Die Wagners tanzen nachmittags um ihren Weihnachtsbaum, befinden das abgelaufene Jahr für gut und begeben sich zwischen eins und zwei zur Ruhe.
Was unseren pandemiegeplagten Jahreswechsel von dem der Wagners vor 150 Jahren unterscheidet, liegt auf der Hand. Richard und Cosima Wagner konnten in ihrer Tribschener Familien-Idylle auf ein sehr gutes Jahr zurückblicken: 1871 kristallisierte sich ihre Zukunft in Bayreuth heraus, entstand zur Unterstützung der Festspielpläne in Mannheim der erste Wagnerverein. Außerdem vollendete Wagner „Siegfried“, komponierte Teile der „Götterdämmerung“ sowie seinen Kaisermarsch und konnte die ersten Bände seiner Gesammelten Schriften herausgeben. Cosima notierte in ihr Tagebuch:
Sonntag 31ten Heiliger Sylvester; die Kinder und wir recht heiter; R. hatte zu seinem Schrecken bemerkt, daß er acht Tage lang einen Brief von mir an Frau Wesendonck (Absage) hatte liegenlassen, weshalb ich noch einmal schreibe; auch dem Sanskrit-Professor in Florenz, Herrn De Gubernatis, schreibe ich, und R. unterzeichnet; er will ihn nicht kopieren, er sagt, es sei ihm ganz recht, daß die Leute wissen, was ich ihm sei. Hübscher Brief des Wagnerverein in Mannheim; „der Gemaßregelte, der Tribschner, der Ceremonienmeister, der Sprecher und der Stratege“ Der König schickt Photographien nach Tristan! Nachmittags zünden wir den Baum wieder an und tanzen um ihn herum; Richard spielt uns auf. Abends bis Mitternacht aufgeblieben, unser Jahr überblickt und es gut befunden; herzliche Glückwünsche. Zwischen eins und zwei begeben wir uns zur Ruhe.
Auch Wagner hat übrigens an diesem Tag einen längeren Brief geschrieben, und zwar an Friedrich Feustel in Bayreuth, den er unter anderem um Unterstützung bei der Wohnungssuche bittet, bis der geplante eigene Neubau, die noch namenlose Villa Wahnfried, bezogen werden kann:
Wie nun bis dahin dort mich so behelfen, dass ich mit meiner lieben Famile das Aushalten nicht beschwerlich finden muss? Diess ist die Frage, für deren Lösung ich mich nur an Sie wenden kann. In der Stadt Bayreuth selbst würde mein Unterkommen gewiss schwerlich zu finden sein. Es würde mir unmöglich sein, die zahlreiche kleine Familie meiner lieben Frau solange in ein engeres Wohnhaus, mit etwa einem dürftigen Stadtgärtchen, einzuschliessen, nachdem sie hier die schönste und weiteste Freiheit genossen. Ich denke daher einzig an einen jener grösseren, ehemaligen adligen Landsitze, welche man mir als ‚Schösser‘ mit Gärten, oder gar ‚Parks‘, in einer Entfernung von 1 bis 2 Stunden von der Stadt bezeichnete, und welche mir für dauernde Niederlassung angeboten wurden, für welche ich diese Nachweisungen jedoch sogleich abwies, da ich – für die Dauer eben – in unmittelbarer Nähe der Stadt einzig mich niederlassen wollte, weshalb ich mich denn auch genöthigt sah, da ich das Gewünschte hier nicht fand, bloss auf die Erwerbung eines Grundstückes auszugehen, um dieses mir erst zur Niederlassung herrichten zu lassen.
Ja, R. konnte auch ausufernde Sätze schreiben.
Quellen: Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band I, S. 1594. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 34755 (vgl. Cosima-Tagebücher 1, S. 471-472); Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Band 23 (hg. v. Andreas Mielke).
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