Von Richard Wagner gibt es sogar ein Karnevalslied mit drei Strophen: Er ließ es in der Hoffnung auf Aufführungen seiner Oper „Das Liebesverbot“ in Paris eigens veröffentlichen.
Bekanntlich findet sich bei Richard Wagner immer etwas Passendes zu einem Datum, einem Ereignis – zum Beispiel auch zum Karneval. Über seine Große komische Oper in zwei Akten „Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo“ schreibt er in „Eine Mittheilung an meine Freunde“ von 1851 (veröffentlicht im vierten Band seiner Sämtlichen Schriften und Dichtungen), dass er den Stoff zu der 1836 in Magdeburg uraufgeführten Oper Shakespeare’s „Measure for Measure“ („Maß für Maß“) entnahm. Und weiter:
Isabella war es, die mich begeisterte: sie, die als Novize aus dem Kloster schreitet, um von einem hartherzigen Statthalter Gnade für ihren Bruder zu erflehen, der wegen des Verbrechens eines verbotenen, und dennoch von der Natur gesegneten Liebesbundes mit einem Mädchen, nach einem drakonischen Gesetze zum Tode verurtheilt ist. Isabella’s keusche Seele findet vor dem kalten Richter so triftige Gründe zur Entschuldigung des verhandelten Verbrechens, ihr gesteigertes Gefühl weiß diese Gründe mit so hinreißender Wärme vorzutragen, daß der strenge Sittenwahrer selbst von leidenschaftlicher Liebe zu dem herrlichen Weibe erfaßt wird. Diese plötzlich entflammte Leidenschaft äußert sich bei ihm dahin, daß er die Begnadigung des Bruders um den Preis der Liebesgewährung von Seiten der schönen Schwester verheißt. Empört durch diesen Antrag, greift Isabella zur List, um den Heuchler zu entlarven und den Bruder zu retten. Der Statthalter, dem sie mit Verstellung zu gewähren versprochen hat, findet dennoch für gut, seine Begnadigungsverheißung nicht zu halten, um vor einer unerlaubten Neigung sein strenges richterliches Gewissen nicht aufzuopfern. – Shakespeare schlichtet die entstandenen Konflikte durch die öffentliche Zurückkunft des bis dahin im Verborgenen beobachtenden Fürsten: seine Entscheidung ist eine ernste und begründet sich auf das ‚Maaß für Maaß‘ des Richters. Ich dagegen löste den Knoten ohne den Fürsten durch eine Revolution. Den Schauplatz hatte ich nach der Hauptstadt Siciliens verlegt, um die südliche Menschenhitze als helfendes Element verwenden zu können; vom Statthalter, einem puritanischen Deutschen, ließ ich auch den bevorstehenden Karneval verbieten; ein verwegener junger Mann, der sich in Isabella verliebt, reizt das Volk auf, die Masken anzulegen und das Eisen bereit zu halten: ‚wer sich nicht freut bei uns’rer Luft, dem stoßt das Messer in die Brust!‘ Der Statthalter, von Isabella vermocht selbst maskirt zum Stelldichein zu kommen, wird entdeckt, entlarvt und verhöhnt, – der Bruder, noch zur rechten Zeit vor der vorbereiteten Hinrichtung, gewaltsam befreit; Isabella entsagt dem Klosternoviziat und reicht jenem wilden Karnevalsfreunde die Hand: in voller Maskenprozession schreitet Alles dem heimkehrenden Fürsten entgegen, von dem man voraussetzt, daß er nicht so verrückt wie sein Statthalter sei.
Vor und nach der missglückten Uraufführung in Magdeburg bemühte sich Wagner erfolglos um Aufführungen in anderen Städten – zunächst in Leipzig, dann in Berlin, Braunschweig und Breslau. Nicht zu vergessen Paris, denn an die dortige Opéra comique hatte er schon länger gedacht. So schickte er Anfang 1837 die Partitur an Eugène Scribe und Giacomo Meyerbeer mit der Bitte, sich für eine Produktion einzusetzen und schuf eigens einen Klavierauszug von Luzios Karnevalslied, das unter Hinweis auf Pariser Pläne in der Musikzeitung „Europa“ veröffentlicht wurde. Die dritte Strophe lautet:
In Jubelrausch und Hochgenuß,
tralalalalala!
Ertränkt die goldne Freudenzeit,
tralalalalala!
Zum Teufel fahre der Verdruß,
la!
Und hin zur Hölle Traurigkeit,
la!
Wer sich nicht freut im Carneval,
dem stoßt das Messer in die Brust!
Tralalala, herbei, herbei!
Ihr Leute all’, tralalala!
Es war zum Spaß, es war zur Lust!
Die von Wagner selbst angefertigte und von Théophile Marion Dumersan überarbeitete Rohübersetzung ins Französische war aber trotz aller weiteren Bemühungen erstmal für die Katz. „Wie es scheint“, heißt es im Wagner Werkverzeichnis, „gab Wagner das Werk im Sommer 1840 endgültig auf.“ Was erfreulicherweise nicht heißt, dass es damit verloren war. Spätestens die Inszenierung von Aron Stiehl im Bayreuther Jubiläumsfestspielsommer 2013, die als Koproduktion mit der Oper Leipzig dort zuletzt 2022 gezeigt wurde, hat das Publikum schlichtweg begeistert.
Und sie widerlegte Wagners Diktum von der „Jugendsünde“, welche dieser bemüht hatte, als er die Originalpartitur an Weihnachten 1866 König Ludwig II. schenkte und die Titelseite mit folgender Widmung versah: „Ich irrte einst und möcht’ es nun verbüßen; wie mach’ ich mich der Jugendsünde frei? Ihr Werk leg’ ich demüthig Dir zu Füßen, dass Deine Gnade ihm Erlöser sei.“ Die handschriftliche Partitur, die sich von 1939 bis 1945 im Besitz von Adolf Hitler befand, ist verschollen. Vom Original wurde von fremder Hand eine 606-seitige Abschrift gemacht, die am 18. Januar 1894 an die Vermögensverwaltung von König Otto I. (1848–1916), dem schon lange offiziell als geisteskrank eingestuften Bruder von Ludwig II., abgeliefert wurde. Womit der Schlusssatz von Wagners Kurztext – in voller Maskenprozession schreitet Alles dem heimkehrenden Fürsten entgegen, von dem man voraussetzt, daß er nicht so verrückt wie sein Statthalter sei – doch noch eine spezielle Wendung bekommt.
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