Richard Wagner hatte mindestens drei uneheliche Kinder. Ein paar mehr könnten es mit und von Haushälterin Vreneli sein, die am 28. Januar 1867 heiratete – einen anderen natürlich.
Dass die Kinder Richard Wagners allesamt – auch sein Sohn und „Erbprinz“ Siegfried – unehelich geboren wurden, ist schon lange Stand der Forschung. Nur wie viele es sind beziehungsweise waren, ist nach wie vor unklar. Wie bitte?
Es ist fast zehn Jahre her, seit die Musikwissenschaftlerin und Feministin Eva Rieger erstmals veröffentlicht hat, dass Wagner neben den mit seiner späteren Ehefrau Cosima gezeugten Kindern Isolde, Eva und Siegfried möglicherweise auch noch Nachkommen mit seinem Luzerner Dienst- und Kindermädchen Vreneli hatte. Nur hat erstaunlicherweise kein Hahn danach gekräht. In ihrem Buch „Leuchtende Liebe, lachender Tod“ zeigt die Autorin auf, dass Wagner nach dem Scheitern seiner Ehe mit Minna immer wieder verzweifelt und in jeder Hinsicht nach Partnerinnen suchte. Rieger schreibt, wie er mit seiner Muse Mathilde Wesendonck den hohen Konversationston pflegte und gleichzeitig mit seinem Wiener Stubenmädchen Maria Völkl das Bett sowie Geheimnisse um Unterwäsche und Parfüm teilte. „Er lud Mathilde Maier zu sich nach Starnberg ein,“ so Rieger, „nachdem er mit Cosima Liebesschwüre ausgetauscht hatte, und er schwängerte vermutlich sein langjähriges Hausmädchen Vreneli Weidmann, während er bereits eine sexuelle Beziehung zu Cosima unterhielt.“
Wagner lernte Verena Weidmann im Frühjahr 1859 in Luzern kennen, als er sich in einer Suite im Hotel Schweizerhof einquartierte. Das am 3. August 1832 in Embrach bei Zürich geborene Kind einer Bauernfamilie war für seine Herkunft ungewöhnlich gebildet, sprach Französisch und wurde als Zimmermädchen für ihn abgestellt. Vreneli avancierte schnell zu Wagners „Schutzengel“, weil sie unter anderem Lärm von dem hochsensiblen Komponisten abhielt. Vermutlich verliebte sie sich in den noch mit Minna verheirateten, für sie unerreichbar höher gestellten Mann und sah sich laut Rieger stets als Dienende. Vreneli, die man nicht als leicht verführendes Dienstmädchen missverstehen sollte, erinnerte sich später: „In meinem ganzen Leben habe ich keinen Menschen getroffen, der für Alles, was man ihm erwies, so voll Dankbarkeit war wie Richard Wagner.“
Treu ergeben folgte sie ihm nach München, nach Genf, wo sie ihm den Neufundländer Russ schenkte, und schließlich nach Tribschen bei Luzern, wo sie, inzwischen Mitte dreißig, am 28. Januar 1867 Jakob Stocker, den Portier des Schweizerhofs, unter der Bedingung heiratete, dass er ebenfalls in Wagners Dienste zu treten habe – in einen Haushalt, in dem Ehebruch an der Tagesordnung war, schlief der Hausherr doch mit der noch zwischen München und der Schweiz pendelnden Frau seines wichtigsten Dirigenten und mit Vreneli, deren Schwangerschaft er am 24. Juni 1868 eigens in seinen Annalen festhielt. Am 4. Oktober 1868 wird Vrenelis erster Sohn geboren und bekommt mit Wilhelm Richard die gleichen Namen wie sein mutmaßlicher Vater. Wie schon bei seiner erstgeborenen Tochter Isolde, die seine Vaterschaft später vergeblich einklagen wird, übernimmt Wagner die Patenschaft für das Kind, dem er bis zu seinem Tod regelmäßig Geld und Geschenke schickt. Als Vreneli am 7. Mai 1869 ihre zweite Schwangerschaft meldet und ankündigt, mit ihrem Mann Tribschen zu verlassen, hängt der Haussegen schief.
Die ebenfalls schwangere Cosima stellt für vier Tage sogar eine ihrer zentralen Aufgaben, das Tagebuchschreiben, komplett ein und weint, als sie später mit R. „das trübe Thema von neulich“ nochmals mit bespricht: „O Stern der Liebe leuchte mir, erhelle mir die schweren dunklen Pfade.“ Als am 6. Juni 1869 endlich Sohn Siegfried geboren wird, beglückt Wagner sein Patenkind Wilhelm Richard Stocker tags darauf mit einer goldenen Uhr und wünscht sich, er möge sich zu Siegfried wie Kurwenal zu Tristan verhalten. Das zweite Kind Vrenelis, Sohn Bernhard, kommt am 7. Oktober 1869 zur Welt, am 21. Februar 1872 folgt mit Tochter Marie ihr drittes und letztes Kind. Die Fotos von Marie und deren Sohn in Eva Riegers Buch zeigen eine auffallende Ähnlichkeit mit Wagner, der übrigens bis kurz vor seinem Tod mit Vreneli korrespondierte.
Wenn man sich die gängigen schriftlichen Zeugnisse zu Vreneli vergegenwärtigt, wenn man weiß, wie Cosima später vor allem deren Verschwiegenheit und „Schicklichkeitsgefühl“ über den grünen Klee lobt und bedenkt, dass der unrühmlich seinen Erbprinz-Status verteidigende Siegfried Wagner sein viertes eheliches Kind aus Dankbarkeit für Vreneli Verena nennt, könnte was dran sein an den zusätzlichen Wagner-Vreneli-Kindern.
Es gibt noch ein Indiz: Otto Strobel, der Wahnfried-Archivar, der sich bis heute als Herausgeber des Briefwechsels zwischen König Ludwig II. und Wagner einen Namen gemacht hat, gab 1952 eine akribische Zeittafel zu Leben und Schaffen Wagners heraus. In der Rubrik, die alles erfasst, was im Dasein Wagners eine Rolle spielte, darunter „die wichtigsten menschlichen Beziehungen“, steht am 28. Januar 1867 Folgendes: „Verena Weidmann („Vreneli“), seit Ende Sept. 1864 Haushälterin Wagners, verheiratet sich mit Jakob Stocker; sie bleibt – mit Stocker – in Tribschen tätig.“ Bemerkenswert dabei ist, dass Vreneli und ihr Mann in der 142 Druckseiten umfassenden Zeittafel die einzigen der nicht wenigen und durchaus wichtigen Bediensteten Wagners sind, die erwähnt und im Namensregister aufgeführt werden. Strobel, der von Amts wegen auch intensive Ahnen- und Familienforschung zu betreiben hatte, könnte gewusst haben, warum.
Natürlich ist es für den Rang des Komponisten Richard Wagner völlig egal, ob er nun drei, vier, fünf, sechs oder womöglich noch mehr uneheliche Kinder in die Welt gesetzt hat. Aber es könnte von Belang sein für die dringend überholungsbedürftige Richard-Wagner-Stiftung, deren Satzung immer noch zu sehr am Testament des angeblich einzigen Wagner-Sohns Siegfried und dessen Frau Winifred klebt.
Erstveröffentlichung im Feuilleton des Fränkischen Tags am 26. Januar 2019 sowie auf https://www.takt1.de
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