Abenteuer Bayreuth!

Auch für un­se­ren Sti­pen­dia­ten Wolf­gang Vö­ge­le (Tuba) war es das ers­te Mal: Hier sein Be­richt über die Sti­pen­di­en­ta­ge 2022 in der Festspielstadt.

Wolf­gang Vö­ge­le (vor­ne links) in Vor­freu­de auf sein Fest­spiel­erleb­nis – Sel­fie: Wolf­gang Vögele

Als ich am 19. No­vem­ber 2019 um 09:08 Uhr die Whats­App-Nach­richt mit dem In­halt „Hab dich üb­ri­gens für das Sti­pen­di­um des Ri­chard-Wag­ner-Ver­ban­des Bam­berg vor­ge­schla­gen“ von Hei­ko Trie­be­ner er­hielt, fühl­te ich mich zwar ge­ehrt, wuss­te aber kein biss­chen, was auf mich zu­kom­men wür­de. Die Bay­reu­ther Fest­spie­le wa­ren mir ja durch­aus ein Be­griff. Ich er­in­ner­te mich dar­an, dass un­ser Mu­sik­leh­rer­ehe­paar am Gym­na­si­um ein­mal dort war. Wie sie er­zähl­ten, hat­ten sie wohl fast acht Jah­re auf die Kar­ten ge­war­tet. Ein­mal bin ich im Ju­do­trai­ning mit mei­nem Part­ner, sa­gen wir, kol­li­diert, was eine recht hef­tig blu­ten­de Platz­wun­de an der Au­gen­braue nach sich zog. Den Weg zum Haus­arzt hät­te ich mir spa­ren kön­nen. „Oh, der hat heu­te kei­nen Dienst. Der ist in Bay­reuth bei den Fest­spie­len!“ war die Ant­wort sei­ner Frau. Mein Tu­ba­leh­rer wäh­rend der Schul­zeit hat im­mer wie­der von den Wag­ner­opern ge­schwärmt, al­ler­dings war er kein Fan von Klapp­sit­zen, we­nig Bein­frei­heit und schwit­zen­den Nach­barn, wes­halb er auch nie selbst in Bay­reuth war. Mein Vor­wis­sen über die Opern von Ri­chard Wag­ner wie auch die Um­stän­de ih­rer Dar­bie­tung be­lief sich also im We­sent­li­chen auf jahr­zehn­te­lan­ges War­ten auf Kar­ten, bar­ba­ri­sche Um­stän­de am Platz und die of­fen­bar auch ih­nen ge­schul­de­te zu­neh­men­de Ver­schär­fung des Landärztemangels.

Nach­dem uns die Pan­de­mie nicht nur ein­mal, son­dern zwei­mal ei­nen Strich durch die Rech­nung ge­macht hat, war es aber am 17. Au­gust 2022 end­lich so weit. In­zwi­schen – zwei­ein­halb Jah­re sind viel Zeit! – deut­lich Wag­ner-kom­pe­ten­ter mach­te ich mich auf nach Bay­reuth. Dort an der Ju­gend­her­ber­ge an­ge­kom­men schil­der­ten mir zu­nächst mei­ne Zim­mer­kol­le­gen Hor­ror­ge­schich­ten über ihre stun­den­lan­ge An­rei­se mit der Bahn un­ter Um­stän­den, die de­nen im Fest­spiel­haus um nichts nach­stän­den. Mein In­stinkt, eine Kis­te hei­mi­sches Bier ein­zu­pa­cken, er­wies sich als gold­rich­tig. Was bricht bes­ser das Eis als die Fra­ge  „Mogst aa a  Seid­la?“ Der an­schlie­ßen­de Frän­ki­sche Abend bot bei Steak, Brat­wurst und Bier wei­te­re Ge­le­gen­heit, sei­ne Mit­sti­pen­dia­ten ken­nen zu ler­nen und ins Ge­spräch zu kommen.

Beim Frän­ki­schen Abend ge­mein­sam mit Va­len­tin An­ner­bo (Zim­mer­kol­le­ge und Trom­pe­ten­stu­dent bei Mat­thi­as Höfs in Ham­burg) – Foto: © Richard-Wagner-Stipendienstiftung 

Viel zu früh tags dar­auf wur­den wir an der Vil­la Wahn­fried of­fi­zi­ell be­grüßt und durf­ten dem Vor­trag „Bay­reuth für Ein­stei­ger“ von Dr. Sven Fried­rich im Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um lau­schen. Für uns Sti­pen­dia­ten, de­nen die Feu­er­tau­fe erst be­vor­stand, klan­gen sei­ne Aus­füh­run­gen recht be­un­ru­hi­gend. Prä­gend wa­ren Aus­sa­gen wie: „Wer wäh­rend der Vor­stel­lung nicht min­des­tens zwei Li­ter Was­ser ver­liert, ist ein Schwäch­ling!“ oder „Das Mit­lei­den auf den or­tho­pä­disch wert­vol­len Sitz­mö­beln ge­hört eben­so zum Ge­samt­kunst­werk wie die Hand­lung auf der Büh­ne oder die Musik!“

Ein­stei­ger­vor­trag mit Wahn­fried-Di­rek­tor Sven Fried­rich im Mu­se­ums­neu­bau – Foto: Wolf­gang Vögele

Ei­ni­ger­ma­ßen des­il­lu­sio­niert, aber trotz­dem vol­ler Vor­freu­de war­te­ten wir nach­mit­tags auf un­se­ren Trans­fer zum Fest­spiel­haus und dort auf die ers­te Fan­fa­re vom Bal­kon. Spä­tes­tens die Akus­tik im Fest­spiel­haus mach­te alle Zwei­fel wett. Die ers­ten Ak­kor­de der Ou­ver­tü­re zu „Tann­häu­ser“ klan­gen wie aus ei­ner an­de­ren Welt. Das Or­ches­ter un­ter Axel Ko­ber spielt – für mei­ne be­schei­de­nen An­sprü­che – eine tol­le Vor­stel­lung. Eben­so sehr ge­fiel mir die bun­te und in­no­va­ti­ve In­sze­nie­rung von To­bi­as Krat­zer, ob­wohl sich da­bei die Geis­ter un­ter den Sti­pen­dia­ten er­heb­lich schie­den. Ein Blick auf das Pro­gramm des Fol­ge­ta­ges ge­bot mir, noch et­was lä­diert vom frän­ki­schen Abend am Tag zu­vor, mich zeit­nah ins Bett zu begeben.

Blick in die vol­len Rei­hen im Zuschauerraum …
… und auf das gern fo­to­gra­fier­te Mo­tiv aus der ers­ten „Tannhäuser“-Pause – Fo­tos: Wolf­gang Vögele

Um 9 Uhr war für uns der Emp­fang beim Ober­bür­ger­meis­ter Bay­reuths im neu­en Rat­haus der Stadt Bay­reuth an­be­raumt. Im An­schluss folg­te eine Stadt­füh­rung durch Bay­reuth. Schnell zeig­te sich: Bay­reuth ist bei wei­tem nicht so schön, präch­tig und kul­tu­rell viel­fäl­tig wie mei­ne Wahl­hei­mat Bam­berg, denn au­ßer ei­nen Mo­nat Wag­ner und läp­pi­sche vier Braue­rei­en hat der Ver­wal­tungs­sitz des Re­gie­rungs­be­zir­kes Ober­fran­ken we­nig zu bie­ten. Nach­mit­tags ging es wie­der per Bus auf den Grü­nen Hü­gel. Die Auf­füh­rung des „Lo­hen­grin“ war ins­ge­samt sehr ge­lun­gen, lei­der hat­te der So­lo­hor­nist nicht sei­nen bes­ten Tag. Die In­sze­nie­rung von Yu­val Sharon ge­fiel mir nicht. Mir er­schloss sich bis zu­letzt die Kern­bot­schaft nicht. Klas­si­sches Re­gie­thea­ter im schlech­tes­ten Sin­ne. Den Abend lie­ßen wir bei Piz­za und Bier im Foy­er der Ju­gend­her­ber­ge aus­klin­gen. Der ge­sel­li­ge Teil darf bei solch hoch­kul­tu­rel­len Ver­an­stal­tun­gen ja auch nicht zu kurz kommen!

Der Sams­tag be­gann aus­nahms­wei­se nicht mit ei­nem Emp­fang, son­dern mit ei­nem dank zwei Jah­ren Pan­de­mie hin­läng­lich be­kann­ten On­line­vor­trag. Mit dem Rah­men­pro­gramm war es das dann auch schon, also mach­ten wir uns ei­nen schö­nen Tag in der Bay­reu­ther In­nen­stadt. Ei­nen ob­li­ga­to­ri­scher Be­such im Mark­gräf­li­chen Opern­haus, ein def­ti­ges Mit­tag­essen und drei Ku­geln Eis spä­ter be­ga­ben wir uns zu­rück zur Ju­gend­her­ber­ge und be­rei­te­ten uns auf das Abend­pro­gramm vor. „Der flie­gen­de Hol­län­der“ war im Ge­gen­satz zu „Lo­hen­grin“ deut­lich kör­per­li­cher und werk­treu­er in­sze­niert. Das Or­ches­ter un­ter Oksa­na Ly­niv prä­sen­tier­te ein in­ten­si­ves Klang­er­leb­nis, wel­ches den vol­len dy­na­mi­schen Um­fang des Or­ches­ters aus­schöpf­te. Im An­schluss mach­ten wir eine Tour durch die Lo­ka­li­tä­ten Bay­reuths, wel­che sich bis in die frü­hen Mor­gen­stun­den aus­deh­nen sollte.

Nächs­ter Pro­gramm­punkt war die Kranz­nie­der­le­gung am Gra­be Ri­chard Wag­ners. Dan­kens­wer­ter­wei­se erst um halb fünf am Sonn­tag. Beim drit­ten fi­na­len Emp­fang ka­men wir bei bes­tem Wet­ter, Sekt und Häpp­chen mit Herrn Dr. Fried­rich ins per­sön­li­che Ge­spräch. Er leg­te uns ei­nen Be­such in Bay­reuth in den Win­ter­mo­na­ten nahe, denn da lernt man den Charme der Stadt erst wirk­lich ken­nen. Das öf­fent­li­che Le­ben kommt prak­tisch zum Er­lie­gen und durch die Stra­ßen be­wegt man sich nur, wenn man un­be­dingt muss. Im An­schluss ging es zum Eu­ro­pa­saal zum Sti­pen­dia­ten­abend, wo eine klei­ne Aus­wahl von Mu­si­ke­rin­nen und Mu­si­kern aus Sti­pen­dia­ten-Rei­hen ihr Bes­tes ge­ben durf­ten. Als be­son­de­rer Gast war der Bass­ba­ri­ton An­dre­as Hörl ge­la­den, wel­cher, mein ganz per­sön­li­cher Hö­he­punkt des Abends, das Schluss­stück „Wie schön ist doch die Mu­sik, aber wie schön erst, wenn sie vor­bei ist!“ aus der Ri­chard Strauss-Oper „Die schweig­sa­me Frau“ zum Bes­ten gab. Das an­schlie­ßen­de Bei­sam­men­sein run­de­te den Abend ab. Lei­der muss­te ich be­reits früh ab­rei­sen, die an­schlie­ßen­de Open Stage wäre si­cher ein Oh­ren­schmaus gewesen!

Bas­sist An­dre­as Hörl beim In­ter­na­tio­na­len Sti­pen­dia­ten­kon­zert – Foto: © Richard-Wagner-Stipendienstiftung 

Fünf er­eig­nis­rei­che, an­stren­gen­de, span­nen­de und auf­re­gen­de Tage be­zie­hungs­wei­se Näch­te spä­ter kam ich wie­der da­heim an. Der All­tag hat­te mich wie­der. Das Er­leb­nis Bay­reuth mit al­lem, was für ei­nen eher un­be­darf­ten Sti­pen­dia­ten wie mich dazu ge­hört, war vor­über. Erst Wo­chen spä­ter, bei ei­nem aus­führ­li­chen Te­le­fo­nat mit ei­nem Mit­sti­pen­dia­ten, wur­de mir klar, dass nicht nur die Opern­auf­füh­run­gen und de­ren ein­zig­ar­ti­ger Reiz und de­ren Qua­li­tät, son­dern auch die Ge­mein­schaft, die Freu­de, die tief­grün­di­gen Ge­sprä­che, die in­ter­es­san­ten Leu­te und die lan­gen Näch­te eben­so zum Aben­teu­er Bay­reuth gehören.

Aben­teu­er Bay­reuth! – Foto: Wolf­gang Vögele