„Vereinswirtschaft“ und „Genossenschaft“

Ein Brief Ri­chard Wag­ners vom 28. Sep­tem­ber 1882 an Hans von Wolz­o­gen be­leuch­tet sein kri­ti­sches Ver­hält­nis zu den ei­ge­nen Par­tei­gän­gern in den Wag­ner- und Patronatsvereinen.

Die be­rühm­te Skiz­ze „R. le­send“ von Paul von Jouk­wos­ky am 12. Fe­bru­ar 1883 in Co­si­mas letz­tem Ein­trag in ih­rer Ta­ge­buch­klad­de vor Wag­ners Tod am 13. Fe­bru­ar 1883 – Foto: Ul­ri­ke Müller

Der nim­mer­mü­de for­schen­de Frank Piontek hat mir zu Weih­nach­ten eine Zu­sam­men­stel­lung von letz­ten Mit­tei­lun­gen Ri­chard Wag­ners aus Ve­ne­dig zu­kom­men las­sen, aus de­nen mir als ers­tes ein Brief an Hans von Wolz­o­gen ins Auge fiel. Er spie­gelt das gro­ße Un­be­ha­gen, das die Pa­tro­ne und Wag­ner­ver­ei­ne dem seit 18. Sep­tem­ber 1882 im Pa­laz­zo Ven­d­ra­min in Ve­ne­dig woh­nen­den Wag­ner be­rei­te­ten. Was sich selbst­ver­ständ­lich auch in meh­re­ren Ta­ge­buch-Ein­tra­gun­gen von Co­si­ma Wag­ner spiegelt:
10. Sep­tem­ber 1882 „Die Fra­ge des W-Ver­ei­nes, durch Wolz.* und Schön** neu auf­ge­bracht, ist ihm pein­lich, er wünscht die denk­bar mög­lichs­te Vereinfachung.“
12. Sep­tem­ber 1882 „An Freund Wolz. schickt er sein Ul­ti­ma­tum: Dar­in wer­den die bis­he­ri­gen Pa­tro­nats­mit­glie­der auf­ge­for­dert, die Bay­reu­ther Blät­ter für jähr­lich 20 Mark zu abon­nie­ren, wo­durch sie das An­recht auf ei­nen Platz bei den Fest­spie­len er­wer­ben, und die Sti­pen­di­en-Stif­tung zu unterstützen.“
27. Sep­tem­ber 1882 „Wie die Kin­der sich zu­rück­ge­zo­gen, wen­de ich das Ge­spräch zu der Ver­eins-An­ge­le­gen­heit, über wel­che Wolz. mich befragt.“
28. Sep­tem­ber 1882 „R. ist un­ru­hig in der Nacht und meint, un­ser letz­tes The­ma habe ihn auf­ge­regt. Er schreibt in der Frü­he an Wolz. und teilt mir den an­ge­fan­ge­nen Brief mit. […] Dann be­spre­chen wir sei­nen Brief an Wolz., von wel­chem es ihm eine Be­frie­di­gung ist, ihn ge­schrie­ben zu haben.“
*Wolz. = Hans Frei­herr von Wolz­o­gen (1848–1938), Li­te­rat, Li­bret­tist, Mu­sik­schrift­stel­ler so­wie Her­aus­ge­ber und Re­dak­teur der „Bay­reu­ther Blät­ter“, die er von de­ren Grün­dung 1878 bis zu sei­nem Tod, das heißt sechs Jahr­zehn­te lang, re­di­gier­te und zu­neh­mend an­ti­se­mi­tisch, deutsch-völ­kisch und schließ­lich na­tio­nal­so­zia­lis­tisch ausrichtete.
**Schön = Fried­rich Schoen (1849–1941), Groß­in­dus­tri­el­ler und Mä­zen, ab 1879 Vor­sit­zen­der des Bay­reu­ther Pa­tro­nats­ver­eins, den Wag­ner im Mai 1882 zur Grün­dung der „Bay­reu­ther Sti­pen­di­en­stif­tung“ auf­ge­ru­fen hatte.

Hier der Wort­laut des Briefs an von Wolz­o­gen, der im Ori­gi­nal in der On­line-Samm­lung des Bay­reu­ther Wag­ner­mu­se­ums zu fin­den ist.

Lie­ber Freund!
Das ver­steht sich von selbst: die Ver­güns­ti­gung von 20 M.[ark] für Abon­ne­ment und Thea­ter­platz ist nur den bis­he­ri­gen Pa­tro­nats­ver­eins-Mit­glie­dern ge­bo­ten; neue Abon­nen­ten neh­men Sie für den ein­fa­chen Abon­ne­ments­preis an. Schön sei ge­dankt, dass er auf den schmä­li­chen Miß­brauch auf­merk­sam ge­macht hat, durch wel­chen je­der we­nig-zah­len-Wol­len­de zu un­se­rem Ge­nos­sen ge­wor­den wäre. Wir ge­wäh­ren jene Ver­güns­ti­gung aus­schließ­lich nur den al­ten Ver­eins­mit­glie­dern. –
Über­le­gen Sie sich noch­mals „Ge­nos­sen­schaft“. Ich fin­de es sinn­los: alle Zei­tungs­abon­nen­ten, z.B. die der Na­tio­nal­zei­tung, kön­nen sich eine „Ge­nos­sen­schaft“ nen­nen. Zu was ein Name, eine Ver­eins-Mar­ke? Mir ist nie ein­ge­fal­len ei­nen Ver­ein zu grün­den; ganz hin­ter mei­nem Rü­cken grün­de­te He­ckel* ei­nen ers­ten Wag­ner-Ver­ein, d.h. eine Ver­ei­ni­gung sol­cher, die so wohl­feil wie mög­lich zu Kar­ten für die Fest­spie­le kom­men woll­ten. – Hät­te ich die­sen Ver­ei­nen von vorn­her­ein kei­nen Werth bei­gemes­sen, so hät­te ich be­reits von 1877 an den Ring des Ni­be­lun­gen all­jähr­lich für ein zah­len­des Pu­bli­kum auf­ge­führt, und nie hät­te ich wie­der nö­thig ge­habt, sol­chen Är­ger zu er­le­ben, wie ich jetzt ihn von Sei­ten sol­cher Ver­eins-Lum­pen er­fah­ren muss.
Die gänz­li­che Im­po­tenz sol­cher Ver­eins­wirt­schaft ha­ben wir nun wie­der er­fah­ren, als ich nur durch die Hil­fe des Kö­nigs dazu ge­lang­te, den Par­si­fal über­haupt auf­zu­füh­ren, eine Fort­dau­er der Auf­füh­run­gen mir aber durch das zah­len­de Pu­bli­kum si­chern muss­te, also durch Auf­ge­bung der gan­zen stol­zen Idee, für wel­che ich einst ein Pa­tro­nat ausrief.
Gänz­lich un­prak­tisch im ge­schäft­li­chen Sin­ne müss­te mir nun aber ein Ver­ein – oder eine Ge­nos­sen­schaft – im theo­re­tisch-mo­ra­li­schen Sin­ne durch­aus ver­werf­lich dün­ken; etwa solch ein Aus­schuss, der nach mei­nem Tode, die Fest­spie­le statt mei­ner an­ord­nen und lei­ten soll­te! Ich bin nun 70 Jah­re alt ge­wor­den, und kann nicht ei­nen ein­zi­gen Men­schen be­zeich­nen, der in mei­nem Sin­ne ir­gend ei­nem der bei solch ei­ner Auf­füh­rung Bet­hei­lig­ten, sei es den Sän­gern, dem Or­ches­ter­di­ri­gen­ten, dem Re­gis­seur, dem Ma­schi­nis­ten, dem De­co­ra­teur oder dem Cos­tu­mier das Rich­ti­ge sa­gen könn­te. Ja, ich weiß fast kei­nen, der nur auch im Urt­heil über Ge­lun­ge­nes oder Nicht­ge­lun­ge­nes mit mir zu­sam­men­tref­fe, so dass ich mich auf das sei­ni­ge ver­las­sen konn­te. Ja, ich muss er­fah­ren dass das Urt­heil mei­ner Freun­de sich de­mons­tra­tiv ge­gen das mei­ni­ge aus­spricht, z.B. bei ei­ner Hul­di­gung für „uns­re Brandt**“ oder: „Kundry“, wel­cher ich, da sie nun ein­mal star­ke Ge­bre­chen durch Ueber­trei­bun­gen je­der Art zu ver­de­cken su­chen muss, mich we­nigs­tens be­müh­te, Cor­rekt­heit im Ge­sang und der Spra­che bei­zu­brin­gen, was aber ganz un­mög­lich blieb, da sie ihr dumpf­s­äu­seln­des (th-eng­lisch) statt S sich nicht mehr ab­ge­wöh­nen konn­te, die End­syl­ben fort­wäh­rend ver­schluck­te, die äus­sers­ten Ac­cen­te auf Kos­ten der Mit­tel­ac­cen­te her­vor­stiess, und so­mit die ers­ten Be­din­gun­gen für dra­ma­ti­schen Ge­sang, Deut­lich­keit u. Ver­ständ­lich­keit, nicht er­fül­len konn­te. Aber – so et­was muss un­ser Ei­ner er­le­ben, dass „uns­re Brandt“ ge­fei­ert wird, wäh­rend ich in un­säg­li­chem Miss­muth über ihre Dar­stel­lung lei­de. – Nun, dies als ein Bei­spiel da­von, dass ich eben un­be­greif­lich al­lein, al­lein ste­he mit Kennt­niss, Urt­heil, ja – ein­fa­cher Empfindung!
Also – ein nach mei­nem Tode ein­tre­ten­des, viel­leicht schon bei mei­nen letz­ten Leb­zei­ten mich lei­ten­des Com­mi­té will ich nicht! Und so­mit auch we­der Ver­ein noch – !
Liebs­ter Freund, ich glau­be mit mei­nem Vor­schla­ge für die Blät­ter das Rich­ti­ge ge­trof­fen zu ha­ben. Hät­te ich sie für mich al­lein her­aus­ge­ge­ben und re­di­girt, jetzt wür­de ich sie auf­ge­ben, da ich in ih­nen etwa Al­les ge­sagt habe was ich zur Er­gän­zung mei­ner frü­he­ren Ar­bei­ten noch zu sa­gen hat­te – was ich sonst noch zu sa­gen ha­ben könn­te, führt mich über den ers­ten Vor­satz hin­aus. Herz­lich soll es mich freu­en, von Ih­nen u. Ih­rem Freun­de das neue Feld wei­ter ge­pflegt zu se­hen, wo­bei ich eben nur noch hin­zu­tre­ten kann. Hat „Bay­reuth“ den Weg ge­wie­sen, so blei­be es bei die­sem Na­men; eine „Ge­nos­sen­schaft“ hier­für zu fin­den, ist kühn an­zu­neh­men, wenn wir be­ach­ten wie we­ni­ge un­ter uns selbst sich nur als Ge­nos­sen füh­len. Nun aber will ich so­wohl den B. Bl.n nüt­zen, als auch den bis­he­ri­gen Ver­eins­ge­nos­sen mich rück­sichts­voll er­wei­sen. Bei­des wird durch die Aus­füh­rung mei­nes Vor­schla­ges erreicht. 
Auch grün­den wir so­mit ei­nen Mit­tel­preis für das Entré: ich den­ke wir las­sen in Zu­kunft auf der obe­ren Gal­le­rie 5 M. zah­len, ein Theil des Par­terres – Abon­nen­ten der B. Bl. 12 M. Das grös­se­re Pu­bli­kum zahlt dort 30 M. (mit Modifikationen.)
– Am meis­ten Gu­tes ver­spre­che ich mir von der Sti­pen­di­en­stif­tung: sie wird die ei­gent­li­che Wohlt­hä­te­rin sein, und mit al­len Kräf­ten wer­de ich sie un­ter­stüt­zen, so­bald diess mög­lich wird selbst mit un­se­re Einnahmen.
Nun seg­ne Sie Gott! Ich su­che zu ei­ni­ger Ruhe zu kom­men, was, so sehr Noth es mir thut, doch nur sehr un­voll­kom­men noch ge­lingt. Mit den herz­lichs­ten Grü­ßen und Wün­schen ver­blei­be ich
Ihr sehr ergebener
Rich. Wag­ner
Ve­ne­dig. 28. Sept. 82. Pa­laz­zo Ven­d­ra­min. Gran Canale

*He­ckel = Emil He­ckel (1831–1903), In­stru­men­ten- und Mu­si­ka­li­en­händ­ler und Ver­le­ger in Mann­heim, Grün­der des ers­ten Wagnervereins
** Brandt = Ma­ri­an­ne Brandt (1842–1921), ös­ter­rei­chi­sche Sän­ge­rin, die 1882 in Bay­reuth als Kundry mit Ama­lie Ma­te­r­na und The­re­se Mal­ten alternierte

In Co­si­ma Wag­ners Ta­ge­bü­chern taucht Hans von Wolz­o­gen da­nach noch häu­fi­ger auf, un­ter an­de­rem, weil er in den Bay­reu­ther Blät­tern nicht im­mer Wag­ners Schreib­wei­se ver­wen­det. Am 18. No­vem­ber sagt Wag­ner we­nig schmei­chel­haft in Be­zug auf ihn: „Wir wer­den Mühe ha­ben, ihn in die ers­te Eta­ge zu brin­gen“. Das „Wolz.“ in die­sem Ta­ge­buch­ein­trag wur­de üb­ri­gens von frem­der Hand ge­tilgt, wo­bei an­zu­neh­men ist, dass die­se „Kor­rek­tur“ von Wag­ners Toch­ter Eva Cham­ber­lain stammt. Ver­mut­lich hat sie auch den Ta­ge­buch­ein­trag vom 9. Fe­bru­ar 1883 „be­ar­bei­tet“:
Abends spricht R. über sei­ne* Par­tei­gän­ger, die wie ge­macht sei­en, um die Ge­dan­ken, die er aus­spricht, der Lä­cher­lich­keit preis­zu­ge­ben. (Er nimmt Stein** aus). Er sagt zu Jouk.,*** daß er nie­mals dar­an ge­dacht ha­ben wür­de, daß die Blät­ter mehr als zwei Jah­re dau­ern wür­den; er über­legt es sich, wie es mit Wolz. wer­den soll. Und schließ­lich be­klagt er es laut, daß er Wahn­fried ge­grün­det, auch die Fest­spie­le schei­nen ihm absurd! … 
*Von frem­der Hand ab­ge­än­dert in „ei­ni­ger seiner“
**Stein = Karl Edu­ard Hein­rich Frei­herr von Stein zu Nord- und Ost­heim  (1857–1887), Phi­lo­soph und Schrift­stel­ler (Pseud­onym Ar­mand Pen­sier), 1879/80 Haus­leh­rer von Sieg­fried Wag­ner, an­schlie­ßend Pri­vat­do­zent in Hal­le. Im Ta­ge­buch­ein­trag da­nach von and­rer Hand ein­ge­fügt; „u. W.“ (= Wolzogen).
***Jouk. = Paul von Jou­kow­sky (1845–1912), eigtl. Pa­wel Was­sil­je­witsch Schu­kowk­ski, Ma­ler und „Parsifal“-Bühnenbildner 1882, lern­te Wag­ner An­fang 1880 in Nea­pel ken­nen, zog nach Bay­reuth und wur­de ein in­ti­mer Freund der Fa­mi­lie, de­ren Mit­glie­der er im­mer wie­der por­trä­tier­te, so un­ter an­de­rem das von Wag­ner ge­wünsch­te Auf­trags­werk „Die hei­li­ge Fa­mi­lie“. Un­ter Wag­ne­ria­nern mach­te J. sich spä­tes­tens am Vor­abend von Wag­ners Tod in Ve­ne­dig ge­wis­ser­ma­ßen un­sterb­lich, denn er soll­te am 12. Fe­bru­ar 1883 im Pa­laz­zo Ven­d­ra­min, wäh­rend der Kom­po­nist aus Fou­qués „Un­di­ne“ vor­las, in ei­ner Ta­ge­buch­klad­de Co­si­mas die be­rühm­te Skiz­ze R le­send an­fer­ti­gen, das letz­te Bild­nis des le­ben­den Wag­ner. Bei Wag­ners Be­er­di­gung am 16. Fe­bru­ar 1883 fun­gier­te er als Sargträger.

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