Corona-Dämmerung nicht nur in Bayreuth: Unter erschwerten Bedingungen haben sich gleich drei weitere Bühnen im Freistaat Richard Wagners „Ring“-Tetralogie vorgenommen und sind mit wenigstens einem Teil schon herausgekommen: die Landestheater Coburg und Niederbayern und das Mainfrankentheater Würzburg.
Ältere Semester werden sich noch daran erinnern, dass Wagnerianer schon die Nase rümpften, wenn mittlere Opernhäuser sich an die Tetralogie wagten. Inzwischen ist „Der Ring des Nibelungen“, der nach der Bayreuther Uraufführung landauf landab an vielen Bühnen gespielt wurde (was den Wagners reichlich Tantiemen bescherte), und nach einer Phase, wo man ihn letztlich nur in Festspielinszenierungen als authentisch goutierte, wieder selbst an kleineren und kleinsten Bühnen angekommen – aktuell in Bayern am Mainfrankentheater Würzburg sowie an den Landestheatern Coburg und Niederbayern.
Die drei Häuser stellen sich der Herausforderung unter erschwerten Bedingungen, denn sie haben sich den aufwändigen Vierteiler ausgerechnet in Umbau-Zeiten vorgenommen. Für alle drei gilt außerdem: Ob nach Vollendung der vier Teile auch zyklische Gesamtaufführungen realisiert werden können, ist höchst ungewiss, denn die Produktionsdauer zieht sich über mindestens vier Spielzeiten hin, was zwangsläufig Besetzungsprobleme beinhaltet. Zwei der aktuellen Premieren – „Das Rheingold“ in Würzburg und „Die Walküre“ in Landshut – mussten wegen des Corona-Virus jeweils nach den Generalproben abgesagt werden. Immerhin gibt es schon Fotos von magischen Momenten aus diesen Neuinszenierungen.
Landestheater Coburg
In Coburg, wo die komplette Tetralogie seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr aufgeführt wurde, ging bisher nur der Vorabend über die Bühne („Das Rheingold“, Premiere im September 2019, Derniere der ersten Aufführungsserie am 31. Januar 2020). Der spätklassizistische Bau des Landestheaters mit 488 Plätzen wartet bekanntlich dringend auf seine Sanierung, wird aber nach jetzigem Stand noch bis Sommer 2022 bespielt. Erst in der Interimsspielstätte, dem spektakulären, aber kleineren Globe Theatre (360 Plätze bei Opern), soll sich der „Ring“ schließen.
Intendant Bernhard F. Loges hat für alle vier Teile Regisseur Alexander Müller-Elmau engagiert, der mit den zwei Spielstätten im Kopf auch das Bühnenbild verantwortet. Durch die Verschiebung von abstrakten und konkreten Elementen – darunter ein goldenes Gehirn – schafft er unterschiedliche Atmosphären. In ausgefeilter Personenregie lässt er ambivalente Kunstfiguren auf heutige Menschen treffen (Kostüme: Julia Kaschlinski). Gastsolisten wie Simeon Esper als Loge und Ensemblemitglieder wie Michael Lion als Wotan und der aus dem Chor rekrutierte Alberich von Martin Trepl unterstreichen, wie gut Wagner im Kleinen funktionieren kann.
Was auch an Roland Kluttig liegt, der das Haus in der letzten Dekade entschieden vorangebracht hat. Der Generalmusikdirektor, der zum Saisonende nach Graz wechselt, hatte beim ersten Teil 57 Musiker im Graben. Klangfülle durfte da niemand erwarten, aber Wagners Klangfarbendramaturgie wurde faszinierend erfahrbar. Gespielt wird eine Mixtur aus der 1906/07 hier erstmals aufgeführten sogenannten „Coburger Fassung“ des Meininger Musikers Alfons Abbass, und aus der Version des zeitweise auch in Coburg aktiven Dirigenten Gotthold Ephraim Lessing von 1942/43, die bei den Bläsern weniger Abstriche macht und Sonderinstrumente wie Basstrompete und Wagnertuba beibehält. Als nächstes steht im März 2021 „Die Walküre“ an, unter der Leitung des neuen GMD Daniel Carter.
Mainfrankentheater Würzburg
Von vornherein nicht aus einer Hand kommt der „Ring“ in Würzburg, der von verschiedenen Regieteams realisiert werden soll. Zum Auftakt gab es ab Mai 2019 „Götterdämmerung“ (Regie: Tomo Sugao, Bühne: Paul Zoller, Kostüme: Carola Volles). Die Inszenierung zeigt eine grelle Gibichungenwelt, in der Hagen (profunder Gast mit Kinderdouble: Guido Jentjens) sich als einziger Normalo und als Motor der Geschichte erweist, während alle Nicht-Gibichungen aus einem grämlich-grauen Wagnermuseum stammen.
Als nächster Solitär sollte aktuell ab 14. März „Das Rheingold“ folgen (Regie: Dirk Schmeding, Ausstattung: Pascal Seibicke), das es aber nur bis zur Generalprobe schaffte. Dauern die Theaterschließungen wegen Corona länger, müsste die Produktion schlimmstenfalls sogar auf Eis gelegt werden, denn sie ist nicht für die Ausweichspielstätte konzipiert. Im 1966 errichteten Mainfrankentheater (738 Plätze) laufen bereits Erweiterungs- und Umbauten. Ab der neuen Saison wird das Große Haus saniert, nur kleinere Opern können in die Theaterfabrik Blaue Halle (ca. 500 Plätze) ausgelagert werden. Wenn alles nach Plan läuft, steht zur Saison 2022/22 die Wiedereröffnung an – und die weiteren „Ring“-Teile, die hoffentlich von Markus Trabusch, dem Chef des Hauses, realisiert werden, dem zuletzt mit „Rigoletto“ eine Sternstunde gelungen ist!
Und von GMD Enrico Calesso, über dessen Vertragsverlängerung gerade verhandelt wird und der ab der neuen Saison auch als ständiger Gast am Landestheater Linz wirkt. Er ist ein Dirigent, der intensiv mit den Sängern atmet, aber stets den großen Bogen im Blick hat. Aufgeführt wird erstmals die neue Bearbeitung für mittelgroßes Orchester von Eberhard Kloke, die gut die Hälfte der Streicher, aber nur ein Viertel der Bläser einspart und sogar zusätzliche Sonderinstrumente wie Celesta und das Heckelphon einbezieht. Klingt mehr nach Heavy Metal und manchmal schräg.
Landestheater Niederbayern
Das Landestheater Niederbayern, das sich wegen der ausstehenden Sanierung des Landshuter Hauses ohnehin im Ausnahmezustand befindet, stellt trotz aller Schwierigkeiten an seinen drei Spielorten Stück für Stück die niederbayerische „Ring“-Erstaufführung auf die Beine. „Das Rheingold“ hatte im April 2019 im Landshuter Theaterzelt (488 Plätze) Premiere, wurde danach aber nicht im kleinen Passauer Stammhaus (334 Plätze), sondern in der sehr großen Dreiländerhalle (verkleinert auf 1050 Opernplätze) sowie im Straubinger Theater (320 Plätze) gezeigt. Will heißen: Die Produktion muss in allen Sälen funktionieren. Basil H. E. Coleman, Chef der regulär 42 Köpfe zählenden, mit Gästen aufgestockten Niederbayerischen Philharmonie, dirigiert die Lessing-Fassung heldenhaft mit drei in den Streichern verschieden großen Orchestern: in Straubing sind es 55 Musiker, in Landshut 64 und in Passau, wo die Sänger Mikroports tragen, sogar 93.
Die Inszenierung von Intendant Stefan Tilch im Bühnenbild des Bamberger Künstlers Karlheinz Beer (Kostüme: Ursula Beutler) spielt in Räumen, die aus den Elementen einer Bibliothek entstehen, die zu Anfang des „Rheingold“ vollständig zu sehen ist: „Sie ist“, so Beer, „die Matrix, die Oberfläche, der Urgrund, auf dem sich unsere Realität abspielt. Sie ist ein interaktives und sich ständig wandelndes Energiefeld, das alles potenziell in sich enthält.“
„Die Walküre“ (geplante Premiere am 15. März), wiederum mit dem umwerfend jungen Wotan von Stephan Bootz, musste nach der Generalprobe in die Corona-Zwangspause. Aktuell sind alle Vorstellungen in Landshut und Straubing abgesagt, ob die Produktion einfach in die nächste Saison verschoben werden kann, ist noch unklar. Ob Bernd Sibler, bayerischer Kunstminister und Schirmherr dieses „Ring“-Projekts, in der gegebenen Notlage helfen wird, auch.
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