Emil Scaria war legendär schon deshalb, weil er Osmin ebenso drauf hatte wie Escamillo. Der Gurnemanz der „Parsifal“-Uraufführung starb am 22. Juli 1886 in geistiger Umnachtung.
„R. träumt von einer Aufführung des Lohengrin“, schreibt Cosima Wagner zum 4. Januar 1882 in ihr Tagebuch, „worin die Sänger, vornehmlich Scaria, ihre Rollen vergessen hätten.“ Der Traum ist bemerkenswert, weil ihm eine gewisse Prophetie innewohnt. Emil Scaria, Gurnemanz der Bayreuther Parsifal-Uraufführung 1882, danach zusätzlich Spielleiter für die Inszenierung Richard Wagners, sollte mit dieser Partie, die als Gipfel seiner an Höhepunkten reichen Laufbahn gilt, bei den Festspielen nur noch 1884 auf der Bühne stehen. Danach wurde die Gedächtnisschwäche des schon in jungen Jahren ergrauten Sängers zunehmend zum Problem – ob bei internationalen Gastspielen oder seinen Auftritten an der Wiener Staatsoper, der er als seit 1873 angehörte. Am 24. Januar 1886 stand er dort als Landgraf in Tannhäuser zum letzten Mal auf der Bühne. Angelo Neumann, der Impresario und Direktor des Wander-Wagnertheaters, berichtet über das „Ende dieses herrlichen Künstlers“: „Bei dieser Vorstellung brach die latente Krankheit in furchtbarer Weise hervor, so dass er im zweiten Aufzug Elisabeth fragen musste: Welche Oper wird denn gespielt? Er konnte sich nur mühsam aufrecht erhalten und musste abgeführt werden.“ Ein halbes Jahr später, am 22. Juli 1886, starb Emil Scaria in Blasewitz, einem heutigen Ortsteil von Dresden, wo er eine Villa besaß. Er war erst 46 Jahre alt.
Der 1838 in Graz geborene Sohn eines Arztes absolvierte zunächst in Wien ein Jurastudium, bevor er sich dem Gesang widmete. Nach seinem Debüt als Bariton 1860 in Budapest wurde die Weiterbildung bei Manuel García jr. in London, dem berühmtesten Gesangspädagogen seiner Zeit, für ihn entscheidend. Anschließend ging es schnell bergauf mit seiner Karriere, die ihn als Ensemblemitglied innerhalb von zehn Jahren Dessau über Leipzig und Dresden an die Wiener Hofoper führte – zu glänzenden Bedingungen übrigens. Die Spannbreite seiner Stimme war außergewöhnlich: Er konnte die finsteren Tiefen eines Osmin und Hagen ebenso überzeugend singen wie die von den meisten Bassbaritonen und manch echtem Heldenbariton gefürchteten Spitzentöne von Wotan, Sachs, Figaro, Falstaff und Escamillo. Nicht umsonst wurde er besonders als Wagnersänger gefeiert, denn neben seiner mühelos allen Lagen und Stärkegraden gewachsenen Stimme war seine Aussprache mustergültig.
So berühmt er für seinen Gesang war, so berüchtigt war er für seine überhöhten Gagenforderungen. Bei den ersten Ring-Proben in Bayreuth 1875 als Hagen noch mit von der Partie, sagte er für die Uraufführung im Jahr darauf ab, weil er die geforderten 2700 Thaler für den Monat August und 250 Mark für jeden Probe-Abend nicht bekommen sollte. Immerhin fanden die Wagners im Februar 1876 eine Erklärung für Scarias „unglaubliches Benehmen“: Ein Gerichtsvollzieher wollte in Wahnfried das Honorar für Scaria im Voraus pfänden, weil dieser einer Frau in Wien 25 800 Thaler schuldig sei. Einige Quellen sprechen auch davon, dass der Sänger in Spekulationsgeschäfte verstrickt war. So schrieb der Musikhistoriker Richard Sternfeld 1890: „Fehlte es nicht an Stimmen, die in thörichter Verblendung die anhaltende Hingabe an die schwierigen Wagnerschen Rollen für das furchtbare Geschick Scaria’s verantwortlich machten, so wurde von anderer Seite den Aufregungen des Börsenspiels die Schuld des jähen Verfalls beigemessen.“
Warum auch immer: Die hohe Gage war Wagner egal, als es um die Besetzung von Gurnemanz für die Parsifal-Uraufführung ging. Man einigte sich, das Ergebnis sprach für sich: Bei Kritik und Publikum kam Scaria gleichermaßen gut an. Für Angelo Neumann war er eine „Offenbarung“, der Komponist Wilhelm Kienzl schrieb überwältigt: „Aussprache, Gesang, Phrasierung, Steigerung, Plastik, Darstellung, Innerlichkeit geradezu unübertrefflich!“ Selbst der Bayreuth-kritische Dirigent Felix Weingartner war restlos begeistert und resümierte in seinen Lebenserinnerungen 1923: „Der Vermittler des gewaltigen Eindrucks, den ich empfing, war Scaria, der eine geradezu erhabene Leistung bot; sie ist, so weit meine Erfahrung reicht, durch niemand später übertroffen worden.“
Auch in der Festspielstadt herrschte Bewtroffenheit, nachdem die Trauerbotschaft am 23. Juli 1886 auch im Bayreuther Tagblatt vermeldet wurde:
Soeben traf telegraphisch die Terauerkunde hier ein, daß Emil Scaria, der unvergessene gottbegnadete Darsteller des Gurnemanz, auf seiner Villa zu Blasewitz in der vergangenen Nacht am Gehirnschlage gestorben ist. Erscheint der Todt hier auch als Erlöser von schwerem Leiden, so wird doch diese Trauerbotschaft gerade hier, unter den Festgästen wie unter den Bewohnern Bayreuth’s die tiefschmerzlichsten Empfindungen hervorrufen. Stand doch der Verlebte nicht blos wegen seiner eminenten künstlerischen Leistungen, sondern auch wegen seines biederen, liebenswürdigen Wesens in Ansehen und Liebe Aller, die ihn näher kannten. – Scaria todt! Dieser Schmerzensruf wird heute die Herzen aller Anhänger und Freunde der Sache Wagner’s, welcher der illüstre Sänger mit ebensoviel Eifer und Treue, als glänzendem Erfolge gedient hat, durchzittern.
Dass man sich auch und gerade in Christoph Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung von 2004 an Emil Scaria erinnert fühlen konnte, lag sicher nicht nur am damaligen Interpreten Robert Holl und seinem Kostüm. Wer darüber hinaus mehr über die Zustände in und hinter den Kulissen der Schlingensief-Inszenierung erfahren will, der gönne sich die rund zwölf Minuten dauernde Bayreuth-Passage aus einem „Aspekte“-Gespräch zwischen dem Regisseur und Gregor Gysi. Es lohnt sich!
Erstveröffentlichung in etwas kürzerer Form auf https://www.takt1.de/
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