Was für ein Jubiläumstag: Heute vor 175 Jahren wurde König Ludwig II. geboren, heute vor 150 Jahren haben Cosima und Richard Wagner geheiratet.
Der 175. Geburtstag von König Ludwig II. ist natürlich ein willkommener Anlass für viele, sich über den bauwütigen, menschenscheuen, aber unheilbar wagnersüchtigen und schwulen bajuwarischen „Kini“ herzumachen. Was ich heute tun kann, ist zweierlei. Erstens gebe ich für alle, die es ernsthaft wissen wollen, ob er tatsächlich verrückt war, eine dringende Lese-Empfehlung: Der Psychiater Heinz Häfner hat 2008 mit „Ein König wird beseitigt“ (Verlag C. H. Beck) ein wissenschaftlich präzises Buch vorgelegt, aus dem klar hervorgeht, dass Ludwig II. nach heutigen Kriterien keineswegs so geisteskrank, paranoid oder schizophren war, wie es Prof. Bernhard von Gudden, sein Gutachter aus der Ferne, und dessen Auftraggeber in ihrem Entmündigungs- und Absetzungsverfahren suggeriert haben. Ich will nicht zu viel verraten, aber der Autor ist seriös und das Ganze liest sich trotz der vielen Fußnoten spannend wie ein Psycho-Krimi. Jedenfalls habe ich endlich verstanden, warum die Wittelsbacher kein Interesse daran haben, dass dazu sämtliche Unterlagen aus dem Geheimen Hausarchiv ans Licht kommen.
Und zweitens möchte ich mit einigen Geburtstagswünschen, -gedichten und -gaben Richard Wagners ab 1864 kommentarlos die außergewöhnliche Beziehung zwischen einem König und einem Künstler beleuchten. Dass diese Auswahl 1870 endet, ist kein Zufall. An Ludwigs 25. Geburtstag fand endlich die Hochzeit von Cosima von Bülow und Richard Wagner statt, in Luzern, wo im damaligen Vorort Tribschen die beiden unter anderem deshalb gelandet waren, weil ihr eigenes gschlampertes Verhältnis und ihr Verhältnis zu Ludwig nicht nur in München für zu viel Aufsehen gesorgt hatte.
25. August 1864
Nachdem die beiden sich nur dreieinhalb Monate zuvor in der Münchner Residenz erstmals begegnet waren, gratulierte Richard Wagner König Ludwig II. zu dessen 19. Geburtstag nicht schriftlich, sondern höchstpersönlich in Schloss Hohenschwangau. Er schied an dem für ihn „so unglaublich segenvollen Tage“ allerdings, wie er seinem „edlen Herrn“ nachher schrieb, „innigst unzufrieden“, weil die vorgesehene Uraufführung des eigens als Morgengruß für den Geburtstag komponierten „Huldingungsmarsches“ (Nr. 97 im Wagner-Werk-Verzeichnis) nicht zustande kam. Im von Otto Strobel vorgelegten Briefwechsel der beiden steht dazu:
Am 24. August begab Wagner sich „bei abscheulichem Wetter“ in Begleitung von Generalmusikmeister Streck und den ihm unterstellten 80 Militärmusikern nach Füssen, wo übernachtet wurde. Leider stellte sich heraus, daß infolge der Anwesenheit der Königin-Mutter Marie in Hohenschwangau die Aufführung des Marsches unterbleiben mußte, so daß Wagner seine Glückwünsche dem König nur in Worten, nicht aber in Tönen ausdrücken konnte. Daß er bei dieser Gelegenheit, wie Röckl meint, dem König die Partiturreinschrift des „Huldigungsmarsches“ überreicht habe, entspricht nicht den Tatsachen. Meldet doch Wagner selbst erst am 23. September an Hans von Bülow, daß er darüber her sei, für den König „eine zierliche Reinschrift der Partitur“ des Marsches* anzufertigen.
*Die heute im Besitze des Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds befindliche Partiturreinschrift des „Huldigungsmarsches“ (s. Hdschrnchbdg. I!), die ein Meisterwerk Wagnerscher Kalligraphie darstellt, trägt auf der Titelseite die Widmung: „Zum neunzehnten Geburtstage / Seiner Majestät des Königs / Ludwig II. / von / Richard Wagner.“ Das Manuskript ist dem König vermutlich am 7. Oktober überreicht worden (vgl. S. 27 Anm. 3), nachdem zwei Tage vorher die am 25. August nicht zustandegekommene Aufführung des Marsches im Hofe der Münchener Residenz nachgeholt worden war.
25. August 1865
Wagner, der gerade erst auf Einladung des Königs fast zwei Wochen in dessen Jagdhütte auf dem Hochkopf am Walchensee verbracht hatte, konnte Ludwig zu dessen 20. Geburtstag nicht persönlich gratulieren, weil sowohl er selbst als auch der König nicht ganz gesund waren. Sein Geschenk – die Partiturreinschrift des „Rheingold“ (Partiturzweitschrift) – hatte er deshalb schon vorab auf den Weg gebracht, sein Glückwunschtelegramm, aufgegeben in München am 25. August 1865 um 10.25 Uhr, angekommen in Hohenschwangau um 11.30 Uhr, lautete:
Die Glocken hallen, die Kanonen dröhnen;
die Luft ist rein, der Himmel blau und klar:
will mich der Tag von neuem sich gewöhnen?
soll mir vergeh’n, wie trüb die Nacht mir war?
Geboren ist ein Heiland Deutschlands Söhnen:
heut’ feiert er Sein zwanzigst Erdenjahr!
Kanonen, dröhnt! Hallt laut und hell, ihr Glocken!
Mich will dem Gram der frohe Tag entlocken.
Gerne sei noch ergänzt, dass auch Cosima von Bülow, Wagners damalige Geliebte, König Ludwig II. ein Geschenk machte. Sie schickte ihm ein eigenhändig gesticktes Kissen mit Motiven aus Wagners Werken, die sie in ihrem ersten Brief an ihn auch ausführlich erläuterte:
Des Holländer’s Schiff, Tannhäuser’s Stab, Lohengrin’s Schwan, Siegfried’s Schwert, Tristan’s Schaale – ich habe sie auf den grünen Grund der Hoffnung gestickt, deren Panier Euere Königliche Hand in trübster Nacht geschwungen, und mit den Blumen umgeben welche den Erlöser Parzival am Charfreitag so wunderbar entgegenblühen. Nach überstandener Sturmesgefahr bringt in Demuth der Seemann sein bescheidenes Ex-voto der göttlichen Jungfrau dar und dankt mit Inbrunnst dem verliehenen Schutze: so lege ich Euerer Majestät meine kleine Arbeit zu Füßen; jeder Stich enthält einen Segensspruch!
25. August 1866
Wagner, inzwischen aus Bayern ausgewiesen, schickt Ludwig II. aus Tribschen bei Luzern, wo er seinen neuen, vom König finanzierten Wohnsitz hat, als Geburtstagsgeschenk die Partiturreinschrift der „Walküre“ (Partiturzweitschrift). Das Widmungsgedicht dazu lautet:
Dem königlichen Freunde
mit der Überreichung der Originalpartitur
der
„Walküre“
am ein und zwanzigsten Geburtstage des Erhabenen.
Hier Siegmunds und Sieglindes Leid und Sterben;
hier Wotan’s Elend, höchste Gottes-Noth!
Was wehvoll Wunsch und Liebesmitleid werben,
was Brünnhild treibt, zu trotzen dem Verbot,
die Zeugung eines kühnsten Helden-Erben,
vollbracht durch der Erzeuger Liebestod, –
war sie vergebens? Wär’ die Frucht verloren?
Ich frag’s den Tag, der einst Dich uns geboren.
Ich frag’s, und blicke nach des Berges Zinnen,
die noch Brünnhilde’s Feuerwacht erhellt:
die Hehre schläft, und sorgend muss ich sinnen,
wem Wotan’s edles Erbe einst verfällt;
wird Alberich den Zauberreif gewinnen?
Wär’ Mime gar bestimmt zum Herrn der Welt? –
Noch spielt mit Zwergentand der Werkerkor’ne:
wer kündet ihm, dass er der Gottgebor’ne?
Nun muss er wandern, der das Werk geschaffen,
dem bitter sich des Lebens Frucht entkernt:
wie mahnt’ er ihn, zur That sich aufzuraffen,
ihn, der das Fürchten wohl noch nicht gelernt,
doch auch nicht ahnt des Neides list’ge Waffen,
die ihn vom Heil, den Freund von ihm entfernt? –
Sein Werk entsend’ ich, leg’ es Dir zu Füssen:
mög’ sinnvoll Dich’s vom fernen Wandrer grüssen!
25. August 1867
Wiederum aus Tribschen kommen Geburtstagsbrief (ja, wenigstens einmal sollte ein ungekürztes Beispiel stehen. Da müssen die geneigten Leser jetzt durch!) und Geburtstagsgedicht; ersterem ist zu entnehmen, dass das geplante Geschenk – die Originalpartitur der „Meistersinger“ – noch nicht vollständig ist und erst zur geplanten Hochzeit des Königs mit Herzogin Sophie Charlotte in Bayern nachgereicht werden soll. Daraus wurde bekanntlich nichts, denn im Oktober 1867 löste der König die im Januar zuvor erfolgte Verlobung wieder auf.
Mein holder König! Mein geliebter edler Freund!
Der hohe Tag naht, und – lesen Sie diese Zeilen – so ist er angebrochen, den ich zu feiern habe wie sonst keinen noch so stolz in der Geschichte verzeichneten Ehrentag. Da ward ich zum zweiten Mal geboren: was mir bei meiner ersten Geburt die Nornen einst versagten, das legten sie mir bei meiner Wiedergeburt in wundervollster Fülle in die Wiege: dem treuen königlichen Freunde vereint, erstand ich neu und meiner Sendung stolz vertrauend. – Pallas Athene sprang ungeboren aus dem Hirne des Zeus; dem Schoosse einer reinen Jungfrau entspross der Heiland der Welt. Ich preise diese erhabenen Mysterien; sie deuten mir an, wie ich Ihre Geburt als die meines brüderlichen Sohnes mir zu erklären habe. Die Bramanen erklären die Entstehung der Welten aus dem Hauche der Sehnsucht, der den unermesslichen Aether mit dem leisesten Schatten bedecke, und endlich zum Himmelskörper sich verdichtet: so rief mein Sehnen nach dem Edelsten und Schönsten den liebebegeisterten Menschen hervor, der, im Schoosse einer Königin empfangen, aus meinem Sehnen eine Welt gestalten sollte! So wissen Sie es; so weiss ich es! Bewahren Wir stets unentweiht diess wundervolle Geheimniss: es sei Unser Glaube, Unsre Religion! Eines macht mich traurig: – ich habe heute keine Opfergabe auf dem Altar Unsrer Mysterienfeier niederzulegen. Diessmal sollte es mein neues Werk sein, das ich Ihnen zum Preise vollenden durfte: mein armes Manuscript ist gerade jetzt aber nicht vollständig in meinen Händen; es dient in verschiedener Vertheilung den Zwecken seiner Veröffentlichung und einstigen Aufführung: unmöglich, die Theile heute so zu sammeln, dass ich als volle Erntegabe es dem Freunde hätte überreichen können. Da kommt meiner Trauer denn ein sinnreich gütiges Schicksal tröstlich zu Hilfe. Diess ist das einzige Jahr Ihres Lebens, in welchem Sie Ihrem Geburtstage einen zweiten wonnevollen Ehrenheilstag zur Seite stellen. Wo sollte ich Aermster zwei würdige Gaben im gleichen Jahre aufbringen? und unmöglich durfte Ihr hoher Vermählungstag gefeiert werden, ohne dass ich meine beste Gabe als glückverheissendes Angebinde dem geliebtesten Freunde darbrächte. So sei denn, wenn Sie mir es hold erlauben, an diesem Uns Allen so hoch bedeutungsvollen Tage Ihnen mein Meisterwerk – denn dafür erkläre ich es mit bescheidenstem Stolze! – übergeben: gewiss, es wird Ihnen und der glücklichen Erwählten, von schöner freundlicher Verheissung sein, und auf seinem Titel [wird] es diese mir so lieblich theure Bestimmung Ihnen und der Welt verkünden*. –
Hat diess Ihr Schicksal so traulich sinnvoll für mich gefügt, und fühle ich mich fast veranlasst, es glücklich zu nennen, dass ich für jenen Tag meine Gabe mir aufsparen musste, so blicke ich doch nun traurig und beschämt um mich, was ich denn wohl finden könnte, um Ihnen, durch dessen Grossmuth ich einzig lebe und gedeihe, mit einer Gabe erwidern zu können. Wie dürftig bin ich! Alles, was ich habe, habe ich durch Sie! Ihnen gegenüber nenne ich nichts mein Eigen: ich lebe und webe in Ihrer Güte und Huld; athme ich freie, stärkende Luft, fühle ich mich sicher und sorgsam gepflegt in meinem Hause, darf ich irgend einer Lebensannehmlichkeit mich tröstlich ruhig erfreuen, so ist es Ihre Wohlthat, die ich geniesse! Nur mit Einem kann ich der unbegränzten Grossmuth meines Wohlthäters lohnen, – mit meinem unbegränzten Danke! Oh, Edler, Lieber, unsäglich Theurer! Nehmen Sie diesen immer neuen, immer überströmenden Dank aus der tiefsten Fülle meines Herzens auch heute dahin! Sei es, dass Sturm und Wetter mich dem Schutze meines traulichen Obdaches zutreibt; sei es, dass ich aus den nun geistig mir still heimisch gewordenen Räumen den Blick auf sonnig glänzende Berghöhen aussende, – nie, nie erfreue ich mich auch nur einen Augenblick der angenehm tröstenden Sicherheit meines neugeborenen Daseins, ohne andächtig zu Ihnen, meinem herrlichen Wohlthäter, die Hände zu falten. So wird mein Dank zum Gebet! Hier liegt mein Herz zu Ihren Füssen! Verzeihung, wenn ich heute keine edlere Gabe finden kann!
So seien Sie gesegnet, hochgepriesen und gelobt, wie innig und unermesslich tief geliebt! – Möge Ihnen diese schlichte Versicherung heute freundlich willkommen sein!
Ewig einig
Ihr
unsterblich treu liebender
Richard Wagner
Luzern. 22 August 1867.
*Diese Absicht einer besonderen Formulierung des Titels der „Meistersinger“ konnte Wagner, wie Otto Strobel schreibt, nicht ausführen, da die Vermählung des Königs unterblieb. Hier nun noch das am 25. August 1867 telegrafierte Gedicht:
Und wieder hör’ ich ahnungsvolle Glocken,
von Monsalvat dringt weihlich ernst ihr Ton:
Grüsst Parzival des Volkes Heilfrohlocken?
Jauchzt Deutschland seinem königlichsten Sohn?
Es tönt und hallt, erfüllt die nahe Stille:
So schwillt der Muth, so wächst ein Königswille!
Der Antwortbrief von Ludwig II. vom 27. August 1867 zeigt, dass der König gerne Ideen Wagners aufgegriffen und weitergesponnen hat:
Theurer, angebeteter Freund!
Endlich finde ich den notwendigen Augenblick der Ruhe und Sammlung, um dem geliebten, über Alles theuren Freund zu schreiben. – Ich bin nämlich seit meinem Geburtstage in Hohenschwangau, wo ich, wenn ich, wie gegenwärtig, mit der Königin, meiner Mutter, hier verweile, sehr wenig Zeit für mich finde; es ist oft zum verzweifeln: mein liebes Hohenschwangau, sonst (wenn ich allein bin) für mich der Sitz der wohlthuendsten Weltabgeschiedenheit und Ruhe, sowie der höchsten, wahrsten Poesie, ist unter diesen Verhältnissen eher einem Orte der Pein vergleichbar. Die Königin liebt mich wahr und innig und so konnte ich, als guter Sohn, nicht anders, als ihrem Wunsche entsprechen, nämlich einige Zeit hier gemeinsam mit ihr zu[zu]bringen, obwohl ich dem Theuren gestehen muß, daß es mich ein Opfer kostet; denn meine Mutter versteht mich ganz und gar nicht und das Leben hier ist höchst prosaisch. Ich wollte dem Freunde hiemit nur mit einigen Worten die hiesigen Verhältnisse schildern (o wie verschieden von damals, jenen wonnevollen, ewig unvergeßlichen Novembertagen!) und eile nun zur Sache. – Tausend Dank aus tiefstem Herzensgrund für den theuren Geburtstagsbrief und den begeisternden telegraphischen Gruß. – O Sie haben mir damit Freuden bereitet, die keine Feder schildern kann: das muß empfunden sein; o ich weiß, der Theure versteht mich! So beglückend u. wahrhaft beseligend war der Inhalt Ihres Schreibens für mich, daß kaum die versprochene Partitur mir hätte eine größere Freude machen können. O mein geliebter Freund, der wahre Geburtstag ist für mich der 4te Mai, und [der] 22te, wie Ihnen der 25. Aug., den Sie so freundlich liebevoll als solchen bezeichnen. – O könnte ich mich hinzaubern zu Ihnen und der Freundin nach dem lieben stillen Triebschen, wäre es auch nur auf einige Stunden möglich; was gäbe ich darum! nichts kann den trauten freundschaftlichen Verkehr im Gespräche ersetzen, und wüßten Sie [erst], wie öde es hier ist! Auch meiner theuren Sophie in Possenhofen wird es jetzt so gehen wie mir hier, denn bald hat sie sich des ihr wenig zusagenden Besuches der Erzherzogin Sophie zu erfreuen (über welche Sie mir jüngst wenig erbauliches mittheilten). – Nun, so geht es auf Erden, ungetrübt kann kein Glück genossen werden, für empfundene Wonnen muß stets der neidische Dämon seinen Tribut erhalten. – Gewiß finden Sie es, theurer Freund, begreiflich, daß es mir lieber wäre, sowie meiner Erwählten, könnten z.B. die Hochzeitsfeierlichkeiten ohne vielen Lärm und Weltspektakel vorüber gehen; denn schade ist, wenn gerade die schönsten, bedeutungsvollsten Tage des Lebens durch Weltgepränge und rauschende Festlichkeiten in gewissem Sinne getrübt werden; viel schöner wäre es, könnte die Trauung hier in der ernst-ehrwürdigen Ritterhalle oder in irgend einer Kapelle am Gestade meines lieben Starnbergersees vollzogen werden, als dort in der liebeleeren Hauptstadt mit allem Prunke des Königthums. – Doch Vergebung, wenn ich sogar diese kleinen Sorgen* Ihnen anvertraue. – Daß ich stets Unser Ideal fest im Auge behalte, ja daß nur in ihm ich Trost finde in manchen schweren, traurigen Lebenstagen, daß mein Sein, mein Sinnen und Trachten darnach einzig geht, in Unsrem Glauben ich leben und sterben will, habe ich nicht nöthig dem Einzigen lange zu versichern: Sie wissen es, kennen Parcivals Streben, das nie erlahmen kann; treu Unsrer Fahne, als eifriger Streiter und Bekenner der heiligen Sache will ich scheiden von dieser Erdenwelt; neue Proben von der Wahrhaftigkeit, dem Ernst meiner Gesinnungen gebe ich Ihnen durch die schleunige Berufung Froebels und Porges; ich lasse durch nichts mehr mich je beirren. –
Nun muß ich schließen, es ist tief in der Nacht. Bitte, danken Sie einstweilen in meinem Namen der Freundin für ihre liebevollen Zeilen. – Heil den Meistersingern! – Segen ihrem Schöpfer, dessen Eigen ich mich mit Stolz nennen darf. – Treu und unbegränzt liebend, ewig
Ihr
Freund Ludwig.
Hohenschwangau
*Hinter diesen „kleinen“ Sorgen, so Otto Strobel, verbarg der König weit größere und ernstere! Waren doch in ihm schon seit längerer Zeit und in immer stärkerem Maße quälende Zweifel darüber wachgeworden, ob denn die Verbindung mit der Herzogin Sophie ihm wirklich zum Glücke gereichen würde. Wagner wußte sehr wohl um diese inneren Kämpfe seines jungen königlichen Freundes und deutete daher dessen damals einsetzendes, längeres Schweigen ihm gegenüber durchaus in richtigem Sinne.
25. August 1868
Zum 22. Geburtstag klappte es endlich mit der „Meistersinger“-Partitur, die heute im Germanischen Nationalmuseum zu finden ist. Das Widmungsgedicht samt Zueignung lautet wie folgt:
Dem königlichen Freunde
zu seinem Geburtsfeste,
mit der Ueberreichung des Widmungsexemplares
der Meistersinger.
Ein Werk versprach ich, scheelen Neid’s Bezwinger,
der Missgunst finst’re Wolken zu zerstreu’n;
ein Werk, das, deutschen Geistes Preis-Bedinger,
zerriss’ne edle Bünde sollt’ erneu’n:
wie Nürnberg’s alt-ehrsame Meistersinger,
sich selbst belächelnd, doch dem Unwerth dräu’n,
der zwischen alt und neuem Dichterwalten
gern möcht’ als Jetztzeit-Irrgelichter schalten.
Was ich versprach, ob ich das treu gehalten,
ob ächt ich alte Schaffenskraft bewährt,
ob mir gelang, das klärlich zu gestalten,
euch als Traum nur durch die Sinne fährt?
Noch fühlt’ ich nicht im Busen mir erkalten
die warme Lust, die selber sich so werth:
was sie entfacht zu freudig-hellem Zünden,
will wohlig mir des Werk’s Gelingen künden.
Doch, den mein Stern im Chaos musste finden,
der dort, wo mir nur Sand am Meer erscheint,
das Wirrsal meinem Blicke liess verschwinden,
dass der nur säh, wer mit ihm lacht und weint! –
Er durfte um das Haupt das Reis mir winden:
dem König sass der Dichter hehr vereint,
nicht log das Herz: der neid’schen Geister Zwinger,
du kröntest selbst den kühnen Meistersinger.
Nun lasse demuthvoll das Glück mich büssen,
dass ich so herrlich hoch dir nahe stand:
hat ferne dir der Meister weichen müssen,
drückt’ er zum Abschied dir die Freundeshand,
nun lieg’ sein Werk zu seines König’s Füssen,
dort wo es Schutz und höchste Gnade fand.
Und durft’ ihm wonnig eine Weise glücken,
die mög’ an’s Herz nun hold der Freund sich drücken!
Glück, Heil und Segen!
25. August 1869
Diesmal war es eine eigenhändige Abschrift der Orchesterskizze des 3. Akts „Siegfried“, die Wagner König Ludwig zum Geburtstag schenkte, wie stets mit einem ebenfalls eigenhändigen Gedicht garniert:
Sie ist erweckt, die lang’ in Schlaf verloren;
Erfüllt ist nun des Gottes stummer Rath:
Den sie geliebt, noch ehe er geboren,
Den sie geschirmt, noch eh’ an’s Licht er trat,
Um den sie Straf’ und Göttergrimm erkoren,
Der nun als kühner Wecker ihr genaht:
Zu ihr ward auf den Fels er hingetrieben,
Der nur erwuchs, weil sie ihn sollte lieben.
Ein Wunder, – doch kaum wunderbar zu nennen,
Dass hier ein Knab’ zu Jünglingskraft gereift:
Der mochte muthig durch die Wälder rennen,
Ihm nützt’ es, wenn der Jahre Rad sich schweift!
Als gröss’res Wunder muss ich diess erkennen,
Wenn Mannes Vollkraft schon das Rad bestreift,
Dass dem die Jahre dann die Kräfte stärken
und seiner Jugend unerfüllten Werken.
Und diese That ist Deinem Freund gelungen:
Was eilf der Jahr’ in stummen Schlaf er schloss,
Das hat er nun zum Leben wach gesungen;
Der hold Erweckten ein’t sich der Genoss.
Und doch, wie wär’ diess Wecklied je erklungen,
Wenn Deiner Jugend Blüthe mir nicht spross?
Mich mahnt der Tag, an dem ich Dir es sende,
Dass ganz zu Dir sich auch das Wunder wende.
25. August 1870
Um acht Uhr morgens findet die Trauung Wagners mit Cosima von Bülow, geb. Liszt, in der protestantischen Matthäuskirche in Luzern statt. Wagner schenkt Ludwig II. zum Geburtstag eine von Hans Richter gefertigte Abschrift des Orchesterskizze des Vorspiels und 1. Akts der „Götterdämmerung“, natürlich mit einem Huldigungsgedicht, das darauf anspielt, dass der König am 16. Juli, also noch vor der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen, die Mobilmachung der bayerischen Armee befohlen hatte:
Gesprochen ist das Königswort,
dem Deutschland neu erstanden,
der Völker edler Ruhmeshort
befreit aus schmähl’chen Banden;
was nie gelang der Klugen Rath,
das schuf ein Königswort zur That:
in allen deutschen Landen
das Wort nun tönet fort und fort.
Und ich verstand den tiefen Sinn
wie Keiner ihn ermessen;
schuf es dem Volke Siegsgewinn,
mir gab das Wort Vergessen:
vergraben durft’ ich manchen Schmerz,
der lange mir genagt das Herz,
das Leid, das mich besessen,
blickt’ ich auf Deutschland’s Schmach dahin.
Der Sinn, der in dem Worte lag,
war Dir auch unverborgen:
der treu des edlen Hortes pflag,
er theilte meine Sorgen.
Von Wotan bangend ausgesandt,
sein Rabe gute Kund’ ihm fand:
es strahlt der Menschheit Morgen;
nun dämm’re auf, du Göttertag!
Ludwig dankte per Telegramm wie folgt:
Empfangen Sie einstweilen auf diesem Wege meinen innigsten Dank für das himmlische Geschenk, das mich mit jubelnder Freude erfüllt. Brauche ich Ihnen zu versichern, daß ich mehr denn je am heutigen für Sie und die Freundin so bedeutungsvollen Tage im Geiste bei Ihnen bin!
Brief folgt bald.
Ludwig.
Wer jetzt immer noch was lesen will, dem empfehle ich meine Artikel zum Dreikönigstag, zu Ludwigs Gratulation zu Wagners 62. Geburtstag sowie über den für Oberammergau irgendwie doch folgenreichen Besuch Wagners auf Ludwigs Hütte auf dem Hochkopf am Walchensee. Weitere Ludwig-Links und Tipps finden Sie außerdem heute hier bzw. nach dem 25. August hier.
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