Adventskalender 1871 (3)

Heu­te bleibt die „Er­he­bung über das Da­sein“ lei­der aus. Es do­mi­nie­ren Co­si­mas Sor­gen über ihre Kin­der­schar: Da­nie­la (*12.10.1860), Blan­di­ne (*20.3.1863), Isol­de (*10.4.1865), Eva (*17.2.1867) und Sieg­fried (*6.6.1869).

Ei­nes der Ro­sen­stö­cke-Bil­der von Isol­de, die als wich­ti­ge Er­eig­nis­se im Le­ben ih­res leib­li­chen Va­ters anno 1871 den Fest­spiel­haus­plan, den Kai­ser­marsch und die Her­aus­ga­be sei­ner Ge­sam­mel­ten Schrif­ten fest­hielt. – Vor­la­ge: Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Bayreuth

Sonn­tag 3ten [De­zem­ber 1871] Die Kin­der wer­den sehr ernst­lich vor­ge­nom­men, mit ih­nen ge­weint, ge­be­tet, sie so weit ge­bracht, daß sie mich um Stra­fe bit­ten. (Ne­ben­bei sehr Un­an­ge­neh­mes von Herrn Spie­gel[1] er­fah­ren). Wie ich mit ih­nen spre­che, kommt ein Brief von Hans[2]; er bit­tet mich, die Kin­der die größ­te Zu­rück­hal­tung ge­gen Groß­mutter und Tan­te be­ob­ach­ten zu las­sen, die Fa­mi­lie quä­le ihn (mir die Kin­der zu ent­zie­hen), er ma­che tau­bes Ohr. Dann, daß der Va­ter[3] mei­nen Ent­schluß, mit den Kin­dern zum Pro­tes­tan­tis­mus über­zu­ge­hen,[4] bil­li­ge. Wich­ti­ge Din­ge! Daß die Fa­mi­lie, är­ger­lich dar­über, daß man mir Ach­tung ent­ge­gen ge­tra­gen, mir den Schimpf gern an­tun möch­te und da­bei das In­ter­es­se der Kin­der vor­gibt, das­sel­be gänz­lich au­ßer acht läßt, wun­dert mich nicht; ich bin aber be­trübt dar­über und be­ge­he das gro­ße Un­recht, es R. er­ken­nen zu las­sen! Wie schwach sind wir Ar­men. – In Mainz ent­steht ein Wag­ner-Ver­ein, un­ter der Egi­de des Wein­händ­lers[5] R.’s! In der Mu­si­ka­li­schen Zei­tung steht aus Mün­chen, daß das Or­ches­ter im­mer gut die W.’schen Sa­chen [spielt], da­ge­gen im­mer schlecht die klas­si­schen, es sei dies nicht recht; die gu­ten Leut­chen ver­ges­sen nur das eine, daß R. und Bülow die­se ers­te­ren gut ge­hen­den ein­stu­diert, da­ge­gen die jet­zi­gen Her­ren die klas­si­schen! – Mei­ne Stim­mung hat sich auf R. über­tra­gen, er ist trau­rig. Nach und nach aber er­hei­tern wir uns wie­der, und ich hof­fe zu Gott!

[1] Wil­helm Spie­gel (1824/25–1891), Mu­sik­leh­rer in Zü­rich, von 24. No­vem­ber bis 3. De­zem­ber als Ko­pist en­ga­giert für die Ab­schrift der Or­ches­ter­skiz­ze des 2. Akts „Göt­ter­däm­me­rung“, die Kö­nig Lud­wig II. er­hal­ten soll­te. Was das Un­an­ge­neh­me war, das Co­si­ma von ihm er­fah­ren hat, er­schließt sich nicht, könn­te aber mit den un­ar­ti­gen Kin­dern zu tun ha­ben. Al­ler­dings schrieb die Haus­her­rin schon bei Spie­gels An­kunft: „Kei­ne an­ge­neh­me Be­rei­che­rung un­se­res Hauswesens“.

[2] Hans von Bülow (1930–1894), Ur­auf­füh­rungs­di­ri­gent von „Tris­tan“ und den „Meis­ter­sin­gern, war der ers­te rei­ne Pult­star und Co­si­mas ers­ter Ehe­mann, leib­li­cher Va­ter der Töch­ter Da­nie­la  so­wie Blan­di­ne und nach da­ma­li­ger Recht­spre­chung, die sich ir­gend­wie er­staun­li­cher­wei­se bis heu­te durch­zieht, auch Va­ter der Wag­ner­töch­ter Isol­de und Eva.

[3] Franz Liszt (1811–1886), Kla­vier­vir­tuo­se, Kom­po­nist und Va­ter von Co­si­ma, hat­te 1865 die nie­de­ren Wei­hen er­hal­ten und war als Abbé Liszt zwar ka­tho­li­scher Kle­ri­ker, aber kein Priester.

[4] Dass die gläu­bi­ge Ka­tho­li­kin Co­si­ma mit ih­ren Kin­dern die Re­li­gi­on wech­seln woll­te, war klar, nach­dem am 25. Au­gust 1870 in der re­for­mier­ten Mat­thä­us­kir­che von Lu­zern ihre zwei­te Ehe mit Ri­chard Wag­ner ge­schlos­sen wur­de und un­ter Pfar­rer Tschu­di am 4. Sep­tem­ber auch die nach­träg­li­che Tau­fe des ein­zi­gen Sohns Sieg­fried in Trib­schen er­folgt war. Co­si­mas Kon­ver­si­on fand erst am 31. Ok­to­ber 1872 in Bay­reuth statt. Bei der klei­nen Ze­re­mo­nie in der Stadt­kir­che mit dem pro­tes­tan­ti­schen De­kan Dr. Wil­helm Ditt­mar wa­ren Bür­ger­meis­ter Theo­dor Mun­cker und Ban­kier Fried­rich Feus­tel als Zeu­gen zu­ge­gen, so­wie Wag­ner, mit dem Neu­pro­tes­tan­tin Co­si­ma ge­mein­sam das hei­li­ge Abend­mahl nahm.

[5] Die­ser Wein­händ­ler ist Carl Voltz (1839–1897), der die Lei­tung des Main­zer Wag­ner­ver­eins dann doch lie­ber dem Mu­sik­ver­le­ger Franz Schott über­ließ. Zu­sam­men mit dem Schrift­stel­ler Carl Wil­helm Batz (1853–1894) soll­te Voltz als Wag­ners Thea­ter­agent in den kom­men­den zwölf Jah­ren und noch über Wag­ners Tod hin­aus ein wich­ti­ges Är­ger­nis dar­stel­len. Sie­he Fuß­no­te 1 hier

Quel­len: Co­si­ma Wag­ner: Die Ta­ge­bü­cher: Band I, S. 1562. Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe, S. 34723 (vgl. Co­si­ma-Ta­ge­bü­cher 1, S. 465); Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Band 23 (hg. v. An­dre­as Miel­ke); Da­gny R. Beid­ler: Für Ri­chard Wag­ner! Die „Ro­sen­stö­cke-Bil­der“ sei­ner Toch­ter Isolde.

 

 

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