Die jüngste Neuinzsenierung der Bayerischen Staatsoper mit Giuseppe Verdis „I Masnadieri“ ist leider nur musikalisch großartig.
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Von den vier Opern Giuseppe Verdis nach Vorlagen von Friedrich Schiller hatten es bisher nur drei auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters geschafft. Am Sonntag hob sich endlich auch für „I Masnadieri“ („Die Räuber“) der Vorhang, allerdings mit zwiespältigem Ergebnis – und vorerst ohne Fortsetzung, denn die weiteren Vorstellungen der ersten Aufführungsserie wurden abgesagt.
Immerhin kann man die Live-Übertragung auf BR-Klassik online noch hören, Einführungs- und Pausengespräche sowie Schlussapplaus inklusive. Es lohnt sich, denn an der musikalischen Umsetzung gibt es kaum etwas zu mäkeln. Im Gegenteil: Was die Solisten, Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper unter Michele Mariotti bieten, ist von höchstem Niveau.
Weil Verdi für den Cellisten der Uraufführung 1847 eigens etliche Solopassagen komponierte, beginnt seine elfte Oper wie ein kleines Cellokonzert. Solo-Cellist Emanuel Graf lässt mit elegischen Farben aufhorchen, die zusammen mit einigen lyrischen Gesangsnummern einen schönen Kontrast zum Sturm und Drang ergeben, den der italienische Dirigent mit den Musikern des Staatsorchesters und den von Stellario Fagone einstudierten, wirkungsmächtig singenden Chören entfacht.
Ebenso feurig die brüderlichen Kontrahenten mit ihrem väterlichen Ruhepol: Charles Castronovo als Carlo, Igor Golovatenko als Francesco, Mika Kares als Massimiliano sowie die weiteren männlichen Solisten sorgen für ein Sängerfest. Die einzige Frauenfigur der Oper, die von Verdi für die schwedische Primadonna Jenny Lind konzipierte Partie der Amalia, ist mit der heutigen „bayerischen Nachtigall“ Diana Damrau sicher luxuriös besetzt. Bei ihrem Rollendebüt blieb die Sopranistin jedoch hörbar zu zurückhaltend, zu vorsichtig.
Das könnte auch an der Inszenierung gelegen haben, denn selten war die auch spielerisch versierte Sängerin darstellerisch so blass zu sehen. Richtig lebendig kam sie eigentlich erst beim Schlussapplaus rüber. Womit das Manko der Neuproduktion angesprochen sei. Regisseur Johannes Erath hat Verdis Version der „Räuber“ leider nur für Connaisseure inszeniert – und nicht für ein Publikum, das die selten gespielte Oper noch nicht kennt.
Anstatt die dramaturgisch nicht einfache Handlung zu erzählen und plastische Figuren herauszuarbeiten, wird unter großem Aufwand alles verrätselt. Ausstatter Kaspar Glarner hat in düsterer Schwarz-Weiß-Optik quasi ein Geisterhaus auf die Bühne gestellt. In den surrealistischen Saal mit sich öffnenden und schließenden Schleiervorhängen fährt mal ein Sarg herein, mal ein sich peu à peu verlängernder Tisch, mal auch wie festgenagelt der Chor, schließlich gespenstisch vergrößerte Nippeshirsche, die zu Beginn im Miniformat unten auf dem von Olaf Freese besonders beleuchteten Servierwagen stehen.
Zu den Hauptfiguren gibt es jüngere Doubles, was mehr zur Verwirrung, denn zur Klarheit beiträgt. Der fast ständig präsente Diener vervielfacht sich. In dem aufs Familiendrama verkleinerten Stück kommt denn auch die bei Verdi nicht vorhandene Mutter vor – durch ein Foto mit Trauerflor, ein Kleid und ein warm leuchtendes Cello.
Das sieht auf den ersten Blick nicht nur ästhetisch stimmig aus, bleibt aber reine Oberfläche und ist in seiner Vorhersehbarkeit schnell langweilig. Diese Mischung aus Film noir und Mystery- und Psychothrillern wie „The Others“ hat man auch auf Opernbühnen schon überzeugender gesehen. Schlimmer noch verrät die Fokussierung auf die inneren Kämpfe in der Familie Moor einen doch wesentlichen Handlungsbestandteil. Warum die „Räuber“ neben den „Lombarden“ die einzige Oper Verdis sind, die ein Kollektiv zum Titelprotagonisten machen, erschließt sich szenisch überhaupt nicht.
Die machtvoll von Mord, Raub und Vergewaltigung singenden Chöre wirken szenisch wie ein Fremdkörper, wie aufgepappt. Und dass Amalia sich per Cello-Stachel gegen die Angriffe des halb entkleideten, aber Kniestrumpfhalter tragenden Francesco erwehren muss, ist einfach nur ein peinlicher Regietheatereinfall. Schade.
Online-Spielplan Nach der Absage aller Vorstellungen bis 19. April wegen des Corona-Virus versucht die Staatsoper, einzelne Aufführungen als Live-Stream oder als Video-on-Demand auf www.staatsoper.tv zur Verfügung zu stellen. „I Masnadieri“ steht vermutlich am 1. und 4. Juli 2020 wieder auf dem Spielplan.
Besuchte Premiere am 8. März 2020, kürzere Druckversion im Feuilleton des Fränkischen Tags
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