Ein hochkarätig besetztes Symposium des Deutschen Historischen Museums Berlin beleuchtet am 23. April 2021 zwei der einflussreichsten deutschen Männer des 19. Jahrhunderts gemeinsam.
„Wir sind wie Ausgräber tätig“, sagt Alexander Kluge, einer der vielseitigsten und wichtigsten Intellektuellen hierzulande. „Es ist viel Lava über Marx ausgegossen worden und viel Lava liegt, auch durch eigenes Verschulden, über Wagner.“ Kluge ist mit dabei, wenn das Deutsche Historische Museum Berlin (DHM) in seiner Reihe „Historische Urteilskraft“ am 23. April das Online-Symposium „Marx und Wagner. Der Kapitalismus und das deutsche Gefühl“ veranstaltet. Die Vorträge und Diskussionsrunden, die alle Interessenten als Livestream kostenlos miterleben können, sind gewissermaßen die Ouvertüre zu zwei großen Ausstellungen, die für 2022 in Vorbereitung sind: „Karl Marx und der Kapitalismus“ sowie „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“.
Auf dem Programm stehen acht Vorträge und anschließende Diskussionsrunden (von 14 bis 20.30 Uhr, mit zwei Pausen, Konferenzsprachen Deutsch und Englisch mit Simultanübersetzung). International renommierte Expertinnen und Experten, darunter Gerd Koenen, Christina Morina, Pamela Potter, Leon Botstein, Rahel Jaeggi, Harold James, Alexander Kluge und Thomas Macho, nehmen Karl Marx (1818–1883) und Richard Wagner (1813–1883) in den Blick und sprechen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Die Videoaufzeichnungen werden nach dem Symposium auf dem YouTube-Kanal des DHM zur Verfügung gestellt.
Die Kombination Marx und Wagner irritiert höchstens im ersten Moment. Angesichts ihrer beinahe identischen Lebensdaten, der Parallelen innerhalb dieser Leben und ihrer Wirkung auf das 19., das 20. und anhaltend auch das 21. Jahrhundert ist es jedoch erstaunlich, wie selten sie bislang zusammengedacht worden sind. Für beide ist die Revolution von 1848/49 ein lebenseinschneidendes Erlebnis; beide sind an schließend auf der Flucht und im Exil, Marx in London, Wagner in Zürich. Kurz davor, 1843, hat Marx seine Rezension Zur Judenfrage geschrieben; kurz danach, 1850, verfasste Wagner seinen Artikel Das Judenthum in der Musik. Beider Hauptwerke, Marx’ Kapital und Wagners Ring, werden — das eine näherliegend, das andere vermittelt — auch als antikapitalistische Manifeste gelesen. Bis auf wenige Jahre haben sie die gleiche Welt erlebt, die gleichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche beobachtet, letzten Endes jedoch sehr unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen. Was wird sichtbar, wenn wir Marx und Wagner nun zusammen in den Blick nehmen? In welcher Weise können wir sie historisieren? Und was geschieht, wenn wir dies tun? Für dieses Zusammendenken von Marx und Wagner haben wir uns drei Diskurse herausgegriffen, die für beide prägend sind, an denen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zeigen lassen: Antisemitismus, Entfremdung und Revolution.
Weitere Infos und das ausführliche Programm finden Sie hier. Am 19. April erscheint anlässlich des Symposiums außerdem die dritte Ausgabe des DHM-Magazins „Historische Urteilskraft“. Dort ist unter anderem ein Gespräch zwischen Gerd Koenen und dem Bayreuther „Meistersinger“-Regisseur Barrie Kosky über Wagner und Marx als Revolutionäre abgedruckt. „Nur wenige Persönlichkeiten der Geschichte“, so Kosky, „konnten mit ihren Werken eine derart überzeugte, ja fanatische Gemeinde an Anhängern erwecken: Marxisten und Wagnerianer scheinen sich in ihrem bisweilen kritiklosen Glauben an die Unfehlbarkeit ihres ‚Meisters‘ nicht unähnlich.“ Das Heft kann per Bestellkarte bzw. unter verkauf@dhm.de für 10 € (zzgl. 2 € Versandkosten) bestellt werden.
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