In Jules Massenets „Manon“ wird eine junge Frau zum Spielball von rabiaten Zuhältern und reichen Gönnern, macht eine glamouröse Karriere und scheitert. Die Regisseurin Tatjana Gürbaca inszeniert die Oper als Kapitalismus- und Sexismuskritik und scheitert auch.
„Koks und Nutten“ titelte ein Kritiker griffig, als Tatjana Gürbaca Ende 2008 in Mainz erstmals Jules Massenets Oper „Manon“ inszenierte. Gut zehn Jahre später hat die inzwischen international gefragte Regisseurin das fünfaktige Werk mit denselben Ausstattern am Staatstheater Nürnberg erneut realisiert – und die alte Überschrift passt leider immer noch.
Die Regisseurin ist nicht irgendwer. Nachdem sie für ihre „Parsifal“-Inszenierung in Antwerpen und Gent 2013/14 aus gutem Grund mehrfach ausgezeichnet wurde, sollte sie ursprünglich 2020 in Bayreuth den neuen „Ring“ inszenieren – als erst zweite Frau nach Cosima Wagner 1896. Das Projekt kam bekanntlich jedoch nicht zustande, angeblich wegen zu geringer Probenzeiten.
Gürbacas jüngste Regiearbeit lässt eher den Schluss zu, dass das Problem woanders liegen könnte. Denn selbst ausreichende Proben ersetzen nicht jene Überzeugungskraft, die ein ambitioniertes und ungewöhnliches Regiekonzept braucht, damit Sängerinnen und Sänger es sich zu eigen machen und glaubhaft umsetzen.
Warum die 1884 uraufgeführte Opéra-comique „Manon“ in Frankreich statistisch gleich hinter Bizets „Carmen“ liegt, erschließt sich in Nürnberg nicht. Im Gegenteil: Wer die mit Pause mehr als dreistündige Aufführung überstanden hat, dürfte sie sich kaum ein zweites Mal geben. Dem Gros des Publikums fehlt die Möglichkeit, sich in die handelnden Figuren hineindenken oder gar wiederfinden zu können.
Es mangelt wohlgemerkt nicht an ausgefeilter und präziser Personen- und Chorregie. Aber indem Gürbaca in erster Linie den Blick auf die im Stück durchaus gegebenen Perversionen von Kapitalismus und Patriarchat lenkt, halten sich empathische Reaktionen beim Zuschauer – ob weiblich oder männlich – in Grenzen. Schlimmer noch: Die Inszenierung bedient den Voyeurismus, den sie mit anprangern will.
Das Sperrgebiet-, Spieler-, Bordell- und Varieté-Milieu ist schon durch das Bühnenbild von Marc Weeger allgegenwärtig. Leider zwingt die dunkle Gerüstkonstruktion mit spiegelndem Laufsteg die Mitwirkenden immer wieder, die Beine mehr als sonst zu heben, weil die durchgängige mehrfache Glühbirnenumrankung nichts anderes ist als eine sehr konkrete Stolperfalle.
Die an den ersten Nachkriegsjahrzehnten orientierten Kostüme von Silke Willrett (Mitarbeit: Carl-Christian Andresen) entbehren mit Männern in Latex nicht der unfreiwilligen Komik. Dass aber die ohnehin viel zu große Wächtertruppe im letzten Bild sämtlich die Hosenträger ihrer ausgebeulten Shorts runtergelassen hat, ist nur noch peinlich. Hält die Regisseurin das Publikum für so doof?
Umgekehrt verfehlt die Inszenierung, tiefere Zusammenhänge aufzuzeigen. Während sich bei einer Handlung, die 1721 spielt, nachvollziehen lässt, dass ein Mädchen sich von der ihr noch unbekannten Halbwelt angezogen fühlt, funktioniert das im aktualisierenden Setting nicht mehr: Manon kann nämlich nicht übersehen, dass eine der Kokotten, auf die sie zuerst trifft, neben allerlei Glitzerkram auch ein Veilchen unterm Auge trägt. Soll das heißen, dass junge Frauen, die sich auf Zuhälter bzw. reiche Gönner einlassen, selber schuld sind?
Unabhängig von fragwürdigen szenischen Behauptungen scheitert Gürbaca auch an dem Tenor Tadeusz Szlenkier, der nur stimmlich beeindruckt. Sein vorsichtshalber ohnehin auf brav und bieder gebürsteter Chevalier Des Grieux wirkt bestenfalls in der Priesterrolle authentisch. Ansonsten fragt sich: Verliebt sich Manon in diesen Mann wegen seiner Chipstüte?
Eleonore Marguerre in der Titelrolle gibt jedenfalls alles – und das ist viel. Zwar klang ihre Stimme bei der Premiere zunächst indisponiert und ließ die stupende Leichtigkeit vermissen, die die Sopranistin bei ihrem Debüt in „Krieg und Frieden“ ausstrahlte. Gleichwohl war ihre sängerdarstellerische Leistung bravourös.
Auch die weiteren Solisten, Choristen, Mitwirkenden und Musiker unter Guido Johannes Rumstadt leisten Beachtliches. Unter die Haut geht diese „Manon“ in französischer Originalsprache mit deutschen Dialogen allerdings nicht, weil letztlich alles nur „gespielt“ wirkt – und zwar ohne Esprit. Der freundliche Beifall am Samstag war womöglich nicht nur wegen der anschließenden Premierenfeier enden wollend.
Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags. Besuchte Premiere am 18. Januar 2020, weitere Vorstellungen am 28. Januar, am 2., 6., 12., 16. und 24. Februar, am 1., 22. und 28. März sowie am 10. April. Tickets unter Telefon 0180-1344276, weitere Infos auf der Homepage des Theaters
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