Die Nicht-Verlängerung des Chefdirigenten-Vertrags von Christian Thielemann in Dresden sorgt für jede Menge Schlagzeilen, während sein Musikdirektorposten in Bayreuth fast unbemerkt stillgelegt wurde.
Nein, natürlich ist in der Musik-, Opern- und Wagnerwelt derzeit DIE Neuigkeit, dass Christian Thielemanns Vertrag als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden nicht verlängert wurde und zum Ende der Saison 2023/24 ausläuft, während zugleich der Vertrag von Semperopernintendant Peter Theiler nur bis zum Ende derselben Saison verlängert wurde. Kann man alles nachlesen in der originalen Pressemitteilung der sächsischen Staatskanzlei und in zahlreichen Berichten. Verlinkt seien zunächst nur der Artikel von Wilhelm Sinkowitz aus der Wiener Presse, der Kommentar von Jan Brachmann in der F.A.Z. sowie die „Götterdämmerung eines Solitärs“ von Reinhard J. Brembeck auf SZ online – letztere Eloge nicht etwa, weil ich einverstanden wäre mit dem Brembeckschen Genie-Geschwurbel, sondern weil es bemerkenswert ist, wenn ein mit der Kulturbürokratie gut vernetzter Kulturredakteur noch nicht mitgekriegt haben will, dass sich Christian Thielemanns Musikdirektorposten bei den Bayreuther Festspielen gewissermaßen in Luft aufgelöst hat.
So stellt Brembeck, nachdem er beschrieben hat, dass sich auch die Leitungsfunktion Thielemanns bei den Salzburger Osterfestspielen dem Ende zuneigt, fest: „Der Ende vergangenen Jahrs ausgelaufene Vertrag mit den von Thielemann so geliebten Bayreuth Festspielen, wo er seit seinem Debüt fast jährlich auftrat, ist seltsamerweise noch immer nicht verlängert.“ Warum hat er nicht einfach mal auf der Festspielhomepage nachgeschaut, ob es den Posten noch gibt? Und dann Festspielleiterin Katharina Wagner angerufen? Oder den Pressesprecher? Hubertus Herrmann hat auf meine Nachfrage, ob Christian Thielemann denn nicht mehr Musikdirektor sei, folgendes mitgeteilt:
Er ist seit 1.1.2021 kein Musikdirektor mehr, das ist richtig. Die Gespräche über die Fortführung seiner Tätigkeit und seiner Bezeichnung in Bayreuth sind noch nicht abgeschlossen. Ob es zukünftig die Position des Musikdirektors weiter in Bayreuth geben wird, ist ebenfalls noch nicht final entschieden, daher haben wir den Titel aktuell von der Website genommen.
Meine Vermutung: Da es in der 145-jährigen Geschichte der Bayreuther Festspiele und der 70-jährigen Geschichte Neubayreuths bislang überhaupt nur fünf Jahre – eben von 2015 bis 2020 – aus wenig nachvollziehbaren Gründen überhaupt eines extra bezahlten Musikdirektors bedurfte, könnte und dürfte sich dieser Posten als obsolet erwiesen haben, und zwar unabhängig von der Person. Dass Christian Thielemann sich unter den Festspieldirigenten sowieso eine singuläre Stellung erarbeitet hat, steht außer Zweifel. Nach Felix Mottl (1856–1911) war er 2018 erst der zweite Dirigent, der alle zehn Werke des Bayreuth-Repertoires im Orchestergraben des Festspielhauses geleitet hat. Und überflügelte Mottl gleichzeitig, weil er außerdem auch schon Beethovens 9. Symphonie am Grünen Hügel dirigiert hat. Den bisherigen Rekordinhaber bei der Anzahl an Aufführungen Daniel Barenboim (160 Vorstellungen) hat der jetzt 62-jährige Thielemann inzwischen auch hinter sich gelassen.
Seine Meriten als Dirigent sind das eine, das andere sind die Misstöne, die es immer wieder gegeben hat und gibt, wenn Thielemann mit im (Macht-)Spiel war und ist. Wer mehr zu den einschlägigen Vor- und Ausfällen in Bayreuth, Dresden und Salzburg und wissen möchte, sei verwiesen auf meine Blog-Beiträge Auslaufmodell Thielemann?, Späte Einsicht? und Korrigierter Musikdirektor. Aktuell schießen, nachdem die sächsische Kulturministerin verlauten ließ, dass zumindest der oder die nächste Semperoper-Intendant/in schon zum Saisonbeginn 2020/21 Ende August gefunden sein will, Spekulationen ins Kraut. Laut TAG24 soll es jemand sein, „der Erfahrung hat in der Leitung eines Mehrspartenhauses.“
Wie auch immer: Die jüngste Neuproduktion der Semperoper, „Capriccio“ von Richard Strauss unter Christian Thielemann, wurde gerade erst am 8. Mai im Beisein einiger weniger Journalisten, darunter Joachim Lange für Concerti, aufgezeichnet und wird ab Pfingst-Samstag kostenlos auf der Homepage der Semperoper gestreamt. Womöglich saßen bei der Aufzeichnung auch schon die fünf Mitglieder der Findungskommission und könnten in dem mehrfachen Regiegast Jens-Daniel Herzog, dem Nachfolger von Peter Theiler am Staatstheater Nürnberg, nun auch gleich den Nachfolger von Peter Theiler in Dresden sehen – zumal der am Ende sogar noch die gehypte Dirigentin Joana Mallwitz mitbrächte? Nein, das ist jetzt aber ganz und gar ins Blaue hinein spekuliert. Da verweise ich dann doch lieber auf Manuel Brug, der sich auf Brugs Klassiker mit allerhand zusätzlichem Detailwissen fragt, was mit Thielemann wohl werden wird.
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