Auslaufmodell Thielemann?

Der Chef­di­ri­gent der Säch­si­schen Staats­ka­pel­le Dres­den hat wie­der mal ei­nen Streit vom Zaun ge­bro­chen. Es geht ak­tu­ell um Co­ro­na-Schutz­maß­nah­men an der Sem­per­oper – und um ei­ni­ges mehr.

Ein Re­likt aus frü­he­ren Zei­ten? Ak­tu­ell soll es die­sen Park­platz nicht mehr ge­ben. Foto: Re­gi­na Ehm-Klier/festspieleblog.de

Er kann’s ein­fach nicht las­sen! Chris­ti­an Thie­le­mann, Chef­di­ri­gent der Säch­si­schen Staats­ka­pel­le Dres­den, Noch-Künst­le­ri­scher Lei­ter der Os­ter­fest­spie­le Salz­burg und Noch-Mu­sik­di­rek­tor der Bay­reu­ther Fest­spie­le, hat schon wie­der Zoff. Dies­mal mit Pe­ter Thei­ler, dem frü­he­ren Chef des Staats­thea­ters Nürn­berg und jet­zi­gen In­ten­dan­ten der Sem­per­oper Dresden.

Was ist pas­siert? Thie­le­mann hat die Co­ro­na-Zwangs­pau­se und die Schutz­maß­nah­men an der Sem­per­oper in den Dres­de­ner Neu­es­ten Nach­rich­ten und in ei­nem In­ter­view mit der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung kri­ti­siert. Über den ak­tu­el­len Streit und dar­über, dass fünf Mu­si­ker der Staats­ka­pel­le ihr Recht auf Ar­beit ein­kla­gen wol­len, be­rich­ten un­ter an­de­rem auch der MDR und die Neue Mu­sik­zei­tung.

Der Zoff in Dres­den kommt nicht von un­ge­fähr und ist auch struk­tu­rell be­grün­det: Chris­ti­an Thie­le­mann ist mit­nich­ten viel­be­schäf­tig­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor der Sem­per­oper, son­dern Chef­di­ri­gent der Säch­si­schen Staats­ka­pel­le, für de­ren Kon­zert­pro­gramm er au­to­nom zu­stän­dig ist. Sein von ihm so ge­woll­ter Ver­trag ver­pflich­tet ihn pro Sai­son zu ins­ge­samt nur zehn Vor­stel­lun­gen in der Oper, da­von eine Neu­ein­stu­die­rung und eine Wie­der­auf­nah­me. Mehr nicht. Und das ist für ein Haus die­ser Grö­ßen­ord­nung und mit die­sem Re­nom­mee über­ra­schend we­nig. Und sehr we­nig für ei­nen, der gleich­zei­tig viel mit­re­den will.

An­de­rer­seits hat der Chef­di­ri­gent die Staats­ka­pel­le seit 2013 pres­ti­ge­träch­tig bei den Salz­bur­ger Os­ter­fest­spie­len ein­ge­setzt –  eine zu­sätz­li­che Ver­dienst­quel­le, die al­ler­dings spä­tes­tens 2023 ver­siegt sein wird. Denn 2022 wird Ni­ko­laus Bach­ler, seit 1. Juli 2020 Ge­schäfts­füh­ren­der In­ten­dant der Os­ter­fest­spie­le und bis Sai­son­ende noch In­ten­dant der Baye­ri­schen Staats­oper, in Salz­burg Künst­le­ri­scher Ge­samt­lei­ter des Osterfestivals.

Bach­ler hat be­reits an­ge­kün­digt, dass er jede Sai­son ein an­de­res Spit­zen­or­ches­ter samt Pult­star en­ga­gie­ren will. Kein Wun­der bei den Que­re­len, die ent­stan­den, als der Fest­spiel­auf­sichts­rat 2019 dem Di­ri­gen­ten plötz­lich den Ma­na­ger zur Sei­te stell­te. Thie­le­mann, der bis da­hin nach Be­lie­ben agiert hat­te, re­agier­te mit ei­nem „of­fe­nen Brief“, der den Kom­pe­tenz­streit in die Öf­fent­lich­keit zerrte.

Un­er­war­tet kam das frei­lich nicht. Thie­le­mann ist zwar eine welt­weit an­er­kann­te Di­ri­gen­ten­grö­ße fürs deut­sche und fürs Wag­ner-Fach, hat aber noch fast jede sei­ner Lei­tungs­po­si­tio­nen im Streit ver­las­sen – an­ge­fan­gen bei den da­mals noch Städ­ti­schen Büh­nen Nürn­berg über die Deut­sche Oper Ber­lin bis hin zu den Münch­ner Philharmonikern.

In Dres­den ge­lang ihm so­gar, den de­si­gnier­ten Sem­per­oper-In­ten­dan­ten Ser­ge Dor­ny (der im Herbst im Münch­ner Na­tio­nal­thea­ter Bach­ler ab­lö­sen wird) noch vor des­sen ge­plan­ten Amts­an­tritt zu ver­grau­len. Pe­ter Thei­ler, der zur Sai­son 2018/19 den In­ten­dan­ten­pos­ten in Dres­den  über­nahm, muss jetzt in den sau­ren Ap­fel bei­ßen. Und da­für her­hal­ten, dass Thie­le­mann, der sei­ne Fel­le da­von­schwim­men sieht, noch­mal um sich schlägt. Denn sein Ver­trag als Mu­sik­di­rek­tor in Bay­reuth steht auch schon län­ger auf der Kippe.

Nur so ist zu ver­ste­hen, war­um er im F.A.Z.-Interview plötz­lich die Strei­tig­kei­ten mit Bach­ler als Miss­in­ter­pre­ta­ti­on weich­spült und so tut, als wä­ren bei­de jetzt ein Herz und eine See­le: „Da wa­ren ja nie Strei­tig­kei­ten“, zi­tiert ihn Mi­cha­el Ernst wört­lich. Und wei­ter: „Ge­strit­ten ha­ben wir nie. Ich strei­te so­wie­so nicht gern mit Men­schen und will das gar nicht. Nein, nein, wir sind auf ei­nem pro­fes­sio­nell wun­der­vol­len Ni­veau, zum Bes­ten der Ka­pel­le und zum Bes­ten vor al­len Din­gen auch der Os­ter­fest­spie­le Salz­burg, für die wir ge­mein­sam Ver­ant­wor­tung tragen. “

Im sel­ben In­ter­view be­schreibt er sei­ne Zu­kunft in Bay­reuth kon­kret mit „Par­si­fal“ (wo­mit die kon­zer­tan­te Auf­füh­rung ge­meint sein dürf­te) und „Lo­hen­grin“ (Wie­der­auf­nah­me der von ihm ein­stu­dier­ten Pro­duk­ti­on von 2018 in 2022). „Wir wis­sen ja, dass es Um­struk­tu­rie­run­gen ge­ben soll. Da kommt es nicht auf Ti­tel an, son­dern auf die Auf­ga­be, die man hat. Ich habe da wei­testrei­chen­de Plä­ne, an mei­ner Be­schäf­ti­gung in Bay­reuth än­dert sich nichts.“

Al­les in But­ter? Nun weiß man auch aus an­de­ren Thie­le­mann-In­ter­views, dass man sei­ne Wor­te nicht auf die Gold­waa­ge le­gen soll­te. Noch in Er­in­ne­rung ist zum Bei­spiel sei­ne  Fehl­in­for­ma­ti­on zur schwe­ren Er­kran­kung Ka­tha­ri­na Wag­ners im Mai 2020 in ei­nem ös­ter­rei­chi­schen Ma­ga­zin. „Die Fest­spie­le“, stell­te dazu in der „Welt“ Ma­nu­el Brug fest, „sa­hen sich ge­nö­tigt, die­ses un­ge­hö­ri­ge Aus­sche­ren ei­nes Bay­reu­ther Ti­tel­trä­gers, des­sen Äu­ße­run­gen nicht we­ni­ge für of­fi­zi­ell hal­ten mö­gen, um­ge­hend auf das Schärfs­te zu de­men­tie­ren. Für Chris­ti­an Thie­le­mann, des­sen In­ter­view­äu­ße­run­gen auch bis­her im­mer auf ih­ren Wahr­heits­ge­halt zu über­prü­fen wa­ren, wird sol­ches si­cher kein Punkt­ge­winn sein.“

Der Mu­sik­di­rek­tor­pos­ten könn­te auch aus an­de­ren Grün­den wa­ckeln. Ers­tens langt Chris­ti­an Thie­le­mann auch po­li­tisch und vor­zugs­wei­se rechts da­ne­ben. Zwei­tens steht er den Fest­spie­len seit ge­rau­mer Zeit of­fen­bar nur in äu­ßers­ten Not­fäl­len auch als Ein­sprin­ger zur Ver­fü­gung. Und drit­tens sol­len min­des­tens zwei der fä­higs­ten Di­ri­gen­ten vom Grü­nen Hü­gel we­gen ihm vor­zei­tig ge­gan­gen sein: Ki­rill Pe­tren­ko, sein er­folg­rei­cher Kon­kur­rent um den Pos­ten des Chef­di­ri­gen­ten der Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker, so­wie An­dris Nel­sons, der of­fen­bar nach Ein­mi­schun­gen des Mu­sik­di­rek­tors in sei­ne Pro­ben­ar­beit zum „Par­si­fal“ 2016 ent­nervt um sei­ne Ver­trags­auf­lö­sung bat.

Screen­shot (Aus­schnitt) der Kon­zer­t­an­kün­di­gung auf der Festspiel-Webseite

Nel­sons, der schon für sein Di­ri­gat zum Ratten-„Lohengrin“ 2010 bis 2014 von Kri­tik und Pu­bli­kum ge­fei­ert wur­de, kehrt heu­er nach Bay­reuth zu­rück und über­nimmt im Fest­spiel­som­mer 2021 – im Spiel­plan auf der Fest­spiel­home­page auch op­tisch un­über­seh­bar her­vor­ge­ho­ben – die mu­si­ka­li­sche Lei­tung für zwei Wag­ner-Kon­zer­te und geht da­nach mit dem Fest­spiel­or­ches­ter auf Tour­nee, wäh­rend Thie­le­mann nur eine kon­zer­tan­te „Parsifal“-Aufführung dirigiert.

Man darf also ge­spannt sein, wie lan­ge es den 2015 ein­ge­führ­ten und ei­gent­lich über­flüs­si­gen Mu­sik­di­rek­tor-Pos­ten und den na­ment­lich für ihn aus­ge­wie­se­nen Park­platz di­rekt am Fest­spiel­haus noch gibt. Und was sagt die Fest­spiel­lei­te­rin dazu? „Wir wol­len un­be­dingt zu­sam­men wei­ter­ma­chen“, ver­si­cher­te Ka­tha­ri­na Wag­ner im F.A.Z.-Interview Ende Ja­nu­ar. Das kann ganz prag­ma­tisch hei­ßen, dass Chris­ti­an Thie­le­mann zwar als Di­ri­gent wei­ter­hin bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len wir­ken und sei­ne Re­kord­bi­lanz ver­grö­ßern wird, aber kei­nen Ver­trag mehr als Mu­sik­di­rek­tor ha­ben wird.

Screen­shot (Aus­schnitt) der Kon­zer­t­an­kün­di­gung auf der Festspiel-Webseite