Auf die Berliner Vorschlagsliste zu Straßenumbenennungen haben auch die Wagner-Experten Sven Friedrich und Frank Piontek reagiert.
Ja, ich weiß. Fast wäre das Wort „Sprachpolizei“ das Wort des Jahres geworden. Doch ich widme mich hier nicht etwa dem Gendern, sondern erneut der heiklen Frage des Umgangs mit der politischen Vergangenheit. Die in punkto Wagner ja von vornherein ein mehrschneidiges Schwert ist, das gerne auf sich selbst zurück und hereinfällt. Wie man unschwer auch an obigem Foto erkennen mag. Eine lesenswerte Geschichte dazu vom Oktober 2021 haben die Stuttgarter Nachrichten veröffentlicht.
Die öffentliche Diskussion in Bezug auf die Umbenennungen von Straßen und Plätzen, wobei aus bekannten Gründen fast immer auch der Name Richard Wagner fällt, ist aktuell spätestens seit dem Interview, das Barrie Kosky unter dem Titel „Mir soll kein Nicht-Jude mehr sagen, was antisemitisch ist“ der Berliner Zeitung gegeben hat, wieder in vollem Gang. Kosky hatte unter anderem geäußert, dass er es grauenhaft finde, dass jemand im Deutschland des 21. Jahrhunderts Listen mache. „Wir haben im 20. Jahrhundert genug von deutschen Listen gesehen. Nicht nur in der Nazi-Zeit, sondern auch in der DDR.“ Listen seien künstlerisch, politisch und gesellschaftlich gefährlich. „Und diese Liste ist nicht wirklich wissenschaftlich, sie ist eine dilettantische Provokation.“
Schon kurz zuvor hatte sich auch der in Tel Aviv geborene deutsche Historiker Michael Wolffsohn gegen Umbenennungen ausgesprochen, wie sie zuletzt unter anderem in Berlin und München vorgeschlagen wurden. In der Berliner Morgenpost schrieb er in einem Gastbeitrag unter anderem: „Wer Strassennamen umbenennt oder Denkmale stürzt, gibt vor, Geschehenes wäre nicht geschehen – und fördert, gewollt oder nicht, das Vergessen.“ Das gelte allerdings nicht für Verbrecher und Mörder. „Eine Adolf-Hitler- oder Joseph-Goebbels-Strasse, eine Stalin-Allee, Mao-Promenade oder ein Pol-Pot-Platz sind in einem dem Meschenrechten verpflicheten Staat absolut tabu.“
In der Debatte zur „Berliner Liste“ hat sich inzwischen auch Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, für die Umbenennung speziell der Richard-Wagner-Straße und des gleichnamigen Platzes ausgesprochen. „Man kann nicht in Abrede stellen, dass Wagner ein großer Musiker war“, sagte er der Berliner Morgenpost. „Ihn aber mit einem Straßennamen zu ehren, ist problematisch, weil er ein Antisemit war. Da muss man handeln und umbenennen.“
Dr. Sven Friedrich, Direktor des Richard Wagner Museums Bayreuth, hat in seinem Facebook-Account darauf wie folgt reagiert:
Es ist selbstverständlich legitim und richtig, den Antisemitismus in Deutschland nicht nur als historisches oder irgendwie abstraktes Phänomen zu begreifen, sondern auch ganz konkret an Persönlichkeiten der deutschen Geschichte und Kultur festzumachen. Dazu gehört natürlich auch Richard Wagner. Die Umbenennung von Straßen und Plätzen ist aber in meinen Augen nur dann legitim, wenn sie nicht einer teilweise ideologischen, teilweise absurden political correctness dient, sondern sich auf konkrete Täter und unmittelbare Vordenker beschränkt. Andernfalls wird Geschichte entsorgt und bereinigt, damit aber verfälscht – und der geäußerten Absicht einer ja weiß Gott notwendigen gesellschaftlichen Diskussion gerade der Boden entzogen und so ein Bärendienst erwiesen. Ich teile hier den Standpunkt beispielsweise von Michael Wolffsohn („Berliner Morgenpost“ v. 7. Januar 2022). Die gegenwärtigen ideologischen Tendenzen einer vermeintlich (!) politisch korrekten Manipulation von Sprache, Denken und kulturgeschichtlicher Wahrnehmung lassen jedoch gelegentlich den Verdacht aufkommen, dass George Orwell ein Optimist gewesen sein könnte. Die Umkehrung des verblüffend einfachen und groben Statements von Paul Spies, dem man als Amtskollegen eigentlich historisches Denken und Grundverständnis unterstellen können sollte, wäre demnach gleichfalls berechtigt: „Man kann nicht in Abrede stellen, dass Wagner ein großer Antisemit war. Eine Straßenumbenennung aber ist problematisch, weil er auch ein großer Musiker und eine bei aller Ambivalenz wichtige und folgenreiche Kulturerscheinung war.“
Die Anspielung auf George Orwell kommt nicht von ungefähr. In seinem berühmten dystopischen Roman „1984“ fälscht die Hauptfigur alte Zeitungsberichte, um sie an die aktuelle Linie der diktatorischen Partei („Big Brother“) anzupassen, und erklärt: „Jedes Buch hat man umgeschrieben, jedes Gemälde neu gemalt, jedes Denkmal, jede Straße und jedes Gebäude umbenannt. Die Historie hat aufgehört zu existieren. Es gibt nur eine endlose Gegenwart, in der die Partei immer Recht hat.“
Auch Wagner- und Bayreuth-Kenner Dr. Frank Piontek hat auf die „Berliner Liste“ reagiert. An den Antisemitismus-Beauftragten schrieb er:
Sehr geehrter Herr Prof. Salzborn,
die Liste, derzufolge viele Dutzende Berliner Straßen umbenannt werden sollten, enthält auch den Namen des bekannten Antisemiten und Autors Richard Wagner. Frage: Ist es, falls es zu einer Platzumbenennung kommen sollte, auch geplant, die Werke des antisemitischen Komponisten und (stets eigenen) Textdichters Wagner von den Programmen der Berliner Opernhäuser abzusetzen, da, wie ich lese, „Werk und Weltbild“ zusammengehören? Anderes wäre doch inkonsequent, oder?
Übrigens sind sowohl Frank Piontek als auch Sven Friedrich unsere nächsten Referenten. Piontek wird zum Faschingsausklang am 22. Februar 2022 um 19.30 Uhr Preziosen aus seiner Sammlung von Gedichten Richard Wagners im KUFA-Saal zum Besten geben, am 29. März 2022 um 19.30 Uhr folgt ebendort der Nachholtermin des Vortrags von Sven Friedrichs über die „Ring“-Inszenierungen in Bayreuth. Der Eintritt zu den Vorträgen ist frei, eine Anmeldung ist wegen möglicher Beschränkungen der Teilnehmerzahlen obligatorisch. Sie können sich schon jetzt zu diesen Vorträgen einen Sitzplatz sichern unter anmeldung-rwv-bamberg@t-online.de
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