Katharina Wagner konnte zwar am 10. Oktober 2023 nicht wie geplant nach Bamberg kommen, aber das Gespräch der Festspielleiterin mit Sabine Zurmühl fand live als Zoom-Konferenz vor rund achtzig Zuschauern im Kufasaal statt. Hier der Wortlaut.
Sabine Zurmühl Guten Abend. Ich freue mich, dass Sie da sind, ich freue mich, dass ich da bin, in einer etwas ungewohnten Situation, aber so ist das. Nur damit Sie sich nicht wundern, Sie sehen Frau Prof. Wagner gleich hinten auf der Leinwand. Ich sehe sie hier in dem kleinen Bildschirm und kann deshalb auch zu Ihnen hinschauen. Liebe Frau Prof. Wagner, wir begrüßen Sie sehr herzlich und freuen uns, dass es auf diese Weise möglich ist, doch noch mit Ihnen zu sprechen.
Katharina Wagner Danke sehr. Ich muss mich entschuldigen, hier hat sich ein Termin unerwartet in die Länge gezogen, wo ich leider nicht persönlich fehlen kann. Ich habe ihn jetzt unterbrochen und freue mich, dass ich nun auf diesem Wege mit Ihnen sprechen darf.
Sabine Zurmühl Wir sind sehr dankbar, dass der Gesprächsabend wenigstens so möglich ist, und ich fange einfach gleich an. Sie haben ganz viele lebenserfüllende Aufgaben. Sie sind einerseits Festspielleiterin, Sie sind viel beschäftigte Regisseurin, Sie sind Hochschullehrerin – und jede von diesen einzelnen Aufgaben würde eigentlich für ein Leben reichen. Wie geht es Ihnen jetzt nach den letzten Festspielen und vielleicht nach einem kleinen Urlaub?
Katharina Wagner Danke, mir geht es sehr gut. Ich freue mich, dass die letzten Festspiele so erfolgreich waren und das Publikum viel Freude daran hatte, ich habe einen kleinen Urlaub gemacht und jetzt freuen wir uns sozusagen schon wieder auf „neue Taten“ und dass wir bald mit den Studierenden erneut die Kinderoper für nächstes Jahr erarbeiten dürfen. Also es gibt viel zu tun und das ist auch gut so.
Sabine Zurmühl Wenn Sie an die vergangenen Festspiele denken, gab es da Inszenierungen oder Seiten von Inszenierungen, die Sie vielleicht besonders erreicht haben oder die Ihnen nahe gingen?
Katharina Wagner Wissen Sie, es ist grundsätzlich immer schwierig, über inszenierende Kolleg*innen zu reden. Aber ja, tatsächlich glaube ich, dass es wichtig ist, sich mit jeder Inszenierung gleichermaßen auseinanderzusetzen, dass man versucht zu folgen, um daraus etwas für sich zu gewinnen. Ich gehe in Inszenierungen – auch an anderen Orten und nicht nur In Bayreuth – immer mit der Einstellung, dass ich offen bin für das, was ich erleben werde, und hoffe, dass ich da für mich was mitnehmen kann. Meistens gelingt das.
Sabine Zurmühl Sie sind ja sozusagen immer Rezipientin. Sie sind zwar auch Organisatorin und Chefin und in vielen verschiedenen Funktionen tätig, aber Sie sind auch Zuhörerin und Zuschauerin, die sich einlässt auf die einzelnen Werke.
Katharina Wagner Das ist richtig. Man ist hier natürlich näher dran, weil man den Prozess einer Inszenierung von Anfang an mit begleitet hat, von der Auswahl des Teams bis hin zur Konzeptionsvorstellung und zur Modellpräsentation. Deswegen weiß und versteht man grundsätzlich etwas mehr von den Intentionen der Regisseur*innen und auch den Intentionen der musikalischen Leiter*innen. Man bekommt auch die konkrete Detailarbeit mit, dadurch ist man natürlich völlig objektiv (sie lacht), wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber natürlich gibt es auch hier immer wieder besondere Abende – und das ist das Schöne am Live-Erlebnis in der Oper –, wo man merkt, das ist heute eine Sternstunde. Für mich war das im letzten Jahr wieder der 2. Akt „Götterdämmerung“, der mich diesmal mit Herrn Kares, der ein ganz phantastischer Hagen ist, wirklich mitgenommen hat. Auch im neuen „Parsifal“ durch die großartige musikalische Interpretation von Pablo Heras-Casada und im „Tannhäuser“ von Nathalie Stutzmann waren viele solche Momente, die man dann auch wirklich genießen kann.
Sabine Zurmühl Gerade um den „Parsifal“ und die AR-Brillen und auch um die „Ring“-Rezeption gab es viel Aufregung. Wie sehen Sie das jetzt nach der Saison, im Rückblick?
Katharina Wagner Was die AR-Brillen angeht, waren wir ja das erste Haus, das dieses Experiment gewagt hat. Natürlich kann man das noch anders weiterentwickeln, das sollte man auch tun, ganz dem Werkstattgedanken folgend. Die Digitalität bietet doch große Chancen! Wir reden über Nachhaltigkeit, immer wieder und jeden Tag. Und vielleicht ist das ein Schritt, ein Weg in eine die Ressourcen schonendere Zukunft, indem man versucht, Bühnenbilder zu erschaffen, die eben nicht aus Stahl und Holz gebaut sind und transportiert werden müssen. Man weiß nicht, wie sich das entwickelt. Für uns war es ein erster Schritt, wir sind ihn gegangen – und alle im Haus sind sehr stolz drauf. Da waren wirklich faszinierende Momente dabei, auch witzige Momente. Manche haben gesagt, sie waren zu sehr abgelenkt, andere fanden genau das ganz toll, die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Mal sehen, wo uns das Potenzial dieser Technologie noch hinführt. Und bei dem seit zwei Jahren viel und heiß diskutierten „Ring“ merkt man inzwischen – und das finde ich ist das Tolle am Publikum –, dass die Zuschauer bereit sind, sich damit auseinander zu setzen. Die Reaktionen waren durchaus anders als im ersten Jahr.
Sabine Zurmühl Es ist ja so, dass Sie als Festspielleiterin fast in die Haftung genommen werden für das, was künstlerisch auf der Bühne passiert, was die Regisseure sich für Formen und Lösungen ausgedacht haben. Wie geht es Ihnen damit?
Katharina Wagner Das kann man schon verstehen, dass man quasi in die Haftung genommen wird, denn man hat ja die Künstler*innen engagiert. Wobei es da schon Unterschiede gibt. Sänger*innen müssen ja auf die Sekunde funktionieren, das heißt, wenn sie mal einen suboptimalen Tag haben, weil sie gesundheitlich nicht ganz fit sind, versuchen sie trotzdem das Beste. Sie tun mir dann leid, stellen sie sich doch vor das Publikum und geben ihr Bestes. Vielleicht war es dann zwar kein perfekter Abend, aber das sind alles Menschen – und da würde ich mir manchmal, wie soll ich sagen, eine verständigere Reaktion beim Publikum wünschen. Regie löst meist kontroverse Reaktionen und Diskussionen aus, das ist auch nicht schlimm und das weiß man von vornherein, insofern kann man auch damit umgehen. Es soll ja diskutiert werden, eben das hält die Kunst lebendig, das ist auch gut. Ich fühle mit den darstellenden Künstlern sehr oft mit, wenn diese eben einmal keinen so guten Tag hatten und sich trotzdem hingestellt und die Vorstellung gerettet haben, am Ende aber sogar ausgebuht wurden, dann tut das auch mir weh.
Sabine Zurmühl Es gab in diesem Jahr zwei Dirigentinnen, was auch mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen wurde – Stichwort Beteiligung der Frauen an dem ganzen Opernbetrieb auch als Macherinnen, nicht nur als Solistinnen. Die Frage wäre: Ist denn in absehbarer Zeit zu erwarten, dass zum Beispiel Sie eine Arbeit abliefern oder Sie eine Kollegin uns präsentieren könnten?
Katharina Wagner Ja, Sie meinen jetzt im Regiebereich? Ja, auch da drüber diskutieren wir. Man muss ja immer die passenden Künstler*innen finden, männlich und weiblich, die müssen dann Zeit und auch Lust auf Bayreuth und die speziellen Bedingungen hier haben. Natürlich sind besonders Damen wünschenswert!
Sabine Zurmühl Es wäre an der Zeit …
Katharina Wagner Absolut wäre es an der Zeit, eine Kollegin zu präsentieren. Ich bin auch in Gesprächen, soviel sei bereits verraten. Die Kolleginnen werden relativ zeitnah kommen. Veröffentlichen kann man das aber erst, wenn man den Vertrag unterzeichnet hat.
Sabine Zurmühl Darüber hinaus ist eben auch die Frage, ob es strukturelle Änderungen gibt. Da ist ja viel die Rede davon auch in der Öffentlichkeit, in der Struktur, wie die Bayreuther Festspiele geleitet werden, wie Karten vergeben werden. Dann hat in der Presse gestanden, dass Sie sich eine Marketing- und Sponsoringabteilung sehr sehr wünschen. Was könnten Sie uns dazu sagen?
Katharina Wagner Der Stellenplan und die Struktur, die wir hier noch haben, sind teilweise doch schon viele Jahre alt. Wir haben zum Beispiel eine Social Media-Abteilung nur während der Festspielsaison. Ansonsten macht das unser Pressesprecher mit, aber das ist heutzutage zu wenig. Das fällt ja alles unter den Überbegriff Marketing – Social Media müssen Sie aber ganzjährig bedienen, müssen auch ganzjährig antworten können. Heute sind teilweise andere Kommunikationswege gefragt als früher und da fehlen uns einfach diese Stellen. Das habe ich schon öfter gesagt, das ist auch nichts Schlimmes, mich wundert es fast ein bisschen, dass darüber diskutiert wird, denn das ist doch inzwischen fast etwas Selbstverständliches. Man muss sich doch nicht verstecken, wenn man das Haus auf den Stand von heute bringen will, auch was den Stellenplan betrifft.
Sabine Zurmühl Das alles ist ja auch von den Überlegungen her in die Frage einzubetten, dass 2025 eine Verlängerung Ihres Vertrages ansteht. Es ist zwar noch eine Weile hin, aber es ist natürlich im Fokus der Öffentlichkeit.
Katharina Wagner Ja, ich weiß. Ich glaube, man muss sich einfach wie überall, wenn man Verträge verhandelt, einig werden. Man muss Kompromisse finden, um eine Einigung zu erzielen, vieles hat dabei aber eben auch mit Finanzierung, mit Struktur und weniger mit persönlicher Eitelkeit zu tun. Es geht um die Zukunftsfähigkeit des Hauses, aber diese Dinge werden besprochen und geklärt und dann wird man sehen, was passiert.
Sabine Zurmühl Das ist das, was Sie heute sagen können.
Katharina Wagner Ja, das heißt auch gar nicht, dass das negativ gemeint ist. Wir wissen, dass in Bayern der Fokus im Moment ganz woanders – bei den Landtagswahlen – lag und das ist auch völlig in Ordnung, dass das logischerweise nicht TOP 1 war.
Sabine Zurmühl Ich würde jetzt gerne auf eine andere Seite Ihrer Arbeit zu sprechen kommen: auf die als Regisseurin. Sehen Sie in nächster Zeit da für sich Projekte, haben Sie Pläne, von denen wir erfahren könnten?
Katharina Wagner Ja gerne. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass in Barcelona aufgrund von Corona sehr sehr kurzfristig der „Lohengrin“ abgesagt wurde. Der wird nun im Frühjahr 2025 nachgeholt. Ebenfalls 25 wird es einen „Parsifal“ in Riga geben, es wird auch etwas in Tokyo geben – das sind größtenteils Projekte, die schon während der Coronazeit hätten stattfinden sollen. Da ich eher Opern mit großer Chorbeteiligung mache, lief das alles mit Verzögerung wieder an, weil die großen Choropern erst später wieder ins Programm genommen werden konnten. Ich freue mich sehr auf den „Lohengrin“, es hat sehr viel Spaß gemacht zu probieren und wir waren ja schon bei der ersten Bühnenorchesterprobe angekommen. Es war sehr merkwürdig, denn in Deutschland wurde schon kommuniziert, dass es da ein Virus gibt, aber in Spanien hat man davon damals noch nichts mitbekommen. Wer das Liceu in Barcelona kennt, weiß, dass davor ein Zeitschriftenstand ist, aber es war in der dortigen Presse nichts zu lesen. Dann plötzlich hieß es im Theater, es gibt diese neuartige Krankheit, wir haben zwei Infizierte im Orchester und alle müssen gehen. Das war ein relativ harter Cut. Auch wir mussten nach Hause fahren – und das tat künstlerisch schon sehr weh, denn wir waren schon sehr weit gekommen. Es war auch eine tolle Besetzung mit Klaus Florian Vogt, Emily Magee und Günter Groissböck.
Sabine Zurmühl Wie finden Sie jetzt den Anschluss wieder? Das ist ja von den Personen her wahnsinnig kompliziert?
Katharina Wagner Wir haben zum Glück größtenteils dieselbe Besetzung und alle freuen sich sehr, dass wir 25 nochmal weitermachen.
Sabine Zurmühl Sie haben in einem Vortrag einmal die Arbeit des Regisseurs oder der Regisseurin verglichen mit einem Übersetzer, ja fast mit demjenigen über den toten Fluss, sozusagen zwischen verschiedenen Seiten, den Erwartungen des Publikums und des eigenen Verständnisses, der eigenen Aufschlüsselung des Werkes vermittelt. Ist Ihnen das nach wie vor wichtig?
Katharina Wagner Wenn ich ein Stück inszeniere, ist wichtig, was mich zunächst an dem Stück interessiert und was man dem Publikum erzählen kann. Oft bedeutet Regieführen einen gewissen Schwerpunkt zu setzen auf die Erzählung, auf einen gewissen Handlungsstrang in dem Stück, mitunter auch eine Verschiebung des Schwerpunkts. Für mich ist es wichtig, dass das Publikum einen spannenden Abend hat und sich der Schwerpunkt vermittelt, den ich gesetzt habe.
Sabine Zurmühl Sie haben in dem Zusammenhang auch den Begriff der Werktreue kritisch zitiert als eine Erwartung, die viele im Publikum sozusagen in einer eher bequemen Haltung pflegen. Es ist ja nach wie vor so, dass das Publikum in Bayreuth gemischt ist, aber es hat noch einen großen Teil vielleicht an Zuschauerinnen und Zuschauern, die diese Werktreue erwarten.
Katharina Wagner Erstmal muss ich vorausschicken: Jeder versteht ja unter dem Begriff von Werktreue etwas anderes, genauso, wie unter dem Begriff des Regietheaters. Ich glaube, unser Publikum kennt die Stücke sehr gut, deshalb können wir hier auch Regieansätze präsentieren, die das Stück auch etwas anders rezipieren als normal oder üblich. Da switch ich jetzt mal zur Intendantin: Ich finde es gerade in Bayreuth besonders wichtig, unterschiedliche Handschriften zu haben. Sie können nicht nur Handschriften zeigen, die grundsätzlich in eine Richtung gehen, sondern Sie müssen schauen, dass Sie vielfältige Regie-Handschriften genauso wie verschiedene musikalische Lesarten präsentieren. Man sollte aber auch Regisseurinnen und Regisseure finden – lassen Sie mich dann eben doch den pauschalen Begriff verwenden –, die eher werktreu sind, auch hierfür gibt es ja Beispiele in Bayreuth. Wer „Regietheater“ will, soll aber auch seine Freude finden. Die Vielfalt ist wichtig in Bayreuth, unabhängig davon, wie man selber inszeniert, und unabhängig davon, wie der eigene Geschmack ist.
Sabine Zurmühl Durch die neuen Möglichkeiten an Karten zu kommen, hat sich das Publikum in gewisser Weise verändert, denn es sind jetzt auch Leute in Bayreuth, die sich vorher nicht mit dem Werk befasst haben. Ich selber empfinde das als erfrischende Angelegenheit. Wie sehen Sie das?
Katharina Wagner Auch wir bemerken hier Veränderungen. Früher bestellte man überwiegend schriftlich Karten bestimmter Kategorien. Nun haben wir endlich die Möglichkeit der Saalplanbuchung, was unser Publikum sehr begrüßt. Es kommt nicht mehr nur unser Stammpublikum, teils aus aller Welt, nach Bayreuth. Interessierte sehen Produktionen zum Beispiel erstmals auch im Kino, auf DVD, oder über die Deutsche Grammophon und sagen dann, das will ich irgendwann mal live erleben. Es wird also Neugier geweckt. Unser Erfolgsformat der Kinderoper leistet hier übrigens zusätzlich Großartiges, da es Kinder und Jugendliche überhaupt zum ersten Mal an das Genre der Oper heranführt, ohne abzuschrecken. Das liegt mir sehr am Herzen, bedeutet viel Arbeit und macht fast genauso viel Aufwand, wie eine große Produktion, ist es aber vollumfänglich wert. Wir machen das mit sehr viel Herzblut und wir merken, dass die Begeisterung der Kinder so groß ist, dass da am Ende das Publikum von morgen sitzt.
Sabine Zurmühl Und die Nachfrage ist groß?
Katharina Wagner Ja, es ist für die Kinder ja auch umsonst, und das ist mir sehr wichtig, das soll ja nicht kommerziell sein. Ich bin froh, dass wir noch sehr viele Sponsoren und Spender haben, die Erwachsenen, die begleiten, zahlen einen sehr geringen Betrag. Und die Nachfrage ist sehr groß, wir schauen aber natürlich, dass wir hauptsächlich Kinder reinlassen, obwohl die Nachfrage von Erwachsenen auch sehr groß ist.
Sabine Zurmühl Die Arbeit an der Kinderoper passiert ja unter Einbeziehung Ihrer Studenten, die Sie in Berlin unterrichten.
Katharina Wagner Genau. Und nicht nur das. Wir haben auch Studierende der Theaterakademie August Everding in München, die die Masken machen, wir versuchen auch jedes Jahr, in Schulklassen einen Kostümwettbewerb zu machen, wo wir den Kindern den Inhalt der Opern nahebringen, und die Kinder dann die Kostüme zeichnen.
Sabine Zurmühl Ich glaube, das ist ein ziemlich einzigartiges Angebot, was Sie für die Kinderoper entwickelt haben. Es wird ja entsprechend nachgefragt und ist ganz bestimmt lohnend für die neue Generation.
Katharina Wagner Ich bin auch dankbar, dass man inzwischen auch im Ausland und bei anderen Festivals auf die Kinderoper aufmerksam geworden ist. Es gibt sie in Japan und in Chile, ich bin da sehr froh drum, denn auch dort soll sie hin. Sie soll sich verbreiten, sie soll den Kindern viel Freude machen.
Sabine Zurmühl Wir sitzen hier ja heute, zum größten Teil jedenfalls, als Mitglieder eines Wagnerverbandes, und es wäre interessant, wie Sie die Situation und die Einbeziehung der Wagnerverbände einschätzen. Was bedeuten die für Sie?
Katharina Wagner Sie bedeuten für mich extrem viel, weil die Wagnerverbände zum Beispiel die Stipendiaten hierher nach Bayreuth bringen. Ganz viele, die früher Stipendiaten waren, stehen heute auf der Bühne des Festspielhauses. Die Wagnerverbände fördern den Nachwuchs, entdecken durchaus auch Künstler*innen. Und natürlich vermitteln die Wagnerverbände vor allem das Werk Richard Wagners. Und an der Stelle auch: Entschuldigen Sie nochmal Frau Beer, es tut mir wirklich leid, der Wagnerverband Bamberg weiß aber, dass ich wahnsinnig gerne in Bamberg bei Ihnen bin, ich finde es sehr lebendig und finde es toll, dass wir uns über verschiedene Themen rund um Richard Wagner austauschen können, dass es lebendig gehalten wird, dass auch diskutiert werden darf, kritische Fragen gestellt werden, dafür sind Wagnerverbände da. Und wenn das in einer Form geschieht, wie von Frau Beer, die das mit Hingabe macht, kritisch und wirklich spannend und lebendig, dann bin ich sehr dankbar, dass es diese Verbände gibt, die sozusagen für uns auch das Bindeglied sind.
Sabine Zurmühl Jetzt würde ich gerne auf das privatere Wagner-Familien-Thema kommen. Und ich fange mal damit an, womit ich mich sehr viel beschäftigen durfte, mit der Person Cosima Wagner, Ihrer Urgroßmutter. Was ist Ihr Verhältnis zu ihr? Haben Sie von Ihr erzählen hören zuhause oder war da eher gar nicht die Rede von ihr, weil nicht so angenehm?
Katharina Wagner Viele haben aber diese Vorstellung – die haben wir jetzt sicher nicht –, aber viele denken immer, sie kennten sie. Also ich kannte sie nicht, kann ich ja gar nicht. Ich kenne sie nur aus Erzählungen von meinem Vater, ich kenne sie aus Büchern – auch aus Ihrem. Natürlich ist klar: Das ist Familie, da ist eine Bindung da. Auf der anderen Seite ist da eine Person, die Sie vielleicht sogar besser kennen als ich. Vieles ist erzähltes und angelesenes Wissen, und das ist ein Bild, das sich zusammensetzt.
Sabine Zurmühl Für mich als Außenstehende ist es insofern interessant zu sehen, als die Familientradition sich über die Generationen fortsetzt. Sie selbst bewegen sich in demselben Umfeld, das damals durch Wagner und Cosima, die beide dafür kämpfen mussten, sich erst hat bilden und zu einer feststehenden Institution werden konnte.
Katharina Wagner Das muss man sagen: Sie hat die Festspiele extrem geprägt und, wenn Sie so wollen, in gewisser Weise mit aufgebaut. Sie ist für das Haus, für die Tradition, für die Institution mit verantwortlich.
Sabine Zurmühl Und manchmal zieht man ja auch diese Frauenlinie weiter, also auch Sie werden als „Starke Frau vom Grünen Hügel“ bezeichnet in der Presse, und das ist schon eine Linie, die gezogen wird von Cosima über Winifred zu Ihnen, zu dem, was Sie an Macht oder an Entscheidungskompetenz haben.
Katharina Wagner Wissen Sie, es ist immer schwierig, über sich selbst zu sprechen. Sicherlich müssen Sie in einer solchen Position grundsätzlich entscheidungsfreudig sein und auch den Mut haben, Entscheidungen dann verbindlich zu treffen und dahinter zu stehen, sonst können Sie so eine Position nicht ausfüllen. Vielleicht haben das Cosima und ich gemein, aber das kommt nun wirklich nicht uns allein zu. Das haben auch ganze viele andere Frauen.
Sabine Zurmühl Ich denke, dass es in Ihrer Position auch wichtig ist, dass Sie sich gute Berater und Beraterinnen, ein gutes Echo suchen, um jeweils in der Entscheidungsfindung eine gewisse Unterstützung zu finden, eine Ausfütterung.
Katharina Wagner Man braucht natürlich vertrauenswürdige Partner, mit denen man sich austauschen kann, auf ganz vielen Ebenen. Und jede Entscheidung sollte auch diskutiert und beraten werden. Es gibt da tolle Weggefährten wie Heinz-Dieter Sense, dazu gehören der Künstlerische Betriebsdirektor, der Pressesprecher, der Technische Direktor, wo man auch dankbar ist, dass man auf diese Expertise zugreifen darf und kann. Beim Regieführen hat man das engste Team, den Dramaturgen, den Bühnenbildner, und auch da ist man dankbar, wenn man sich berät und die Sachen diskutiert.
Sabine Zurmühl Wenn Sie das jetzt abwägen könnten, einerseits Ihre Herkunft, das Aufwachsen in einer Familie, in der Wagners Werk jeden Tag etwas Selbstverständliches war, und dem, was Sie an Ausbildung genossen haben, wie würden Sie das gewichten?
Katharina Wagner Das ist schwierig zu beantworten, denn es ist ein Prozess. Mein Vater, meine Eltern haben mich da so natürlich herangeführt an das Werk, dass das keine Erziehungsmaßnahme war, falls Sie verstehen, was ich meine, sondern das war eine natürliche Begegnung. Und sie haben mich darauf so neugierig gemacht, dass ich dem auch immer mehr begegnen wollte. Eine richtige Ausbildung gehört dazu, das ist klar. Der Punkt, wie sehr und wann ich an was herangeführt wurde, wurde bei mir anscheinend so dosiert, dass es mich immer neugieriger gemacht hat.
Sabine Zurmühl Es kommt auch darauf an, selber die Motivation zu entwickeln, über das Erbe hinaus, über die Möglichkeit hinaus, die Ihnen in der Familie geboten wurde.
Katharina Wagner Ja, das ist ja völlig klar. Irgendwann traut man sich das zu oder nicht. Gerade wenn man einen Vater hatte, der diesen Beruf vierundzwanzig Stunden am Tag gelebt hat, kennt man ja beide Seiten. Man kennt eben nicht nur die schönen Seiten, dass man auf der Bühne unglaubliche Dinge entstehen lassen kann, sondern man kennt auch die schwierigen Seiten – kurzfristige Absagen, öffentliche Kritik, teilweise schwierige Leute, die Sie auch bei Problemen zusammenbringen müssen. Da ich aber stets meinen Vater vor Augen hatte, war mir auch klar, worauf ich mich da eingelassen habe.
Sabine Zurmühl Darf ich Sie zum Schluss um einen kleinen Ausblick auf die nächsten Festspiele bis 2026 bitten?
Katharina Wagner Gerne. Ich freue mich erstmal nächstes Jahr auf die Neuproduktion „Tristan“ mit Herrn Bychkov, den ich sehr sehr schätze. Semyon Bychkov ist einer der sensibelsten Dirigenten, die es gibt, was wunderbar mit dem Stück zusammengeht, mit Frau Nylund und Herrn Schager, also einer spannenden Besetzung. Thorleifur Örn Arnarsson wird inszenieren. Wir haben tolle Modelle gesehen und sind gerade dabei zu bauen, das nimmt langsam tatsächlich Bühnenformate an und ich glaube, dass wir hier mit jemandem, der aus Island stammt, der schon aufgrund von seiner Herkunft ganz viel mit Stimmung umgehen kann, als Regisseur einen sensiblen Zugriff zu dem Stück haben werden. Ich freue mich 2025 auf die „Meistersinger“, die Daniele Gatti dirigieren wird, Michael Spyres, den einige sicher schon kennen werden, wird den Stolzing singen. Und 2026 wagen wir es dann, wir haben dann Jubiläum, mit unserem gesamten Repertoire in Wiederaufnahmen und Neuproduktionen an den Start zu gehen und werden auch noch den „Rienzi“ dazu aufführen. Hoffen wir mal auf die weiblichen Kolleginnen auch in der Regie.
Sabine Zurmühl Wunderbar! Und aktuell bereiten Sie die nächsten Festspiele vor?
Katharina Wagner Neben dem „Tristan“ sind wir momentan auch sehr mit der Kinderoper beschäftigt. Unterm Jahr wird auch immer wieder die Bühne gewartet durch die eigenen Werkstätten, das muss jetzt gemacht werden, damit wir im Sommer einen reibungslosen Ablauf haben können.
Sabine Zurmühl Wir drücken Ihnen die Daumen, wir danken Ihnen, dass Sie sich diese Zeit für uns genommen haben. Und wir haben jetzt noch einen kleinen Gruß.
Monika Beer Ich kann Ihnen nur zeigen, was Ihnen heute noch entgeht: Ein Schoko-Wagner und eine Schoko-Cosima, die wir besser nicht aufheben, weil die Schokolade irgendwann verdirbt. Aber wir werden die beiden nochmal anfertigen lassen, wenn Sie das nächste Mal wieder persönlich zu uns kommen können. Hier kommt jetzt der Beifall für Sie.
Katharina Wagner Vielen vielen Dank. Ich muss mich nochmals von Herzen entschuldigen. Ich hoffe, Ihre Mitglieder wissen, dass ich immer gerne persönlich nach Bamberg komme.
Zum Cosima-Buch von Sabine Zurmühl hier ein erstes Interview
Lesen Sie auch das „Ring“-Gespräch zwischen Valentin Schwarz, dem Regisseur der aktuellen Bayreuther Inszenierung, und Frank Piontek.
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