

Thiel Also auch, weil es fi­nan­zi­el­le und exis­ten­zi­el­le Ängs­te gab?
Zep­pe­n­feld Ja, denn ich kom­me aus Ver­hält­nis­sen, wo man noch lernt, dass es wich­tig ist, ein re­gel­mä­ßi­ges Ein­kom­men zu ha­ben. Na­tür­lich gibt es für die Kar­rie­re ge­wis­se Leit­plan­ken. Wenn man ei­nen Ver­trag hat wie ich in Dres­den, ist man ge­bun­den. Und da­mit kom­me ich zu­rück auf Ihre Fra­ge nach der Frei­heit in der Re­per­toire­wahl. Die Sem­per­oper hat mich für fünf­und­zwan­zig Aben­de pro Spiel­zeit mit fünf Mo­na­ten An­we­sen­heits­pflicht un­ter Ver­trag, und das be­deu­tet, das Haus hat ers­tens eine ge­wis­se Prio­ri­tät bei der Aus­wahl der Zei­ten, die ich in Dres­den sein muss, und zwei­tens wird fest­ge­legt, was ich dort sin­gen soll. Ich kann im­mer sa­gen, nein, das passt nicht für mei­ne Stim­me, aber ich muss der Sem­per­oper schon klar ma­chen, dass ich dort ger­ne und frei­wil­lig ar­bei­te, sonst wer­den sie sich über­le­gen, ob sie mich noch wei­ter be­schäf­ti­gen wol­len. Das heißt, wenn mal was kommt, das mir viel­leicht nicht in den Kram passt, ma­che ich es in der Re­gel trotz­dem, wenn es stimm­lich geht.

Thiel Noch­mal zum Re­per­toire. Pas­sen die­se Par­tien am bes­ten zu Ih­nen, zu Ih­rem Cha­rak­ter­bild? Sind Sie ein Typ für Par­tien im deut­schen Fach?
Zep­pe­n­feld Es gibt Par­tien, die mir sehr gut lie­gen, und sol­che, de­nen ich ger­ne aus dem Weg gehe. Ich glau­be, dass mir grund­sätz­lich das Tra­gi­sche et­was mehr liegt als das Ko­mi­sche – Schur­ke habe ich in­zwi­schen ge­lernt. Das lag mir zu­nächst eben­falls nicht so wahn­sin­nig nahe.

Thiel Wo holt man denn das Böse her, wenn man es für sich nicht so emp­fin­det? Viel­leicht ist es da und Sie wis­sen es nur nicht?
Zep­pe­n­feld Es ist nicht un­be­dingt eine Fra­ge von Emp­fin­dung, auch vom stimm­li­chen Aus­druck her. Ich habe eine ly­ri­sche, re­la­tiv weich klin­gen­de Stim­me und kann die Leu­te da­mit eher emo­tio­nal be­rüh­ren, als wenn ich sie mit Hef­tig­keit an die Wand drü­cken woll­te. Wenn ich Ag­gres­si­on auf die Büh­ne brin­gen will, ver­su­che ich es meis­tens über die Spra­che, die Sprach­fär­bung.  Wenn ich das mit der Stim­me ver­su­chen wür­de, wäre es auf die Dau­er für mei­ne Stim­me abträglich.

Thiel Sie ha­ben in un­se­rem gro­ßen In­ter­view für die Juni-Aus­ga­be der „Opern­welt“ 2023  ge­sagt, dass Sie ein ge­wis­ses Phleg­ma ha­ben. Hilft Ih­nen die­ser kör­per­lich sehr ru­hi­ge Grund­rhyth­mus oder be­hin­dert das?
Zep­pe­n­feld Bei man­chen Par­tien hilft das, bei man­chen muss mir der Re­gis­seur erst­mal ein biss­chen Bei­ne ma­chen. Mein Weg zum Kas­par in „Frei­schütz“ war ziem­lich weit. Ich habe ihn bis­her nur in ei­ner Pro­duk­ti­on in Dres­den sze­nisch ge­sun­gen. Mir hat das gut ge­tan als Dar­stel­ler und ich habe ge­lernt, wo stimm­lich mei­ne Gren­zen sind. Nicht, dass mir ein be­stimm­ter Ton Pro­ble­me be­rei­ten wür­de, aber man muss für die­se Rol­le eine ge­wis­se Ag­gres­si­vi­tät in der Stim­me ha­ben. Kas­par ist die ne­ga­ti­ve En­er­gie, die das Stück an­treibt, der „Frei­schütz“ mit ei­nem bra­ven Kas­par ist kein „Frei­schütz“. Ich habe mir in­zwi­schen ge­wis­se Tech­ni­ken zu­ge­legt, mit de­nen ich das sin­gen kann, aber das wäre kei­ne Par­tie, die ich als Gast ir­gend­wo ger­ne sin­gen wür­de, denn gast­wei­se kann ich über­le­gen, was ich will und was nicht. Der Zac­ca­ria in „Na­buc­co“ hat eben­falls eine ge­wis­se ne­ga­ti­ve trei­ben­de Kraft, dazu ist die Rol­le län­ger und deut­lich schwe­rer zu sin­gen. Aber die Fak­tur der Par­tie, das Ita­lie­ni­sche, das Kan­ta­ble, das im­mer vor­han­den bleibt, das liegt mir ein­fach mehr.

Thiel Wie oft sind Sie wäh­rend der Pro­ben­ar­beit zu ei­ner In­sze­nie­rung von sich selbst über­rascht wor­den nach dem Mot­to „Das bin ich ja auch“? Gibt es sol­che Momente?
Zep­pe­n­feld Das gibt es durch­aus. Wenn man sich mal in die Wolfs­schlucht rein­stei­gert, weil man weiß, dass man am nächs­ten Tag nicht gleich wie­der sin­gen muss, ent­deckt man durch­aus neue Sei­ten an sich. Und in­so­fern war die Dres­de­ner Pro­duk­ti­on nicht un­wich­tig für mich.

Thiel Das war eine In­sze­nie­rung von Axel Köhler …
Zep­pe­n­feld Und es war eine eher tra­di­tio­nel­le Re­gie, das heißt, da durf­te der Böse rich­tig schur­kig sein und der ver­hin­der­te Strah­le­mann Max war ge­nau das. Man­chen war das zu bie­der, aus mei­ner Sicht war es eine stim­mi­ge In­sze­nie­rung des „Frei­schütz“, denn sie greift Dresd­ner The­men auf – Zer­stö­rung, Krieg, Pogrom.

Thiel Wie spon­tan sind Sie auf der Büh­ne? Über­ra­schen Sie Ihre Kol­le­gin­nen und Kollegen?
Zep­pe­n­feld In ei­ner ers­ten Vor­stel­lungs­se­rie nicht. Ich glau­be, dass ich dicht an dem blei­be, was wir pro­biert ha­ben. Von mir sel­ber über­rascht bin ich viel­leicht, wenn wäh­rend ei­ner Vor­stel­lung was Un­vor­her­seh­ba­res pas­siert, wenn ein wich­ti­ges Re­qui­sit fehlt oder wenn ein Kol­le­ge eben nicht auf­tritt. Das än­dert so­fort die Si­tua­ti­on. Man kann nicht bei sei­nem Kon­zept blei­ben, man muss re­agie­ren. Wenn plötz­lich alle schwim­men, merkt man sel­ber, hopp­la, ich kann ja schwim­men! Es macht in sol­chen Mo­men­ten ei­nen irr­sin­ni­gen Spaß, die Vor­stel­lung wei­ter­lau­fen zu las­sen, völ­lig neue Din­ge zu tun und da­durch die Pro­ble­me zu lösen.

Thiel Wal­traud Mei­er hat mir er­zählt, dass sie in sol­chen Si­tua­tio­nen durch die Über­span­nung der Emo­tio­nen öf­ter lach­ge­flas­hed war.
Zep­pe­n­feld Es ist für mich eher wie ein Ad­re­na­lin­ein­schuss. Man sucht fie­ber­haft nach ei­nem Aus­weg, die Se­kun­den deh­nen sich zu Mi­nu­ten und hin­ter­her ist man so­was von wach! Lach­ge­flas­hed war ich bis­her nur, wenn je­mand das Ki­chern an­fängt. Dann muss ich sehr an mich hal­ten oder mich so weg­spie­len, dass ich mal kurz grin­sen kann – und da­nach geht’s wieder.

Thiel Sieg­fried Je­ru­sa­lem, der öf­ter text­ge­fähr­det war, hat­te bei der „Tristan“-Inszenierung von Hei­ner Mül­ler in Bay­reuth ei­nen Black­out und sang – es muss­te schließ­lich wei­ter­ge­hen – ir­gend­ein Fan­ta­sie­deutsch. Wal­traud Mei­er hat dar­auf­hin, um aus der Si­tua­ti­on den Druck zu neh­men, lei­se zu ihm ge­sagt: „Oder so ähn­lich“. Wie text­si­cher sind Sie? Bei Ih­nen ver­steht man doch je­des Wort!
Zep­pe­n­feld Und das ist ein Pro­blem! Ich bin, muss ich zu­ge­ben, sehr text­si­cher und ge­nau des­halb bin ich ver­gleichs­wei­se un­ge­übt im Um­gang mit sol­chen wol­ki­gen Si­tua­tio­nen. Der spek­ta­ku­lärs­te Schmiss, der mir je­mals pas­siert ist, war 2021 im letz­ten Jahr der Kosky-„Meistersinger“ in Bay­reuth, als ich in der Po­gner-An­spra­che plötz­lich merk­te, dass ich mich ver­ga­lop­piert hat­te. Es gibt da zwei Stel­len, die die glei­che Mu­sik ha­ben, aber un­ter­schied­li­chen Text. Als ich beim ers­ten Mal den zwei­ten Text ge­sun­gen habe, merk­te ich ir­gend­wann – ich hat­te eine Tee­tas­se in der Hand und dach­te, wenn du die­sen Text singst, steht die Tee­tas­se doch auf dem Tisch! –, dass da was nicht stimm­te: Ent­we­der du hast dich ver­spielt oder du hast ver­sun­gen und ver­tan. Als mein Blick zur Souf­fleu­se ging, fing die Kol­le­gin an zu blät­tern, und ich wuss­te, dass kei­ne Hil­fe zu er­war­ten war. Es wur­de in der Fol­ge für meh­re­re Se­kun­den sehr still um Herrn Zep­pe­n­feld, bis ich mich ori­en­tiert hat­te und mich wie­der ein­fä­deln konn­te, wäh­rend Herr Jor­dan im Or­ches­ter­gra­ben sich halb ka­putt ge­lacht hat. Ich ken­ne vie­le Kol­le­gen, die sich da ge­schick­ter ge­hol­fen hät­ten als ich. Ich hab halt kei­ne Rou­ti­ne in die­ser Situation.

Ge­org Zep­pe­n­feld als Po­gner in Bar­rie Kos­kys „Meistersinger“-Inszenierung 2021 – Foto: Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Thiel War­um spre­chen Sie nicht wie ein ty­pi­scher Opern­sän­ger? Wenn ich manch­mal In­ter­views mit Bas­sis­ten ma­che, dröhnt es mir nur so ent­ge­gen, die spre­chen mit ih­rer Sing­stim­me – und bei Ih­nen ist das nicht so.
Zep­pe­n­feld Ich hof­fe, dass ich das jetzt hier nicht de­mons­trie­ren muss.

Thiel Emp­fin­den Sie sich denn als ty­pi­scher Ver­tre­ter Ih­rer Zunft? Sind Sie ein ty­pi­scher Bassist?
Zep­pe­n­feld Ein ty­pi­scher Bas­sist viel­leicht, ein ty­pi­scher Opern­sän­ger viel­leicht nicht. Ein ge­wis­ses Phleg­ma ha­ben die meis­ten Bäs­se. Ich ken­ne ein paar, die das nicht ha­ben und im Buf­fo­fach sehr gut sind, weil man da eine ge­wis­se Ge­schwin­dig­keit im Wech­sel von Stim­mun­gen und Far­ben braucht. Dazu muss ich mich im­mer erst auf­raf­fen, das heißt, die­ses Phleg­ma steht mir manch­mal im Weg.

Thiel Sie stam­men aus At­ten­dorn im süd­li­chen Sau­er­land, da gibt es knapp fünf­und­zwan­zig­tau­send Ein­woh­ner, Ei­sen und Me­tall ver­ar­bei­ten­de In­dus­trie, vie­le Na­tur­denk­mä­ler und Na­tur­schutz­ge­bie­te. Ist das der rich­ti­ge Hu­mus für eine Künstlerkarriere?
Zep­pe­n­feld Schwie­rig. Das liegt jetzt we­ni­ger an der Ei­sen ver­ar­bei­ten­den In­dus­trie, son­dern viel­mehr dar­an, dass das nächs­te pro­fes­sio­nel­le Or­ches­ter eine knap­pe Au­to­stun­de ent­fernt ist – und die nächs­ten Opern­häu­ser sind in Ha­gen, Dort­mund oder Köln. Zu­min­dest in mei­ner Kind­heit hat­ten mei­ne El­tern kein Auto, da hät­te ich also nicht hin- und zu­rück­kom­men kön­nen. Ich hat­te Glück, dass ich als Schü­ler ein Sti­pen­di­um be­kam mit ei­ner Frei­kar­te für eine Thea­ter­auf­füh­rung in der Stadt­hal­le der Kreis­stadt Olpe. Wenn mich da nicht freund­li­cher­wei­se die El­tern ei­ner eben­falls prä­mier­ten Schü­le­rin mit­ge­nom­men hät­ten, wäre ich dort gar nicht an­ge­kom­men, denn der öf­fent­li­che Nah­ver­kehr läuft da nur bis sieb­zehn Uhr drei­ßig. Bei mir war das eher eine Ver­ket­tung von glück­li­chen Um­stän­den, dass ich beim Ge­sang ge­lan­det bin.

Thiel Sie ha­ben erst Lehr­amt stu­diert, Mu­sik und Ger­ma­nis­tik, dann erst Ge­sang. Wie kam es dazu? War das selbst­ver­ständ­lich für Sie oder dach­ten Sie, erst mal was Vernünftiges?
Zep­pe­n­feld Nein, das hab ich nie als Lü­cken­bü­ßer-Job ver­stan­den. Aus den Ver­hält­nis­sen, aus de­nen ich kom­me, neh­men nicht vie­le den Weg in eine aka­de­mi­sche Rich­tung. Es war ein am­bi­tio­nier­ter Schritt, das zu wol­len und über­haupt an­zu­bah­nen, denn ein Mu­sik­leh­rer­stu­di­um be­ginnt mit ei­ner Auf­nah­me­prü­fung, bei der man schon viel kön­nen muss. Aus heu­ti­ger Sicht war der An­fang die größ­te Hür­de, ein klei­nes Wun­der. Als der Schritt an die Mu­sik­hoch­schu­le mal ge­lun­gen war, kam al­les an­de­re in der Fol­ge logisch.

Thiel Aber das Sin­gen gab es schon vor­her, in der Mu­sik­schu­le oder im Chor?
Zep­pe­n­feld Ja, aber nicht in pro­fes­sio­nel­ler Wei­se. Ich hab mir ge­wis­ser­ma­ßen im Män­ner­ge­sang­ver­ein mei­nes Hei­mat­orts den Spaß am Sin­gen ge­holt – und das möch­te ich nicht mis­sen. Dort hab ich das Sin­gen als et­was voll­kom­men Un­be­schwer­tes er­lebt. Es war un­glaub­lich schön, aber es hat­te nichts mit Kunst zu tun, son­dern war ein volks­tüm­li­ches Sin­gen. Wenn ich mal Rent­ner bin, su­che ich mir viel­leicht wie­der ei­nen Chor, denn den Kon­takt mit den an­de­ren Chor­mit­glie­dern ver­mis­se ich heu­te sehr. Mei­ne ers­te rich­ti­ge Ge­sangs­stun­de habe ich mit ein­und­zwan­zig Jah­ren im Schul­mu­sik­stu­di­um be­kom­men. Mein künst­le­ri­sches Haupt­fach war zu­nächst das Kla­vier, was im­mer schwie­rig war, weil das nicht wirk­lich mein In­stru­ment war. Ich bin eher ein Blä­ser- oder Sän­ger­typ, ich muss im­mer mit dem Atem ar­bei­ten. Das Kla­vier ist für mich ein Fremd­kör­per ge­blie­ben, acht Se­mes­ter lang, bis zur Staats­prü­fung. Ge­lernt hab ich da­bei haupt­säch­lich durch­zu­hal­ten, nicht auf­zu­ge­ben. Ist auch schön, aber mei­ne Kla­vier­leh­re­rin hat jah­re­lang ge­lit­ten un­ter mei­nem Man­gel an Begabung.

Thiel Wenn Sie jetzt eine neue Par­tie ein­stu­die­ren, sit­zen Sie sel­ber am Kla­vier oder ha­ben Sie ei­nen Korrepetitor?
Zep­pe­n­feld Ich er­ar­bei­te mir die Par­tien un­ter Zu­hil­fe­nah­me des Kla­viers, aber ei­nen Wag­ner­schen Kla­vier­aus­zug vom Blatt zu spie­len, wäre mir ab­so­lut nicht mög­lich. Ich habe seit dem Kla­vier­ex­amen kei­ne Li­te­ra­tur mehr ge­spielt, habe jetzt manch­mal Lust, noch­mal an­zu­fan­gen, aber mir fehlt dazu die Zeit.

Thiel Was hat­ten Sie für eine Na­tur­stim­me? Brach­ten Sie eine enor­me Tie­fe mit – oder wo muss­te ge­zo­gen, wo muss­te was ent­wi­ckelt werden?
Zep­pe­n­feld Ei­gent­lich über­all. Ich hat­te kei­ne be­mer­kens­wer­te Stim­me. In der Auf­nah­me­prü­fung an der Det­mol­der Mu­sik­hoch­schu­le muss­te ich vor­sin­gen, ein Kunst­lied und ein Volks­lied. Wer gut war, be­kam da­für min­des­tens eine Zwei, ich hat­te nur eine Drei. Das hat ver­mut­lich un­ter an­de­rem mit der mund­art­li­chen Vor­prä­gung zu tun. Im Sau­er­land fin­det das Spre­chen und Sin­gen weit hin­ten statt, die west­fä­li­sche Mund­art ist eine ziem­lich gut­tu­ra­le An­ge­le­gen­heit, die mir mein Ge­sangs­leh­rer erst ab­ge­wöh­nen muss­te, was nicht leicht war.

Thiel Man hört es aber kaum! Es gibt an­de­re Sän­ger wie Ge­org Nigl, bei dem man das Wie­ne­ri­sche im­mer et­was durch­hört, oder bei Chris­ti­an Ger­ha­her ein biss­chen das Nie­der­baye­ri­sche. Bei Ih­nen klingt das nach rei­nem Hoch­deutsch. Muss­ten Sie hart trai­nie­ren dafür?
Zep­pe­n­feld Es ist nicht so, dass ich in der Kind­heit stark Dia­lekt ge­spro­chen hät­te. Dia­lek­te exis­tie­ren doch nur noch in ganz klei­nen Dör­fern, wo vier Bau­ern­häu­ser auf ei­nem Fleck ste­hen und zu­min­dest die Äl­te­ren noch Platt spre­chen. In mei­ner Kind­heit hat das kaum eine Rol­le ge­spielt,  hin­ter­lässt aber eine Fär­bung. Wenn ich jetzt zwei drei Tage dort bin, kommt es zu­rück und ich füh­le mich rich­tig zu­hau­se. Ich ge­nie­ße es, da wie­der rein­zu­rut­schen und so zu spre­chen. Nur für den Kunst­ge­sang ist das West­fä­li­sche nicht geeignet.

Thiel Das Säch­si­sche ha­ben Sie in­ter­es­san­ter­wei­se nicht angenommen.
Zep­pe­n­feld Nein, aber mein Sohn schwört Stein und Bein, dass er ein Sach­se wäre, ob­wohl er ein rein­ras­si­ger West­fa­le ist. Er ist nun mal in Sach­sen auf­ge­wach­sen und hat all die Re­dens­ar­ten drauf, die man in der Schu­le so lernt.

Thiel Noch­mal zu­rück zum Stu­di­um: Wann war der Kick­punkt er­reicht, wo Sie die Wei­che zum Ge­sang ge­nom­men haben?
Zep­pe­n­feld Das ist pas­siert ge­gen Ende des Schul­mu­sik­stu­di­ums. Ich habe an der Hoch­schu­le im­mer wie­der Ge­sangs­stu­den­ten hö­ren kön­nen und Auf­füh­run­gen be­sucht, schließ­lich soll­te man als Mu­sik­leh­rer mal in der Oper ge­we­sen sein.

Thiel Was war denn Ihre ers­te Oper?
Zep­pe­n­feld Der „Flie­gen­de Hol­län­der“ am Lan­des­thea­ter Det­mold. Und da­nach kam bald der ers­te prak­ti­sche Ein­satz. An der Opern­schu­le Det­mold wur­de je­mand ge­sucht für den Dok­tor Bar­to­lo in „Fi­ga­ros Hoch­zeit“. Als mein Pflicht­fach­do­zent mich zum Vor­sin­gen schick­te, da­mit ich die Si­tua­ti­on mal er­le­ben konn­te, wur­de ich plötz­lich ge­fragt, die Rol­le zu sin­gen. So habe ich die an­de­re Sei­te von Oper ken­nen­ge­lernt, das Sel­ber­ma­chen. Plötz­lich ist mir auf­ge­fal­len, wie ein Bass­ba­ri­ton, der in mei­ner Ge­sangs­klas­se war, ein­fach mü­he­los ei­nen Saal fül­len konn­te mit der Stim­me. Ich war ge­flas­hed von die­sem sinn­li­chen Ein­druck ei­ner Stim­me im Raum und ich dach­te, wie kann man das kön­nen? Kann ich das auch? Dar­auf­hin hat mein Pflicht­fach­do­zent das erns­ter ge­nom­men und es stell­te sich her­aus, dass da eine ent­wick­lungs­fä­hig Stim­me ist. Nicht zu­letzt weil ich am Kla­vier auf kei­nen grü­nen Zweig kam, hat­te ich das drin­gen­de Be­dürf­nis, ir­gend­wo in dem Fach, das ich un­ter­rich­ten woll­te, er­folg­rei­cher zu arbeiten.

Thiel Also Star­bas­sist aus Notwehr?
Zep­pe­n­feld Das zün­den­de Ele­ment war das Ge­fühl von der So­n­o­ri­tät ei­ner Stim­me im Raum. Das sel­ber zu kön­nen, das hat mich gelockt.

Thiel Sie ha­ben vor­hin ge­sagt, Sie ha­ben eine ly­ri­sche Bass­stim­me. Aber wenn man sich ent­schei­det, pro­fes­sio­nel­ler Bas­sist zu wer­den, hat man doch tau­send an­de­re Kol­le­gen im Ohr. Wie groß ist die Ge­fahr, dass man nur nach­ahmt an­statt zu ler­nen? Man muss sich doch zu sei­ner ei­ge­nen Stim­me bekennen?
Zep­pe­n­feld Das ist mir Gott sei Dank früh klar ge­macht wor­den. Mein ers­ter Leh­rer hat mir von vorn­her­ein den Zahn ge­zo­gen zu glau­ben, ich sei der Bass der Zu­kunft und müss­te nur so­nor und  gaaa­anz ganz tief sin­gen, das wär’s dann. Er sag­te: „Auch bei Bäs­sen liegt der Weg zum Er­folg oben: Du singst stän­dig dei­ne höchs­ten Töne, aber du singst sie schlank, da­mit du dich nicht fer­tig machst für die tie­fen Töne, die dann kom­men.“ Das hat sich bis heu­te als rich­tig er­wie­sen. Der nächs­te Leh­rer, zu dem ich kam – Hans So­tin – hat im Prin­zip das glei­che Re­zept verfolgt.

Thiel Auch eine eher schlan­ke­re Bassstimme …
Zep­pe­n­feld Der konn­te Gott weiß wie aus­pa­cken, aber er hat im­mer dar­auf ge­ach­tet, dass die Stim­me selbst nicht un­ter Druck ge­rät. Die Stim­me muss frei ar­bei­ten kön­nen. Er hat die Stim­me im­mer von oben ge­führt. Ich sehe ihn noch vor mir am Kla­vier ste­hen und mir das de­mons­trie­ren. Die Ges­te dazu war eine Kup­pel und er sag­te: „Du musst in die Kup­pel tref­fen. Sing schlank, da­mit du dort oben an­kommst.“ Die­se Vor­stel­lung hilft mir bis heute.

Ge­org Zep­pe­n­feld als Gurn­emanz in Jay Scheibs Bay­reu­ther „Parsifal“-Inszenierung 2023 – Foto: Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Thiel Wenn man mit Bas­sis­ten spricht, sa­gen vie­le, dass sie am An­fang eine Durst­stre­cke hat­ten. Man bringt viel­leicht viel Ma­te­ri­al mit, aber kei­ner be­setzt gern ei­nen 25-Jäh­ri­gen mit Sa­ras­tro und ei­nen 30-Jäh­ri­gen als Gurn­emanz. Ha­ben Sie sich im­mer ge­wünscht, äl­ter zu sein oder wa­ren Sie ge­dul­dig und dach­ten, mei­ne Zeit kommt noch?
Zep­pe­n­feld Das muss­te ich mir eben sa­gen. Es war in mei­nem Fall völ­lig klar, dass es dau­ern wür­de. Es gibt ja Stim­men, die sind früh fer­tig. René Pape zum Bei­spiel hat mit zwei­und­zwan­zig Jah­ren ei­nen sehr be­ein­dru­cken­den Sa­ras­tro in Salz­burg ge­sun­gen. Die Stim­me war be­reits da, war ent­wi­ckelt und hat wun­der­bar funk­tio­niert. Er war Chor­kna­be und hat­te sehr früh ei­nen spie­le­ri­schen Zu­gang zum Ge­sang ge­fun­den. Das war bei mir nicht der Fall. Mei­ne Stim­me hat Zeit ge­braucht. Na­tür­lich hät­te ich da­mals ger­ne schon die Stim­me ge­habt, die ich heu­te habe. Aber ich bin Gott sei Dank von kun­di­gen Leu­ten da­vor ge­warnt wor­den, mit der Stim­me zu sin­gen, die ich ger­ne hät­te. Son­dern ich wur­de im­mer auf­ge­for­dert: „Sing doch mal mit der Stim­me, die du hast. Das ist im Mo­ment das Op­ti­mum.“ Es war gut, dass mir das so ein­dring­lich ge­sagt wurde.

Thiel Kam das nur von au­ßen? Oder wann setzt die Selbst­kri­tik ein?
Zep­pe­n­feld Ich hab re­la­tiv früh ge­merkt, dass man selbst mit ei­ner schlan­ken Stim­me viel er­rei­chen kann. Als Stu­dent habe ich ger­ne Franz Crass und Karl Rid­der­busch ge­hört, die das bei­de konn­ten. Kurt Moll hab ich auch be­wun­dert, aber es war mir völ­lig klar, dass das kein Bei­spiel für mich sein kann. Und ich glau­be, dass ganz vie­le jun­ge Bas­sis­ten – und des­halb gibt es so we­ni­ge gute Bäs­se – sich fal­sche Vor­bil­der su­chen und schon zu Stu­di­en­zei­ten glau­ben, klin­gen zu müs­sen wie der ei­ge­ne Groß­va­ter. Das ist ei­nes der zen­tra­len Pro­ble­me, das wir Bäs­se ha­ben. Es stimmt nicht, dass es kei­ne Bas­sis­ten mehr gibt. Sie ler­nen bloß nicht singen.

Thiel Kras­ser Satz! Aber das ist nicht un­be­dingt Schuld der Sän­ger. Es feh­len Hoch­schul­leh­rer, die ei­nem das sagen.
Zep­pe­n­feld Das ist rich­tig. Es gibt an den Hoch­schu­len si­cher­lich zu we­nig Leu­te, die die An­for­de­run­gen der Pra­xis ken­nen und kon­se­quent ge­nug drauf reagieren.

Thiel Wäre das für Sie eine Op­ti­on? Eine Ge­sangs­pro­fes­sur als Lehrer?
Zep­pe­n­feld Ach, wis­sen Sie, ich muss zum Un­ter­rich­ten kein Pro­fes­sor sein. Ich wer­de oft ge­fragt von Kol­le­gen: „Kannst du mir mal hel­fen, ich brau­che für die­se schwie­ri­ge Stel­le oder die­se Par­tie mal eine Stun­de Ar­beit mit je­man­dem, der mir zei­gen kann, wo die Lei­tern ste­hen.“ Das ma­che ich ger­ne, weil ich da­mit nicht gleich die gan­ze Ver­ant­wor­tung für die Zu­kunft die­ses jun­gen Men­schen habe. Ich habe noch nie mit je­man­dem kon­se­quent von A bis Z sei­ne stimm­li­che Aus­bil­dung er­ar­bei­tet. Da hät­te ich auch Skru­pel. Ich weiß viel über mei­ne Stim­me, über Stimm­phy­sio­lo­gie und Me­tho­dik des Ge­sangs­un­ter­richts weiß ich im Grun­de ge­nom­men zu we­nig. Mehr­fach wur­de ich auf­ge­for­dert, mich für eine Pro­fes­sur zu be­wer­ben, ich habe aber im­mer ge­ant­wor­tet, dass ich kei­ne Er­fah­rung habe als Ge­sangs­leh­rer. Wenn ich als Ant­wort zu hö­ren be­kam, „Das macht doch nichts, die krie­gen Sie dann ja!“ hat es mich schon geschaudert!

Thiel Ich hat­te erst neu­lich ein Ge­spräch mit ei­nem Kol­le­gen von Ih­nen, der be­klag­te, was al­les schief läuft an den Hoch­schu­len. So­lis­ten, die noch voll im Saft ste­hen, wür­den der gan­zen Sa­che doch si­cher sehr gut tun …
Zep­pe­n­feld Ich glau­be, das kann man ge­nau­so in Form von Kur­sen tun. Im Mo­ment bin ich so in­ten­siv im Be­trieb, dass ich das für mich nicht für an­ge­bracht hiel­te. Viel­leicht kommt das noch, ich will das gar nicht aus­schlie­ßen für alle Zukunft.

Thiel Was ha­ben Sie sel­ber ver­misst an der Hochschule?
Zep­pe­n­feld Eine ge­wis­se Sys­te­ma­tik. Mei­ne Leh­rer wa­ren nicht aus­ge­bil­det im Aus­bil­den, son­dern ka­men bei­de aus der Pra­xis, was mir sehr ge­hol­fen hat. Ohne die­se bei­den wäre ich nicht zur Büh­ne ge­kom­men! Wenn ich aber zum Bei­spiel mit­be­kom­me, wie frü­her im Os­ten Deutsch­lands aus­ge­bil­det wur­de, habe ich den Ein­druck, dass die Leh­re in der DDR we­sent­lich sys­te­ma­ti­scher war und zu er­staun­lich gu­ten Re­sul­ta­ten ge­führt hat.

Thiel Je­der spricht über Ihre Text­ver­ständ­lich­keit. War das für Sie von vorn­her­ein selbst­ver­ständ­lich oder muss­ten Sie sich das erst erarbeiten?
Zep­pe­n­feld Ich habe am Be­ginn mei­nes Ge­sangs­un­ter­richts in Det­mold Sprech­erzie­hung be­kom­men – und hat­te Glück. Mei­ne Aus­bil­de­rin war un­ter an­de­rem am Thea­ter Han­no­ver viel be­schäf­tigt, eine sehr schril­le Per­son, wie man sie oft fin­det un­ter Schau­spie­lern. Sie hat­te tol­le Sprü­che drauf und wuss­te, wie man jun­ge Leu­te an­gräbt. Sie hat gleich auf den Knopf ge­drückt und ge­sagt: „Zep­pe­n­feld, wenn du auf eine Wand zu­läufst, das ers­te, was an­kommt, ist nicht dei­ne Nase, son­dern dein Bauch­na­bel! Halt dich mal gra­de! Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüp­pel!“ Sie hat ei­nen nicht in Ruhe ge­las­sen, bis sie be­kam, was sie woll­te, und sag­te Sät­ze wie: „Spre­chen auf der Büh­ne ist ein Akt von ora­ler Lust“ – durch­aus wis­send, was man da­mit kon­no­tie­ren konn­te, aber sie hat­te Recht in der Sache.
Wenn ich beim Spre­chen auf der Büh­ne, beim Aus­spre­chen von Wör­tern kei­ne Lust emp­fin­de, kann das beim Pu­bli­kum nicht ent­spre­chend an­kom­men. Merk­wür­di­ger­wei­se ha­ben die meis­ten Ge­sangs­leh­rer die Vor­stel­lung, dass es ei­nen Ant­ago­nis­mus gibt zwi­schen dem deut­li­chen Spre­chen und dem bel­can­to­mä­ßi­gen Sin­gen. Das habe ich nie ak­zep­tiert. Ich habe Gott sei Dank auf Ton­kon­ser­ven im­mer gern Leu­te wie Karl Rid­der­busch ge­hört, der das mü­he­los mit­ein­an­der ver­bin­den konn­te und den Be­weis er­brach­te, dass es geht. Und wenn es geht, muss man es doch ler­nen können!

Thiel Aber die­se Lust exis­tiert auch auf der fal­schen, der dunk­len Sei­te, in­dem man sich be­säuft am Klang und des­we­gen nicht ver­ständ­lich ist.
Zep­pe­n­feld Letz­ten En­des ist der Klang, den wir mit der Stim­me pro­du­zie­ren, das Me­di­um, auf dem die Spra­che so­zu­sa­gen mit­läuft. Hans So­tin sag­te im­mer: „Das ist die Stim­me, und die Stim­me ist ein Fluss, und da ist ein Pa­pier­schiff­chen, und das setzt du da drauf: Das ist der Kon­so­nant. Und das schwimmt so­fort mit, das braucht kei­ne Zeit zum Be­schleu­ni­gen, das wird so­fort mit weg­ge­tra­gen. So musst du dir das vor­stel­len, das ist doch ganz ein­fach.“ Man muss nur su­chen, bis man es ge­fun­den hat.

Ge­org Zep­pe­n­feld (Gurn­emanz) und Eka­te­ri­na Gu­ba­no­va (Kundry) in Jay Scheibs „Parsifal“-Inszenierung 2024 – Foto: Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Thiel Wo­bei bei Ih­nen der ly­ri­sche Grund­zug Ih­rer Stim­me der Sa­che si­cher dien­lich ist.
Zep­pe­n­feld Rich­tig. Ich muss nicht den brei­ten Strom ha­ben, um das zu trans­por­tie­ren. Wenn man sei­ne Stim­me so er­zo­gen hat, dass sie ober­ton­reich klingt, ha­ben es die Kon­so­nan­ten ein­fa­cher. Es gibt dann nicht so vie­le in­ne­re Wi­der­stän­de. Ich übe nach wie vor lei­den­schaft­lich ger­ne, denn sonst hät­te ich ja viel Lan­ge­wei­le mit mir sel­ber in mei­nem Ar­beits­zim­mer. Aber ich ken­ne vie­le Kol­le­gen, die üben gar nicht ger­ne, die ler­nen ihre Stü­cke und das muss rei­chen. Das möch­te ich ei­gent­lich nicht.

Thiel Wie kon­trol­lie­ren Sie sich? Gibt es Auf­nah­men, die Sie im­mer wie­der hö­ren, las­sen Sie bei den Pro­ben oder Auf­füh­run­gen ei­nen klei­nen Di­gi­tal­re­cor­der mitlaufen?
Zep­pe­n­feld Nein, das ma­che ich vor Auf­füh­run­gen nicht, weil ich sonst ent­setzt bin über das Er­geb­nis und gar nicht mehr auf die Büh­ne will. Son­dern ich höre mir Auf­nah­men nur mit ei­ner ge­wis­sen zeit­li­chen Di­stanz an. Nach ei­ner Wo­che weiß ich noch viel zu ge­nau, was in ei­ner Auf­füh­rung schief ge­lau­fen ist, war­te beim Ab­hö­ren auf den Feh­ler oder auf das, was ich als un­güns­tig emp­fin­de. Nach ei­nem Jahr weiß ich das nicht mehr so ge­nau und kann es un­vor­ein­ge­nom­me­ner hören.

Thiel Das ist eine Ant­wort, die hört man von vie­len Opern­sän­ge­rin­nen und Opern­sän­gern. Aber Sie müs­sen Ihre Stim­me doch mögen?
Zep­pe­n­feld Ab­so­lut. Das ist wie ein Teil der Per­sön­lich­keit. Man mag an sei­ner Per­sön­lich­keit nicht al­les, aber wenn man sich im Gro­ßen und Gan­zen okay fin­det, hat man halt ein schö­ne­res Leben.

Thiel Sie ha­ben den hö­her ge­le­ge­nen Kas­par bis­her nur in ei­ner In­sze­nie­rung ge­sun­gen, den Sachs schon öf­ter und sin­gen ihn nächs­tes Jahr in Bay­reuth, der Bas­sist Franz Crass war hier auch als Hol­län­der zu er­le­ben. War­um zieht es Bas­sis­ten so gern nach oben, ins Heldenbaritonale?
Zep­pe­n­feld Das hängt da­mit zu­sam­men, dass dort eine ge­wis­se Klas­se von Par­tien an­ge­sie­delt ist. Im Ita­lie­ni­schen nennt man das pri­mo uomo – ge­meint ist der Ba­ri­ton und nicht der Te­nor! Was mich reizt an den Bass­par­tien, ob­wohl die oft­mals nicht die ers­te Gei­ge spie­len, ist das Farb­spek­trum und die zu­grun­de lie­gen­de Ge­fühls­la­ge. Wenn ich das mit mei­ner Stim­me bes­ser de­ckungs­gleich be­kom­men kann als die dra­ma­ti­schen Hel­den­ba­ri­ton­par­tien, weiß ich wie­der, dass ich im Bass­fach, im ly­ri­schen Bass, im bas­so can­tan­te, rich­tig gut auf­ge­ho­ben bin. Ich bin je­mand, der durch­aus kan­ta­bel und hoch sin­gen kann, aber eben nicht die­se dra­ma­ti­sche Ex­pan­si­ons­kraft hat, die ein Wo­tan oder ein Joch­a­na­an ha­ben sollten.

Thiel War Wo­tan ein The­ma für Sie?
Zep­pe­n­feld Das ist im­mer wie­der ein The­ma, wenn man den Sachs mit Er­folg ge­sun­gen hat. Ich bin dann be­müht, auf die Brem­se zu tre­ten, denn mei­ne Stim­me ist nun mal ly­risch und ich habe nicht vor, mei­ne Stim­me wo­hin zu trei­ben, wo sie von Na­tur aus nicht hingehört.

Mi­cha­el Spy­res (Sieg­mund), Ge­org Zep­pe­n­feld (Hun­ding) und Vida Mi­k­ne­vičiū­tė (Sieg­lin­de) in der „Walküre“-Inszenierung von Va­len­tin Schwarz 2024 – Foto: Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Thiel Wer darf über­haupt et­was zu Ih­nen sa­gen, di­rekt nach ei­ner Auf­füh­rung, wenn die emo­tio­na­len Scheu­nen­to­re ganz of­fen sind?
Zep­pe­n­feld Je­der. Ich wer­de das schon ein­ord­nen. Ich glau­be nicht al­les, was ich höre, man weiß sel­ber gut, wo die ei­ge­nen Schwä­chen ge­le­gen ha­ben in ei­ner Auf­füh­rung, man weiß, war­um et­was mal nicht so gut ge­lau­fen ist. Und wenn man mal Prü­gel be­zieht in ir­gend­wel­chen Stel­lung­nah­men, ken­ne ich in der Re­gel den Grund und weiß, was ich tun muss, da­mit das nicht wie­der vor­kommt. Zu­letzt in Wien habe ich Hein­rich in „Lo­hen­grin“ ge­sun­gen, eine Par­tie, die ich nor­ma­ler­wei­se gut kann. Und dann pas­siert so­was Ba­na­les, dass mir ein Kos­tüm­bild­ner eine Schirm­müt­ze auf den Kopf setzt und ich höre mich ein­fach nicht mehr! Ich habe je­den­falls ge­kämpft mit die­sem Ding bis zur letz­ten Vor­stel­lung, hab es ir­gend­wann schräg aufs Ohr ge­setzt, so dass ich mich ein klei­nes biss­chen mehr hö­ren konn­te, aber ich habe die­sen Hein­rich nicht gut ge­sun­gen. Das hat zu­min­dest je­der ge­merkt, der mich mehr­fach in der Rol­le ge­hört hat. Ich war ziem­lich ge­knickt, aber ich weiß, wor­an es lag.

Thiel Weil wir ge­ra­de beim The­ma sind: Was ge­hört denn bei Ih­nen zu den Grund­zu­ta­ten ei­ner ge­lun­ge­nen Inszenierung?
Zep­pe­n­feld Im We­sent­li­chen, dass das In­ter­es­se der Re­gie dem Stück gilt und dem, was der Kom­po­nist und der Li­bret­tist er­zäh­len woll­ten. Das kann Zu­spit­zun­gen er­fah­ren in die eine oder an­de­re Rich­tung, aber ich möch­te ger­ne von ei­nem Re­gis­seur er­le­ben, dass er sich für das Stück in­ter­es­siert und nicht ver­sucht, das Stück auf ein The­ma zu be­zie­hen, das nicht ent­hal­ten ist. Wenn es aber drin steckt, ist mir das egal, ob das in der Ver­gan­gen­heit spielt oder in der Zu­kunft oder auf dem Mond, dann kann man al­les er­klä­ren, be­grün­den und kann sich reinfinden.

Thiel Man­che ih­rer Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sa­gen, dass sie sich bei In­sze­nie­run­gen, die nicht funk­tio­nie­ren, we­ni­ger be­läs­tigt oder ver­är­gert, son­dern vor al­lem un­ter­for­dert füh­len als Sänger.
Zep­pe­n­feld Das ist auch ein Pro­blem, aber ein an­de­res. Es kommt durch­aus vor, dass ein Re­gis­seur Opern­re­gis­seur sein will, aber nicht weiß warum.

Thiel Wir wol­len jetzt Na­men hö­ren, das ist klar!
Zep­pe­n­feld Auf den Leim wer­de ich jetzt mal nicht kriechen.

Thiel An­ders ge­fragt: Wächst die Lei­dens­fä­hig­keit mit dem Al­ter oder der Dau­er der Kar­rie­re oder wird man eher un­ge­dul­di­ger, nervöser?
Zep­pe­n­feld Das gibt es in bei­de Rich­tun­gen. Ich ken­ne Leu­te, die sich so auf­re­gen, dass sie die­sen Be­ruf bald nicht mehr lie­ben – und man muss ihn lie­ben, sonst kann man ihn nicht durch­hal­ten –, aber zu de­nen ge­hö­re ich Gott sei Dank nicht. Ich glau­be, dass ich to­le­ran­ter wer­de. Es ist mir mal pas­siert, dass ich bei ei­ner Re­gie, die sehr un­be­hol­fen und feh­ler­be­haf­tet war, nach zwei Wo­chen Pro­ben ge­sagt habe, okay, ich mach jetzt mal ge­nau das, was ihr in­sze­niert, und lau­fe rum wie ein dres­sier­ter Affe. Nach der ers­ten Büh­nen­pro­be wa­ren alle un­zu­frie­den, selbst der Di­ri­gent hat ab­ge­bro­chen und ge­fragt: „Sol­len wir die Stel­le jetzt über­sprin­gen oder kommt noch was?“ Schließ­lich durf­te ich zu dem zu­rück­keh­ren, was ich Wo­chen vor­her an­ge­bo­ten hat­te, und das hat der Sa­che gut getan.
Man kann sich al­ler­dings auch ir­ren. Ich ent­sin­ne mich, dass ich 2019 nach der Ge­ne­ral­pro­be zum  „Tann­häu­ser“ von To­bi­as Krat­zer wü­tend raus­ging und dach­te, das ist jetzt wie­der so ein ty­pi­scher Fall von ei­ner Re­gie, der das Stück nicht aus­reicht. Für mich wur­de hier die Land­gra­fen- und Min­ne­sän­ger­ge­sell­schaft nicht ernst ge­nom­men, son­dern durch den Ka­kao ge­zo­gen! Ich war über­zeugt, dass es schlecht ist, hab mir aber trotz­dem noch die Vi­deo­fas­sung an­ge­se­hen. Und plötz­lich war zum Bei­spiel der Är­ger über das ab­ge­häng­te Por­tal und die da­mit ver­bun­de­nen klang­li­chen Ein­bu­ßen ver­rauscht. Tat­säch­lich ver­stand ich erst jetzt, dass es in dem Stück nicht um den Kon­flikt zwi­schen hö­fi­scher und ero­ti­scher Lie­be geht, son­dern um Di­ver­si­tät und To­le­ranz. Und das hat mir er­schlos­sen, wie­viel Ge­hirn­schmalz in die­ser In­sze­nie­rung steckt und wie raf­fi­niert und fa­cet­ten­reich das um­ge­setzt ist.
Ich bin also im zwei­ten Schritt zum Fan die­ser In­sze­nie­rung ge­wor­den. Ich hab mich sel­ber sehr er­tappt ge­fühlt, dass ich mir zu schnell ein Ur­teil ge­bil­det und mir vom Är­ger über De­tails den Blick habe ver­stel­len las­sen auf das We­sent­li­che. Und weil mir das erst nach über zwan­zig Jah­ren auf der Büh­ne pas­siert ist, hab ich mir vor­ge­nom­men, den Feh­ler nicht wie­der zu ma­chen! Man muss, glau­be ich, der Re­gie, die ganz an­ders ist, als man es er­war­tet hat, zu­ge­ste­hen, dass sie auch ihre Wir­kung auf eine an­de­re Wei­se sucht. Na­tür­lich buhlt Krat­zers In­sze­nie­rung um die Gunst der Zu­schau­er, in­dem sie es wit­zig und schnell macht und in man­chen Din­gen den Zeit­ge­schmack be­dient. Aber auf der an­de­ren Sei­te ist das eine Pro­duk­ti­on, die ganz viel pro­fun­des thea­tra­li­sches Kön­nen be­inhal­tet. Ehr­lich ge­sagt hab ich das beim ers­ten An­blick über­se­hen – und hab letzt­end­lich re­agiert wie ein Hornochse.

Thiel Wie war das da­mals bei Ih­rem an­de­ren Spe­zi­al­fall, dem Bay­reu­ther Ratten-„Lohengrin“, mit die­sem durch die Sze­ne her­um­ir­ren­den und sehr be­fremd­li­chen Kö­nig Hein­rich? War das Lie­be auf den zwei­ten bis drit­ten Blick?
Zep­pe­n­feld Es war mein ers­ter Ein­satz in Bay­reuth. Mit Kö­nig Hein­rich zu de­bü­tie­ren war doch sehr am­bi­tio­niert, denn man rech­net eher da­mit, dass man als Rein­mar von Zwe­ter an­fängt. Als ich ein­ge­la­den wur­de, die­sen Hein­rich zu ma­chen, hab ich mich zu­nächst ge­ziert. Erst als Ka­tha­ri­na Wag­ner mich in der Par­tie in Genf ge­hört hat­te und ihre Ein­la­dung wie­der­hol­te, hab ich angenommen.

Thiel Ohne zu wis­sen, was sze­nisch kom­men würde …
Zep­pe­n­feld Ge­nau. Ich kann­te nur den Na­men Hans Neu­en­fels und dach­te, das ist nicht ir­gend­je­mand. Dann ka­men die Pro­ben und ich war scho­ckiert, denn es gab nur die Re­gie­an­wei­sung: „Der Kö­nig ist to­tal pa­ra­no­id“. Ich wuss­te über­haupt nicht, was ich da­mit soll­te. Ich krieg­te noch zwei Äp­fel­chen zum Spie­len und die­se merk­wür­di­ge Kro­ne auf den Kopf. Aber die­ser alte Fuchs Neu­en­fels hat wahr­schein­lich ge­ahnt, dass ich mei­nen Weg fin­den wür­de. Und ge­nau­so war es.
Nach zwei Wo­chen Ver­zweif­lung hab ich mir die Din­ge selbst zu­recht­ge­legt und mich ge­fragt: Wenn der Kö­nig so schwach ist, wie kann das sein, wenn die Mu­sik et­was an­de­res er­zählt? Mei­ne Hy­po­the­se war, dass die Mu­sik die An­for­de­rung an den Kö­nig for­mu­liert, und ich folg­lich spie­len muss­te, dass er die­ser An­for­de­rung über­haupt nicht ge­wach­sen ist – und war­um: Ich such­te also je­man­den, der nicht per­ma­nent State­ments ab­gibt, wie der Kö­nig, son­dern ei­nen, der sich per­ma­nent fragt, was ist hier bloß los? Ei­ner, der be­ob­ach­tet, der viel­leicht wie ein Au­tist eine be­son­ders sen­si­ble Art hat, sei­ne Um­ge­bung wahr­zu­neh­men und vor star­ken Rei­zen zu er­schre­cken, aber un­fä­hig ist, dar­auf in ei­ner ge­ord­ne­ten Art und Wei­se zu reagieren.
Das war für mich der Schlüs­sel. Ich hat­te am Ende so ei­nen ro­ten Fa­den, so ei­nen kon­kre­ten  Film­ein­druck von der Par­tie, dass ich in je­der Se­kun­de auf der Büh­ne wuss­te, was ich den­ken soll­te in dem Mo­ment. Und ge­nau das er­zeugt eben Prä­senz auf der Büh­ne. Die Fi­gur hat da­von pro­fi­tiert, weil das Pu­bli­kum sich dau­ernd fra­gen muss­te, was macht er denn jetzt wie­der? Das war nicht auf den ers­ten Blick zu er­klä­ren, aber es war ein Hin­gu­cker und hat den Kö­nig auf eine ganz merk­wür­di­ge Wei­se aufgewertet.

Ge­org Zep­pe­n­feld als Kö­nig Hein­rich in der „Lohengrin“-Inszenierung von Hans Neu­en­feld 2010 – Foto: Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Thiel Wo­bei man das tren­nen muss, wie sich auch bei Krat­zers „Tann­häu­ser“ zeigt. Da ist ei­ner­seits ein am­bi­tio­nier­tes Kon­zept, das da­hin­ter­steckt, bei man­chen In­sze­nie­run­gen kommt es aber ge­nau­so dar­auf an, mit wel­chen tol­len Hand­wer­kern das auf die Büh­ne ge­stellt wird. Ich hat­te bei die­sem „Lo­hen­grin“ den Ein­druck, dass die Ba­lan­ce auf der Büh­ne im­mer stimm­te. Wer wo auf­tritt, wann der Chor kommt und so wei­ter, das konn­te Neu­en­fels. Über die Rat­ten durf­te man sich auf­re­gen und ver­su­chen, sie ir­gend­wie ein­zu­ord­nen, aber we­sent­lich ist doch, dass et­was trans­por­tiert wer­den kann. – Eine Stun­de ist jetzt vor­bei. Vor der Pu­bli­kums­run­de schnell noch von mir die wich­tigs­te Fra­ge: Was macht Gurn­emanz im 2. Akt? In Bay­reuth ha­ben Sie schließ­lich drei Stun­den Zeit?
Zep­pe­n­feld Und da ich drei Stun­den Zeit habe, muss ich eben Pau­se ma­chen. Drei Stun­den die Span­nung auf­recht zu hal­ten ohne zu sin­gen, geht nicht, mit Sin­gen geht das auch nicht, sonst wäre ich im 3. Akt müde. Also muss ich erst run­ter­kom­men, in der zwei­ten Pau­se wie­der hoch­kom­men und mich ein zwei­tes Mal ein­sin­gen. Das ist wirk­lich eine Auf­ga­be, ich muss­te das für mich sel­ber erst raus­fin­den, wie man das nicht nur von der Kör­per­span­nung her vor­be­rei­tet, dass man im 3. Akt ab dem ers­ten Ton wie­der fit ist. Die Kol­le­gen la­chen im­mer, wenn ich mit­ten in der zwei­ten Pau­se an­fan­ge, im Haus Trep­pen zu stei­gen. Dann wis­sen die An­klei­der schon: „Aha, es geht bald los, Zep­pe­n­feld wird unruhig.“

Thiel Kurt Moll hat mal er­zählt, er hat­te in Mün­chen im 2. Akt eine coo­le Skat­run­de. Bei Ih­nen ist das an­ders. Sind Sie denn noch nervös?
Zep­pe­n­feld Ner­vös nicht. Ich bin ge­spannt vor Vor­stel­lun­gen. Ner­vös bin ich nur, wenn ich mer­ke, dass ir­gend­was mit der Stim­me nicht stimmt. Das kann sein, wenn eine Er­käl­tung im An­flug ist, wenn ich den Klang oder den Ton nicht finde.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Neh­men Sie im­mer noch Unterricht?
Zep­pe­n­feld Nein. Ich bin ja vor­zei­tig in den Be­ruf ein­ge­stie­gen, hat­te vor der Ab­schluss­prü­fung mein ers­tes En­ga­ge­ment in Müns­ter. Hans So­tin hat mir da­mals ein ganz tol­les An­ge­bot ge­macht. Er sag­te: „Geh zur Büh­ne, da lernst du schnel­ler als im Stu­dier­zim­mer und wenn du Pro­ble­me hast, ruf mich an und komm und wir gu­cken uns das an.“ Ich bin nach dem Stu­di­um noch zwei­mal bei ihm ge­we­sen, habe Kas­par für eine kon­zer­tan­te Pro­duk­ti­on vor­be­rei­tet und Fa­solt als ers­ten Wag­ner. Das hat mir sehr ge­hol­fen. Aber spä­ter habe ich nie­man­den mehr an mei­ne Stim­me rangelassen.

Thiel Vie­le Sän­ger ha­ben Angst vor dem Spre­chen, ha­ben Angst vor Dia­lo­gen auf der Büh­ne. Müs­sen Sie da swit­chen oder su­chen Sie die je­wei­li­ge Stimme?
Zep­pe­n­feld Ei­gent­lich fin­de ich das erst für jede Par­tie neu. In­zwi­schen ist die „Zau­ber­flö­te“ kein Pro­blem mehr, aber im 2. Akt gehe ich beim lan­gen Dia­log vor „O Isis“ sehr zei­tig in ein ge­stütz­te­res Spre­chen über, da­mit die Arie vom ers­ten Ton an rich­tig prä­sent ist. An­ders ist das beim Kas­par, der hat sehr viel Dia­log – zu­min­dest in der Dresd­ner In­sze­nie­rung – und muss auch Gift ha­ben in der Stim­me. Man kann das nicht spre­chen wie ein Ober­schü­ler, son­dern man muss in der Sprech­stim­me sei­ne Ag­gres­si­vi­tät und den Druck spü­ren, denn die­sem Mann sitzt der Leib­haf­ti­ge im Na­cken. Und das muss man ge­nau­so üben wie das Sin­gen, da­mit es sich in der Vor­stel­lung ge­gen­sei­tig nicht stört.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Darf ich mir die Arie des Gre­min aus „Eu­gen One­gin“ wünschen?
Zep­pe­n­feld Die wünsch ich mir auch! Ich habe mit die­ser Arie schließ­lich alle mei­ne Vor­sin­gen be­strit­ten. Ich hat­te ein Stan­dard­pro­gramm be­stehend aus Sa­ras­tro, aus Sze­ne und Arie von de Sil­va in „Ernani“ so­wie der Gre­min-Arie. Mit der Gre­min-Arie habe ich im­mer alle ge­kriegt, weil sie mir sehr ent­ge­gen­kommt. Sie hat eben ge­nau die­se Far­ben, die mir ent­ge­gen­kom­men, und ei­nen schö­nen tie­fen Ton am Schluss – das ha­ben alle ge­mocht. Aber es hat lan­ge ge­dau­ert, bis ich ihn in Dres­den das ers­te Mal sin­gen durf­te – nicht in der Pre­mie­re, son­dern in der spä­te­ren Vor­stel­lungs­se­rie. Ich kom­me bis­lang auf nur drei Vor­stel­lun­gen, weil es im­mer wie­der aus ter­min­li­chen Grün­den ge­schei­tert ist, aber ich wer­de das ger­ne wie­der sin­gen, wenn sich die Mög­lich­keit er­gibt. Es ist ein­fach herr­lich: Eine kur­ze vor­an­ge­hen­de Sze­ne, es folgt die­se wun­der­ba­re Arie, noch zwei Sät­ze hin­ter­her, die Par­tie ist da­mit ge­sun­gen und man ist der gro­ße Gewinner.

Thiel Das ist ge­nau­so wie bei Kö­nig Mar­ke! Die­ser dank­ba­re Mo­no­log ist so per­fekt in­te­griert in das Ganze …
Zep­pe­n­feld Man hat es als Mar­ke auf eine ge­wis­se Wei­se leicht, denn es spielt nur das hal­be Or­ches­ter. Die Leu­te ha­ben vor­her ge­fühlt stun­den­lang ei­nen So­pran und ei­nen Te­nor an­ge­hört, nur die Hälf­te ver­stan­den und plötz­lich schwei­gen zu­min­dest die ers­ten Gei­gen und man hört fünf­zehn Mi­nu­ten wun­der­schö­ne, er­grei­fen­de Mu­sik und ver­steht je­des Wort, weil das so ge­schrie­ben ist – das ist na­tür­lich ein Geschenk!

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Ha­ben Sie eine Lieblingspartie?
Zep­pe­n­feld Nein, ich hab vie­le Lieb­lings­par­tien – und das ist kein Kli­schee. Die meis­ten Sän­ger sa­gen: „Das, wor­an ich ge­ra­de ar­bei­te“. Aber es ist tat­säch­lich so, dass ich froh bin, mich nicht ent­schei­den zu müs­sen, eine Par­tie toll zu fin­den und die an­de­ren we­ni­ger. Son­dern es gibt wahn­sin­nig viel, wo­für es sich lohnt, Sän­ger zu wer­den. Dazu ge­hört der Gre­min, dazu ge­hört mitt­ler­wei­le so­gar der Sa­ras­tro, den ich de­fi­ni­tiv zu früh ge­sun­gen habe, gleich in mei­ner ers­ten Spiel­zeit. Das ist eben so, wenn man an ei­nem klei­nen Thea­ter an­fängt. Man muss es ma­chen, man muss sich fin­den und dazu ver­hal­ten, aber die Angst vor die­ser gro­ßen Per­sön­lich­keit, die man mit ei­nem Nichts an Mit­teln auf die Büh­ne brin­gen muss, hat mich lan­ge be­glei­tet. Ich bin erst jetzt zu­hau­se in der Par­tie und sin­ge sie sehr ger­ne. Zu den Lieb­lings­par­tien ge­hö­ren der Phil­ipp in „Don Car­los“, Gurn­emanz so­wie­so, in­zwi­schen auch der Sachs, wenn ich ge­nü­gend Zeit habe, ihn vor­zu­be­rei­ten – und noch ei­ni­ges mehr.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Wie er­näh­ren Sie sich?
Zep­pe­n­feld Ich ver­su­che, mich so nor­mal wie mög­lich zu er­näh­ren, aus­ge­wo­gen nach al­len Rich­tun­gen. Das ein­zi­ge, was ich ver­mei­de, sind Über­trei­bun­gen. Ich bin we­der Ve­ge­ta­ri­er noch sonstwas …

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Und Alkohol?
Zep­pe­n­feld We­nig, kommt aber vor.

Thiel Wenn Sie in Bay­reuth viel Rad fah­ren, hin und wie­der Weiß­bier trin­ken und zwei Kilo mehr ha­ben, füh­len Sie sich da­mit wohler?
Zep­pe­n­feld Ja. Wenn ich un­ter acht­zig Kilo wie­ge und das war jetzt, als ich aus Wien kam, der Fall, ist das meis­tens eine Fol­ge von Stress. Des­halb esse ich nicht we­ni­ger oder mehr als sonst, mein Ge­wicht schwankt ein­fach im Rah­men von plus oder mi­nus zwei Ki­los. In Bay­reuth gibt es die­se ge­wis­sen Weiß­bier­ki­los und die tun mei­ner Stim­me gut …

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Wenn Sie ita­lie­ni­sche Par­tien sin­gen, müs­sen Sie doch viel frem­den Text lernen?
Zep­pe­n­feld Ja, denn ich spre­che nur so viel ita­lie­nisch, um in Ita­li­en nicht zu ver­hun­gern. Ich habe aber fest­ge­stellt, dass es hin und wie­der gut ist, in ei­ner Spra­che zu sin­gen, die man nicht spricht. Im Rus­si­schen zum Bei­spiel dau­ert es viel län­ger, bis ich eine Par­tie drauf­ha­be. Aber das ist durch­aus von Vor­teil, denn zu­min­dest bei mir lernt die Stim­me lang­sa­mer als der Kopf. Wenn ich eine deut­sche Par­tie ler­ne, bin ich schnell im Bil­de, was den Text an­geht, und kann al­les schnell aus­wen­dig. Das birgt die Ge­fahr, dass man zu früh in zu lan­gen Etap­pen mit der Stim­me ar­bei­tet. Bis die Stim­me ih­ren Weg ge­fun­den hat, et­was schla­cken­frei zu pro­du­zie­ren und mit den Far­ben, die ich möch­te, braucht es eben Zeit. Die­ses Un­gleich­ge­wicht zwi­schen Ge­hirn und Stim­me wird durch den fremd­sprach­li­chen Text ein biss­chen auf­ge­ho­ben. Das Ge­hirn hat ein Han­di­cap und da­durch bin ich ge­zwun­gen, sorg­fäl­tig und lang­wie­rig auch mit der Stim­me zu arbeiten.
Was ich an rus­si­schen oder fran­zö­si­schen Par­tien, die mir von der Spra­che her nicht so nahe lie­gen, ge­sun­gen habe, das kann ich stimm­lich aus­ge­spro­chen gut. Für mein zwei­tes En­ga­ge­ment am Thea­ter Bonn habe ich zum Bei­spiel ei­gens den Pi­men in „Bo­ris Go­dunow“ ge­lernt – eine vier­zig bis fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten dau­ern­de Par­tie, wenn sie nicht ge­stri­chen ist, und das ist, wenn man kein Wort rus­sisch spricht, eine Hei­den­ar­beit. Ich hat­te das sehr gut vor­be­rei­te­te, aber als ich an­kam, soll­te es ein äl­te­rer Sän­ger sein. Da war ich lo­gi­scher­wei­se erst­mal sau­er, aber ein Jahr spä­ter bin ich in ei­ner Pre­mie­re mit der Par­tie kurz­fris­tig ein­ge­sprun­gen. Be­vor ich zu­sag­te, habe ich mich noch zwei Stun­den mit der Par­tie be­fasst und das war auf­grund die­ses sprach­li­chen Han­di­caps so gut ge­ar­bei­tet, dass ich bei die­sem Ein­sprin­gen über­haupt kei­ne Pro­ble­me hatte.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Wie lan­ge dau­ert es, bis Sie eine fremd­sprach­li­che Par­tie ge­lernt haben?
Zep­pe­n­feld Das hängt von der Par­tie ab. Bei Pi­men wa­ren es Mo­na­te, für den Sachs, ob­wohl auf Deutsch, habe ich mir drei Jah­re Zeit ge­las­sen und im­mer mal wie­der in Ab­schnit­ten ge­ar­bei­tet. Es ging frü­her schnel­ler als heu­te, bis ich si­cher, bis ich sat­tel­fest bin. Also muss ich mir mehr Zeit neh­men und ent­spre­chend pla­nen und einteilen.

Thiel Steht Ih­nen eine gro­ße Auf­ga­be be­vor, an der Sie ge­ra­de dran sind?
Zep­pe­n­feld Ich wer­de die Ge­le­gen­heit ha­ben, 2026 in Ams­ter­dam zum ers­ten Mal den Fies­co in „Si­mo­ne Boc­ca­ne­gra“ zu sin­gen – eine der we­ni­gen Ver­di-Par­tien, die ich noch nicht ge­sun­gen habe. Da­mit fan­ge ich in Kür­ze an, weil das eine um­fang­rei­che und wich­ti­ge Par­tie ist, die ich un­be­dingt gut kön­nen will, wenn die Pro­ben be­gin­nen. An­sons­ten steht noch der Frè­re Lau­rent in „Ro­meo et Ju­li­et­te“ an, das ist kei­ne gro­ße Par­tie, aber es kom­men im­mer wie­der De­büts, zum Bei­spiel „Die Lie­be zu den drei Oran­gen“, nächs­te Spiel­zeit in Dresden.

Thiel Das ist eine ko­mi­sche Oper. Ist das nicht Fremd­land für Sie?
Zep­pe­n­feld Ganz Fremd­land ist das Ko­mi­sche nicht. Ba­cu­lus im „Wild­schütz“ habe ich ge­sun­gen, das hat wun­der­bar funk­tio­niert, bei Pro­kof­jev ist das eine ganz an­de­re Art von Ko­mik und braucht ei­nen an­de­ren Pin­sel. Ich bin ge­spannt drauf. Wie das wird, hängt auch von der Re­gie ab.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Wenn Sie in ei­ner frem­den Spra­che eine Par­tie ler­nen, ha­ben Sie dazu  ei­nen Sprachlehrer?
Zep­pe­n­feld Wenn es nö­tig ist, ja. Für Dres­den habe ich un­ter an­de­rem den Was­ser­mann in „Ru­sal­ka“ ge­lernt und be­kam ei­nen sehr gu­ten tsche­chi­schen Sprach­coach. Er hat­te selbst eine Ge­sangs­aus­bil­dung und eine sehr hilf­rei­che Art, die Stim­me und die­se aus un­se­rer Sicht selt­sa­me Spra­che mit­ein­an­der in Ein­klang zu brin­gen. Ich hab an­schlie­ßend Post be­kom­men von ei­ner deutsch-tsche­chi­schen Ge­sell­schaft, die in Dres­den an­säs­sig ist, und man hat mir be­schei­nigt, dass man bei mir kei­nen Ak­zent ge­hört hät­te. Das hab ich Herrn Pro­has­ka sehr zu danken.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Ha­ben Sie sich den 2. Akt „Par­si­fal“ durch die AR-Bril­le angesehen?
Zep­pe­n­feld Ja, hab ich. Ich war ein biss­chen ent­täuscht da­von, dass die Bil­der, die der Pro­duk­ti­on hin­zu­ge­fügt wur­den, in­halt­lich nicht das ge­leis­tet ha­ben, was ich mir ver­spro­chen hat­te. Ich hat­te ein­fach er­war­tet, dass sie ein neu­es Licht auf den „Par­si­fal“ als Stück wer­fen oder mir Din­ge er­öff­nen, die ich noch nicht ge­se­hen habe. Statt­des­sen fand ich das, was ge­zeigt wur­de, eher il­lus­tra­tiv und ein biss­chen we­nig, um den Auf­wand zu recht­fer­ti­gen. Zu­dem hat­te ich das Ge­fühl, dass Com­pu­ter­ani­ma­tio­nen das seit zwan­zig Jah­ren kön­nen. Ich bin jetzt ge­spannt, was Jay Scheib al­les än­dern wird. Wir fan­gen mor­gen an mit den Pro­ben und ich freue mich sehr auf die­sen Gurnemanz!

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Bay­reuth ist ei­nes der letz­ten Häu­ser, wo es kei­ne Über­ti­tel gibt. Was sa­gen Sie dazu?
Zep­pe­n­feld Wenn ich ehr­lich bin: Über­ti­tel stö­ren mich, denn dann sehe ich die gan­ze Zeit ein Pu­bli­kum, das nach oben guckt. Ich stel­le mir das sehr an­stren­gend vor, weil ei­nen das Mit­le­sen im­mer wie­der aus der Il­lu­si­on her­aus­holt. Als Zu­schau­er könn­te ich gar nicht am Büh­nen­ge­sche­hen dran­blei­ben, wenn ich die gan­ze Zeit mit­le­sen soll­te. Ich wür­de mir wün­schen, dass wir mehr an der an­de­ren Sei­te ar­bei­ten. Es muss doch mög­lich sein, dass man von der Büh­ne her­un­ter ver­stan­den wer­den kann. Das ist von Haus aus schwie­ri­ger für Te­nö­re und So­pra­ne, weil de­ren Art zu sin­gen es ein biss­chen schwe­rer macht. Ich emp­fin­de Über­ti­tel als Ka­pi­tu­la­ti­on, des­halb bin ich kein Fan davon.

Fra­ge aus dem Pu­bli­kum Viel­leicht wäre es der bes­se­re Weg, wenn die Zu­schau­er sich vor­her den Text anschauen?
Zep­pe­n­feld Na­tür­lich wäre das ein Teil vom Ide­al. Aber ich bin nicht so op­ti­mis­tisch, dass man ins­be­son­de­re von Leu­ten, die nicht so opern­erfah­ren sind wie Sie und noch nicht die­se Af­fi­ni­tät ha­ben zu die­ser Kunst­form, er­war­ten kann, dass sie sich im Vor­hin­ein mit den Stü­cken be­schäf­ti­gen. Der Zeit­geist geht ge­ra­de eher in eine an­de­re Rich­tung. Aber wenn ich mir über­le­ge, wie wir jun­ge Leu­te ins Thea­ter be­kom­men und sie hal­ten wol­len, müs­sen wir ei­gent­lich so er­zäh­len, dass sich ih­nen beim Zu­schau­en und Zu­hö­ren wie von selbst et­was erschließt.

Tran­skrip­ti­on und Be­ar­bei­tung: Mo­ni­ka Beer

Mar­kus Thiel, ge­bo­ren 1965 in Bad Tölz, ist Mu­sik­re­dak­teur des Münch­ner Mer­kur. Dar­über hin­aus ar­bei­tet er als Au­tor für das Ma­ga­zin „Opern­welt“ und ist Jury-Mit­glied beim „Preis der deut­schen Schall­plat­ten­kri­tik“. Er stu­dier­te an der Lud­wig-Ma­xi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät in Mün­chen, spielt Or­gel und Kla­ri­net­te und hat eine Ge­sangs­aus­bil­dung. Bei Hen­schel er­schien sei­ne Bio­gra­fie über Edi­ta Gru­bero­va („Der Ge­sang ist mein Ge­schenk“), bei Pi­per sein Buch über Ma­riss Jan­sons („Ein lei­den­schaft­li­ches Le­ben für die Musik“).

Wei­te­re Fo­tos der RWV-Ver­an­stal­tung vom 23. Juni 2024 fin­den Sie hier. Aus­führ­lich do­ku­men­tier­te Künst­ler­ge­sprä­che gibt es dar­über hin­aus mit Fest­spiel­lei­te­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner und „Ring“-Regisseur Va­len­tin Schwarz.