Ein Brief Richard Wagners vom 28. September 1882 an Hans von Wolzogen beleuchtet sein kritisches Verhältnis zu den eigenen Parteigängern in den Wagner- und Patronatsvereinen.
Der nimmermüde forschende Frank Piontek hat mir zu Weihnachten eine Zusammenstellung von letzten Mitteilungen Richard Wagners aus Venedig zukommen lassen, aus denen mir als erstes ein Brief an Hans von Wolzogen ins Auge fiel. Er spiegelt das große Unbehagen, das die Patrone und Wagnervereine dem seit 18. September 1882 im Palazzo Vendramin in Venedig wohnenden Wagner bereiteten. Was sich selbstverständlich auch in mehreren Tagebuch-Eintragungen von Cosima Wagner spiegelt:
10. September 1882 „Die Frage des W-Vereines, durch Wolz.* und Schön** neu aufgebracht, ist ihm peinlich, er wünscht die denkbar möglichste Vereinfachung.“
12. September 1882 „An Freund Wolz. schickt er sein Ultimatum: Darin werden die bisherigen Patronatsmitglieder aufgefordert, die Bayreuther Blätter für jährlich 20 Mark zu abonnieren, wodurch sie das Anrecht auf einen Platz bei den Festspielen erwerben, und die Stipendien-Stiftung zu unterstützen.“
27. September 1882 „Wie die Kinder sich zurückgezogen, wende ich das Gespräch zu der Vereins-Angelegenheit, über welche Wolz. mich befragt.“
28. September 1882 „R. ist unruhig in der Nacht und meint, unser letztes Thema habe ihn aufgeregt. Er schreibt in der Frühe an Wolz. und teilt mir den angefangenen Brief mit. […] Dann besprechen wir seinen Brief an Wolz., von welchem es ihm eine Befriedigung ist, ihn geschrieben zu haben.“
*Wolz. = Hans Freiherr von Wolzogen (1848–1938), Literat, Librettist, Musikschriftsteller sowie Herausgeber und Redakteur der „Bayreuther Blätter“, die er von deren Gründung 1878 bis zu seinem Tod, das heißt sechs Jahrzehnte lang, redigierte und zunehmend antisemitisch, deutsch-völkisch und schließlich nationalsozialistisch ausrichtete.
**Schön = Friedrich Schoen (1849–1941), Großindustrieller und Mäzen, ab 1879 Vorsitzender des Bayreuther Patronatsvereins, den Wagner im Mai 1882 zur Gründung der „Bayreuther Stipendienstiftung“ aufgerufen hatte.
Hier der Wortlaut des Briefs an von Wolzogen, der im Original in der Online-Sammlung des Bayreuther Wagnermuseums zu finden ist.
Lieber Freund!
Das versteht sich von selbst: die Vergünstigung von 20 M.[ark] für Abonnement und Theaterplatz ist nur den bisherigen Patronatsvereins-Mitgliedern geboten; neue Abonnenten nehmen Sie für den einfachen Abonnementspreis an. Schön sei gedankt, dass er auf den schmälichen Mißbrauch aufmerksam gemacht hat, durch welchen jeder wenig-zahlen-Wollende zu unserem Genossen geworden wäre. Wir gewähren jene Vergünstigung ausschließlich nur den alten Vereinsmitgliedern. –
Überlegen Sie sich nochmals „Genossenschaft“. Ich finde es sinnlos: alle Zeitungsabonnenten, z.B. die der Nationalzeitung, können sich eine „Genossenschaft“ nennen. Zu was ein Name, eine Vereins-Marke? Mir ist nie eingefallen einen Verein zu gründen; ganz hinter meinem Rücken gründete Heckel* einen ersten Wagner-Verein, d.h. eine Vereinigung solcher, die so wohlfeil wie möglich zu Karten für die Festspiele kommen wollten. – Hätte ich diesen Vereinen von vornherein keinen Werth beigemessen, so hätte ich bereits von 1877 an den Ring des Nibelungen alljährlich für ein zahlendes Publikum aufgeführt, und nie hätte ich wieder nöthig gehabt, solchen Ärger zu erleben, wie ich jetzt ihn von Seiten solcher Vereins-Lumpen erfahren muss.
Die gänzliche Impotenz solcher Vereinswirtschaft haben wir nun wieder erfahren, als ich nur durch die Hilfe des Königs dazu gelangte, den Parsifal überhaupt aufzuführen, eine Fortdauer der Aufführungen mir aber durch das zahlende Publikum sichern musste, also durch Aufgebung der ganzen stolzen Idee, für welche ich einst ein Patronat ausrief.
Gänzlich unpraktisch im geschäftlichen Sinne müsste mir nun aber ein Verein – oder eine Genossenschaft – im theoretisch-moralischen Sinne durchaus verwerflich dünken; etwa solch ein Ausschuss, der nach meinem Tode, die Festspiele statt meiner anordnen und leiten sollte! Ich bin nun 70 Jahre alt geworden, und kann nicht einen einzigen Menschen bezeichnen, der in meinem Sinne irgend einem der bei solch einer Aufführung Betheiligten, sei es den Sängern, dem Orchesterdirigenten, dem Regisseur, dem Maschinisten, dem Decorateur oder dem Costumier das Richtige sagen könnte. Ja, ich weiß fast keinen, der nur auch im Urtheil über Gelungenes oder Nichtgelungenes mit mir zusammentreffe, so dass ich mich auf das seinige verlassen konnte. Ja, ich muss erfahren dass das Urtheil meiner Freunde sich demonstrativ gegen das meinige ausspricht, z.B. bei einer Huldigung für „unsre Brandt**“ oder: „Kundry“, welcher ich, da sie nun einmal starke Gebrechen durch Uebertreibungen jeder Art zu verdecken suchen muss, mich wenigstens bemühte, Correktheit im Gesang und der Sprache beizubringen, was aber ganz unmöglich blieb, da sie ihr dumpfsäuselndes (th-englisch) statt S sich nicht mehr abgewöhnen konnte, die Endsylben fortwährend verschluckte, die äussersten Accente auf Kosten der Mittelaccente hervorstiess, und somit die ersten Bedingungen für dramatischen Gesang, Deutlichkeit u. Verständlichkeit, nicht erfüllen konnte. Aber – so etwas muss unser Einer erleben, dass „unsre Brandt“ gefeiert wird, während ich in unsäglichem Missmuth über ihre Darstellung leide. – Nun, dies als ein Beispiel davon, dass ich eben unbegreiflich allein, allein stehe mit Kenntniss, Urtheil, ja – einfacher Empfindung!
Also – ein nach meinem Tode eintretendes, vielleicht schon bei meinen letzten Lebzeiten mich leitendes Commité will ich nicht! Und somit auch weder Verein noch – !
Liebster Freund, ich glaube mit meinem Vorschlage für die Blätter das Richtige getroffen zu haben. Hätte ich sie für mich allein herausgegeben und redigirt, jetzt würde ich sie aufgeben, da ich in ihnen etwa Alles gesagt habe was ich zur Ergänzung meiner früheren Arbeiten noch zu sagen hatte – was ich sonst noch zu sagen haben könnte, führt mich über den ersten Vorsatz hinaus. Herzlich soll es mich freuen, von Ihnen u. Ihrem Freunde das neue Feld weiter gepflegt zu sehen, wobei ich eben nur noch hinzutreten kann. Hat „Bayreuth“ den Weg gewiesen, so bleibe es bei diesem Namen; eine „Genossenschaft“ hierfür zu finden, ist kühn anzunehmen, wenn wir beachten wie wenige unter uns selbst sich nur als Genossen fühlen. Nun aber will ich sowohl den B. Bl.n nützen, als auch den bisherigen Vereinsgenossen mich rücksichtsvoll erweisen. Beides wird durch die Ausführung meines Vorschlages erreicht.
Auch gründen wir somit einen Mittelpreis für das Entré: ich denke wir lassen in Zukunft auf der oberen Gallerie 5 M. zahlen, ein Theil des Parterres – Abonnenten der B. Bl. 12 M. Das grössere Publikum zahlt dort 30 M. (mit Modifikationen.)
– Am meisten Gutes verspreche ich mir von der Stipendienstiftung: sie wird die eigentliche Wohlthäterin sein, und mit allen Kräften werde ich sie unterstützen, sobald diess möglich wird selbst mit unsere Einnahmen.
Nun segne Sie Gott! Ich suche zu einiger Ruhe zu kommen, was, so sehr Noth es mir thut, doch nur sehr unvollkommen noch gelingt. Mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen verbleibe ich
Ihr sehr ergebener
Rich. Wagner
Venedig. 28. Sept. 82. Palazzo Vendramin. Gran Canale
*Heckel = Emil Heckel (1831–1903), Instrumenten- und Musikalienhändler und Verleger in Mannheim, Gründer des ersten Wagnervereins
** Brandt = Marianne Brandt (1842–1921), österreichische Sängerin, die 1882 in Bayreuth als Kundry mit Amalie Materna und Therese Malten alternierte
In Cosima Wagners Tagebüchern taucht Hans von Wolzogen danach noch häufiger auf, unter anderem, weil er in den Bayreuther Blättern nicht immer Wagners Schreibweise verwendet. Am 18. November sagt Wagner wenig schmeichelhaft in Bezug auf ihn: „Wir werden Mühe haben, ihn in die erste Etage zu bringen“. Das „Wolz.“ in diesem Tagebucheintrag wurde übrigens von fremder Hand getilgt, wobei anzunehmen ist, dass diese „Korrektur“ von Wagners Tochter Eva Chamberlain stammt. Vermutlich hat sie auch den Tagebucheintrag vom 9. Februar 1883 „bearbeitet“:
Abends spricht R. über seine* Parteigänger, die wie gemacht seien, um die Gedanken, die er ausspricht, der Lächerlichkeit preiszugeben. (Er nimmt Stein** aus). Er sagt zu Jouk.,*** daß er niemals daran gedacht haben würde, daß die Blätter mehr als zwei Jahre dauern würden; er überlegt es sich, wie es mit Wolz. werden soll. Und schließlich beklagt er es laut, daß er Wahnfried gegründet, auch die Festspiele scheinen ihm absurd! …
*Von fremder Hand abgeändert in „einiger seiner“
**Stein = Karl Eduard Heinrich Freiherr von Stein zu Nord- und Ostheim (1857–1887), Philosoph und Schriftsteller (Pseudonym Armand Pensier), 1879/80 Hauslehrer von Siegfried Wagner, anschließend Privatdozent in Halle. Im Tagebucheintrag danach von andrer Hand eingefügt; „u. W.“ (= Wolzogen).
***Jouk. = Paul von Joukowsky (1845–1912), eigtl. Pawel Wassiljewitsch Schukowkski, Maler und „Parsifal“-Bühnenbildner 1882, lernte Wagner Anfang 1880 in Neapel kennen, zog nach Bayreuth und wurde ein intimer Freund der Familie, deren Mitglieder er immer wieder porträtierte, so unter anderem das von Wagner gewünschte Auftragswerk „Die heilige Familie“. Unter Wagnerianern machte J. sich spätestens am Vorabend von Wagners Tod in Venedig gewissermaßen unsterblich, denn er sollte am 12. Februar 1883 im Palazzo Vendramin, während der Komponist aus Fouqués „Undine“ vorlas, in einer Tagebuchkladde Cosimas die berühmte Skizze R lesend anfertigen, das letzte Bildnis des lebenden Wagner. Bei Wagners Beerdigung am 16. Februar 1883 fungierte er als Sargträger.
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